Anika Meier über Amalia Ulmans fiktive Biografie

"Jeder ist online ein Lügner"

Amalia Ulman inszenierte sich monatelang auf Instagram als vermeintliches Dummchen, das in der Großstadt zum Hot Babe wird, sich von einem Sugar Daddy aushalten lässt und am Ende Läuterung im Yoga findet. Dann löste sie auf: Die Erzählung vom Aufstieg und Fall eines Mädchens war reine Fiktion. Fast zwei Jahre nach ihrer Entstehung wird die Performance noch immer heftig diskutiert und in Ausstellungen gezeigt

Mädchen aus der Provinz findet kleine Häschen zum Sterben süß, zieht in die große Stadt, um Model zu werden, hätte gern blassere Haut und dünnere Knie, trennt sich von ihrer Highschool-Liebe und merkt, dass das Leben Geld kostet. Sie schlägt sich durch, lässt sich auf Dates ein, wird selbst zum Häschen eines Sugar-Daddy – größere Brüste müssen her. Die lassen sich in L.A. schnell machen, auch wenn es weh tut. Das blonde Mädchen in der großen Stadt will nicht mehr für ein Dummchen gehalten werden und geht deshalb wieder als Brünette durchs Leben. Sie wird depressiv, drogenabhängig, tanzt zwischenzeitlich an der Stange, Nervenzusammenbruch, Rehab, Yoga, Avocado-Toast, neuer Boyfriend. Alles gut, ausatmen.

Was nach dem Drehbuch einer Netflix-Serie klingt (oder doch eher wie deren Adaption im deutschen Privatfernsehen) ist in ungefähr das Skript zur Performance "Excellences & Perfections" der Künstlerin Amalia Ulman. Die Arbeit ist schon etwas älter, bedenkt man den Ort, an dem sie zuerst gezeigt wurde. Zwischen dem 19. April und dem 14. September 2014 postete Amalia Ulman auf Instagram und Facebook knapp 180 Beiträge, die den vermeintlichen Aufstieg und Fall eines Mädchens dokumentieren, das auszog, um ein It-Girl mit Modelvertrag zu werden. Erst als die Geschichte zu Ende erzählt und damit auch die Performance abgeschlossen war, löste Ulman auf. Über das Bild einer Rose, ein Schwarz-Weiß-Foto, schrieb sie "The End – Excellences & Perfections", darunter postete sie ein blaues Herz. Und wenn sie jemand gefragt hätte, wofür sie steht, hätte sie sicherlich Amore gesagt. Aber das hätte ihr nicht geholfen.

 

Einige ihrer Follower reagierten verständnislos, waren empört und schrieben später in Magazinen, wie wütend sie gewesen seien, dass sie von ihr erfolgreich getrollt wurden. Sie sahen zu, ohne Verdacht zu schöpfen. Weil die Performance so nah an der Lebensrealität der sozialen Netzwerke war, sich ihrer Verhaltenscodes, Ausdrucksweise samt passender Hashtags und Bildsprache bediente. Die Leute waren sauer, weil sie einer Fiktion erlagen, weil die Geschichte, die ihnen vier Monate lang erzählt wurde, nicht der Wahrheit entsprach. Dabei, und das ist die Kernaussage von Ulman: Jeder ist online ein Lügner. Den Voyeuren vor den Smartphones wäre es lieber gewesen, Amalia Ulman wäre nur ein weiteres der hot babes auf Instagram. Dann nämlich wäre alles weiter gegangen wie bisher. So aber endete das Drama nach drei Akten, der Vorhang fiel, das Licht ging an und der Zuschauer war auf sich selbst zurückgeworfen.

Ulman hatte ihre Performance tatsächlich als Dreiakter angelegt, sie selbst spricht in Interviews von Episoden. Auf Instagram markiert den Beginn ein Posting, das in Großbuchstaben "Part I" ankündigt, in der Bildunterschrift steht "Excellences & Performances". Vielleicht war zu irgendeinem Zeitpunkt geplant, auch auf Teil zwei und drei hinzuweisen, aber damit wäre sie sicherlich aufgeflogen. Ihr virtuelles Alter Ego macht in den vier Monaten all das durch, was in den sozialen Netzwerken sonst auch passiert, nur eben nicht in so kurzer Zeit und nicht unbedingt einer einzigen Person. Während der Entstehung der Arbeit war das Atelier der Künstlerin ihr Smartphone, sie sah sich auf Tumblr, Facebook und Instagram um, beobachtete, wie Mädchen und Frauen sich in den sozialen Netzwerken präsentieren und griff all die Stereotypen auf, die sie ausmachte.

Nails yay or nay

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Das brave Mädchen von nebenan, das ständig seine frisch lackierten Finger ins Bild hält, nach dem Aufstehen verschlafen vor dem Spiegel im OOTD, dem Outfit of the Day, steht und allen einen ganz zauberhaften guten Morgen wünscht, den Kaffee fürs Foto mit Blüten und Blättern verziert und im Bett nur ein kleines putziges Kätzchen liegen hat. Nach dem Umzug in die große Stadt wird aus dem lieben Nachbarskind ein hot babe, das etwas zu lang Kim Kardashian auf Instagram folgte. Das Geld für den entsprechenden Lifestyle und Körper fehlt? Dann müssen eben ein Sugar Daddy und eine Brustvergößerung her, den Rest bringt regelmäßiges Workout.

