Taz, 15. Juni, Kommentar von Ines Pohl
"Was sagt es also aus, dass bei uns in Europa die Leichen jener, die hierherkamen auf der Suche nach einem besseren Leben, verscharrt werden wie Dreck, in anonymen Massengräbern, so billig wie möglich? Das Wegsehen fällt in Deutschland besonders leicht. Hier gibt es das Problem Flüchtlingsleiche nicht."
"Zynisch ist nicht dieses Projekt. Zynisch ist eine Gesellschaft, die buchstäblich über Leichen stolpern muss, um hoffentlich wahrzunehmen, dass die Flüchtlinge keine statistische Größe sind, sondern Menschen, die ein Recht auf unsere Unterstützung haben. Und denen man auch über ihren Tod hinaus mit Würde begegnen muss, wenn man denn das Grundgesetz achtet, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist."
Süddeutsche Zeitung, 15. Juni, Peter Laudenbach
"Agitprop 2.0. Manches ist geschmacklos, fast alles drastisch, selten bleiben diese Aktionen unbeachtet."
"Das ist ein ebenso brachiales wie raffiniertes Spiel mit hoch aufgeladenen Symbolen. Vielleicht braucht die Routine, die Gewöhnung an die Bilder vom Sterben an den EU-Außengrenzen genau solche Schockmomente. Die Aktion wirkt wie eine Bildstörung. Die Vorstellung eines friedlichen Landes, das die Menschenrechte achtet, wird durch die Frage ins Wanken gebracht, um welchen Preis und mit welcher Härte dieser Frieden und dieser Wohlstand verteidigt wird."
Spiegel Online, 15. Juni, Georg Diez
"Ist diese Aktion also krass und pietätlos, Leichen quer durch Europa zu fahren, um sie in Berlin als künstlerischen Coup zu beerdigen? Oder ist die Politik krass und pietätlos, die ganz bewusst entschieden hat, das Rettungsprogramm 'Mare Nostrum' durch das Abschottungsprogramm 'Triton' zu ersetzen? Und sind die Medien krass und pietätlos, die nicht in der Lage sind, den Gleichklang von Kentern, Tod und Not zu durchbrechen?"
Berliner Zeitung, 15. Juni, Julia Haak:
"Eingedenk der Aktion mit den Mauerkreuzen, sollte man sich in Erinnerung rufen, dass Schein und Sein bei dieser Künstlergruppe nicht deckungsgleich sind. Es ist ein Theaterregisseur, der hier die Fäden zieht, er macht Straßentheater mit einer politischen Agenda. Es ist PR für eine andere Flüchtlingspolitik. Nur anders als beim letzten Mal wissen wir das ja jetzt. Wir können uns also entspannt zurück lehnen und das Theaterstück bis zum Ende ansehen, bevor wir uns empören oder Beifall klatschen."
nachtkritik.de, 16. Juni, Dirk Pilz:
"Der Theaterbetrieb glänzt dabei mit einer Debatte darüber, ob das ZpS in die heiligen Bezirke der darstellenden Kunst eingelassen werden dürfe oder nicht. Die Diskussion war einzig von der Frage geprägt, ob das ZpS eine Kunst betreibe, die Grenzen überschreite oder nicht, vor allem die Grenze zwischen Theater und Realität selbst – als wären die Grenzen von Begriffen entscheidender als die Grenzen Europas selbst."
"Entsprechend generiert diese peinliche Diskussionskultur die Typen der Entschleierer und Durchblicker, die je verschieden vorgeben, zu begreifen, was eine Kunst oder Nicht-Kunst wie die des ZpS eigentlich bedeute. Zu den beliebtesten, allerdings auch geistesschlichtesten Argumenten zählt hier jenes, dass alles komplexer und komplizierter sei als es das ZpS aussehen lasse."
"'Die Toten kommen' ist weder komplex noch kompliziert. Die Unternehmung trifft eine denkbar klare und unmissverständliche Aussage. Sie lautet: Ich bin schuld. Schuld an einem Europa, das derart mit seinen Flüchtlingen umgeht. Schuld an einem Europa, das sich, statt sich diesen Flüchtlingen anzunehmen, mit Ersatzhandlungen befasst, mit dem ZpS zum Beispiel – und mit diesem Text."
NDR, 16.6. Oliver Kranz
"Doch einige sollen am Sonntag beim sogenannten Marsch der Entschlossenen vor das Bundeskanzleramt gebracht und dort beerdigt werden. Ein Eingreifen der Behörden scheint vorprogrammiert und damit auch das Entstehen medienwirksamer Bilder. Wenn es dazu kommt, kann von Pietät keine Rede mehr sein."
Vice.com, 15. Juni, Marten Boeselager
"Die Aktion wird mit Sicherheit nicht überall auf Begeisterung stoßen. Obwohl betont wird, dass man die Toten im Beisein und mit der Einwilligung von Geistlichen und Angehörigen exhumiert hat, wird die Gruppe sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie instrumentalisiere tote Flüchtlinge—wenn auch nur, um weitere tote Flüchtlinge zu verhindern. Und wie sinnvoll es ist, einen Friedhof vor dem Kanzleramt anzukündigen, für den man niemals eine Genehmigung bekommen wird, sei auch dahingestellt.
Immerhin: Die Aktion ist schockierend. Viel schockierender aber ist die Realität an den Außengrenzen Europas."