MUMOK, Wien

Analog war besser

Entschlossen tritt Tacita Dean ans Pult. Öffentliche Reden sind sonst nicht ihre Sache, Engagement schon. Denn es geht um das Verschwinden einer gar nicht so alten Kulturtechnik, um das Medium, in dem die britische Künstlerin mit Vorliebe arbeitet und das nun auch im Zentrum ihrer Ausstellung im Wiener Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (MUMOK) steht: der analoge Film. Die industrielle Produktion für 16-mm-Filmentwicklung wird praktisch eingestellt, das letzte große Speziallabor in England schließt. Dean, eine der wichtigsten zeitgenössischen Stimmen, macht diese Missachtung wütend. Sie hat eine Petition mitinitiiert, wirbt für Unterschriften – und redet nun hier bei der Eröffnung der Ausstellung.

Der technische Fortschritt geht immer auch einher mit ästhetischen und gesellschaftlichen Verlusten. Das zeigt die Ausstellung auf subtile und komplexe Weise. Den analogen Film nutzt die 46-Jährige, um Fährten zu folgen, im Leben alternder Künstler genauso wie entlang der Spuren, die diese selbst hinterlassen in der Kunst der Moderne: In eigenwilligen Künstlerporträts zeigt sie Giorgio Morandi, Pop-Artist Claes Oldenburg oder 108 Minuten Tanzproben mit Merce Cunningham 2009 in „Cranaway Event“, in einem neu geschaffenen Werkblock den amerikanischen Abstrakten Cy Twombly.

In dem vielschichtigen Verweisraum aus Filmen, Texten, Zeichnungen und Gravüren geht es zudem um künstlerische Prozesse. Tacita Dean genügt dafür die einfache Form der Linie, die sichtbare wie die unsichtbare: Lebens- und Schicksalslinie, ja, nicht zuletzt die Zeitlinie, die in der Kunstform Film ihre vielfältigste Verkörperung findet. Das meiste überlässt sie in ihrer Arbeitsmethode des unendlichen Suchens, Aufgreifens und Weiterspinnens dem „objektiven Zufall“, wie sie es nennt. Für den notorisch medienscheuen Cy Twombly gereicht ihr eine Anekdote. Ob er in Schüben arbeite, habe sie ihn gefragt, „More or less“, antwortet er. Dass er „gesegnet mit einem bildhaften Instinkt ohne Vorbereitung unterhalb seiner Bewusstseinsebene“ arbeite, bewundert und reizt Dean seit ihren Anfängen. „Er versteckt sich nicht hinter einem Prozess, weil er gewissermaßen keinen hat“, schreibt sie in einem ihrer begleitenden Essays. Erstaunlich genug, weil das im Widerspruch zu ihrer eigenen Arbeitsprozessen steht.

Nun hat sie ihm in dem halbstündigen 16-mm-Film „Edwin Parker“ – so lautet Twomblys Vorname – ein filmisches Denkmal gesetzt. Und darüber hinaus in der großformatigen Gravürenserie „More or Less“ seinen an Kritzeleien auf Kneipentischen, Wänden oder Pissoirs erinnernde Malereien Reverenz erwiesen. Wie bei ihnen ist es der schwarze Grund einer Schultafel, auf dem weiße Kreidelinien auftauchen, sich verdichten, abreißen oder ganz verschwinden. Oder zu Schrift werden. Die analoge Kunst schreibt sich anders in unser Bewusstsein ein als digitale Pixel.

Die titelgebende Fotoserie „The Line of Fate“ trägt nicht nur der Linie an sich Rechnung. Sie zeigt die Hand des Kunsthistoriker Leo Steinberg beim Schreiben seines gleichnamigen Buches über Michelangelos „Jüngstes Gericht“. Die Hand des 90-Jährigen und sein Stift – der objektive Zufall hat es gewollt, dass Dean in den Fotos ikonografisch die Diagonale, Leit- und Schicksalslinie auch in Michelangelos Fresko entdeckt und diese nun in „More or less“ verewigt. Denn, wie Tacita Dean zurecht beklagt: auch die Handschrift ist eine vom Verschwinden bedrohte Kulturtechnik.

Bis 29. Mai 2011 im MUMOK