 

Dass das nicht lange gut gehen kann, ist zumindest in dieser fiktiven Biografie programmiert. Denn schließlich muss sich der Konflikt zuspitzen und zur Lösung führen. Also stürzt das hot babe ab, das sich irgendwann zwischen den vielen Dates, dem Posen vor dem Spiegel und dem Hantieren mit einer Waffe vor der Kamera selbst verloren hat. Auf den Nervenzusammenbruch folgt ganz Hollywood-Klischee Rehab und die Umkehr zu einem bewussten und gesunden Lebensstil samt Yoga, Meditation, Holz im Wohnzimmer, Käffchen mit der Schwester und grünem Smoothie zum Frühstück. Das Kätzchen im Bett wird durch einen süßen Boyfriend ersetzt, der im Schlaf lächelt wie ein Engel. "So cute! #cutegasm"

Sunday brunch with my sister in a beautiful cafe. Loved the decoration #ethnic #eclectic

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Und plötzlich, fast zwei Jahre nach ihrer Entstehung, wird die Performance überall diskutiert. Zwei Ausstellungen in London nämlich zeigen die Arbeit. "Electronic Superhighway" in der Whitechapel Gallery, die gestern eröffnete, und "Performing for the Camera" in der Tate, die ab Mitte Februar läuft. Jetzt, wo die Tate betroffen ist – anders kann man es nicht sagen ­–, eines der wichtigsten Museen der Welt, werfen auch die großen Zeitungen und Kunstmagazine Fragen auf. "Is this the first Instagram masterpiece?" Der Telegraph möchte es wissen. Und artnet fragt, ob die sozialen Medien überhaupt einen Platz in der heutigen Museumslandschaft haben sollten. Gegenfrage: Warum eigentlich nicht? War es erst die Fotografie, die man lange nicht als künstlerisches Medium gelten lassen wollte, ist es heute ein Kanal, den Künstler wie alle anderen nutzen ­­– und da liegt viellleicht das Problem –, um Arbeiten zu zeigen. Alltag und Kunst liegen inzwischen gelegentlich so nah beieinander, dass das eine untrennbar mit dem anderen verbunden ist.

caaaaaaaant wait to hav abs #work #it #bitch

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So funktionierte zumindest die Arbeit von Amalia Ulman, die am wunden Punkt der sozialen Medien ansetzt. Authentizität, das sei die Stärke der sozialen Medien. Instagram, dort kann jeder er selbst sein. Dass dem nicht so ist, das weiß längst jeder Teenager in Amerika. Die unterscheiden indes sehr genau zwischen ihrem öffentlichen Instagram-Account und ihrem Finsta, dem Fake-Instagram-Profil, dem nur enge Freunde folgen und das sie für #suglies, ihre häßlichen, sprich uninszenierten Selfies nutzen. Auf ihrem richtigen Account promoten sie sich selbst, als Marke, zeigen sich von ihrer besten Seite, schielen nach Likes, warten nach dem Posten minutenlang auf bestätigende Kommentare. "OMG", "You’re so beautiful", "Pretty", "Gorgeous". Wenn nicht minütlich neue Kommentare und Likes folgen, war das Foto nicht optimal genug inszeniert.

Wenn über die Performance von Amalia Ulman gesprochen wird, geht es auch immer darum, wie viele Follower zugesehen und ihr vielleicht geglaubt haben. Es kursiert eine Zahl um die 90.000, mal sind es 89.244, mal sind es 89.103. Nur kann die Künstlerin selbst nichts dafür, dass ihre Follower-Zahl in die Höhe schnellte. Im Oktober 2014 kaufte der Konzeptkünstler Constant Dullaart für 5.000 Dollar 2.5 Millionen Follower, die er auf verschiedene Protagonisten der Kunstwelt verteilte, so dass alle auf 100.000 Follower kamen. Und damit in Zeiten von Social Media, wo die Bedeutung einer Person oder eines Künstlers an den Zahlen der Menschen, die in den sozialen Medien folgen, bemessen wird, plötzlich alle gleich wichtig waren. Darunter waren Ai Weiwei, Richard Prince, Klaus Biesenbach, die Gagosian Gallery, Brian Droitcour, Hans Ulrich Obrist, Jerry Saltz, er selbst und viele mehr. Wem er Follower kaufte und wie viele, zeigt er in einem Video samt Screenshots.

Amalia Ulman findet sich auch unter den unfreiwillig Beschenkten. Tatsächlich verfolgten ihre Performance, die bereits im September 2014 endete, also einen Monat, bevor Dullaart aktiv wurde, die damals 4264 Abonennten ihres Instagram-Accounts. Sieht man sich die Kommentare unter den Fotos an, die Teil der Performance sind, ist schnell klar, das live darauf tatsächlich kaum reagiert wurde. Viele kommentieren erst jetzt, da in den Medien anlässlich den Ausstellungen darüber berichtet wird. Einige sahen sie auf einem Podium, während der Art Basel Miami Beach 2014, gemeinsam mit Kevin Systrom, dem CEO und Mitbegründer von Instagram, Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Simon de Pury zum Thema "Instagram as an Artistic Medium". Und Amalia Ulman durfte sich darüber freuen, dass sie mit Leuten zusammen saß, die die ganze Zeit darüber sprachen, wie authentisch es doch sei, dieses Instagram.   

Zwei Jahre später ist Amalia Ulman einige Arbeiten, Galerie-Ausstellungen und ein Sponsoring von Gucci weiter. Auf ihrer Homepage hat sie die Ausstellung in der Tate mit ihrer Beteiligung angekündigt. Und wieder freut sie sich: "Isn’t this great :-)"