"Ohne Rita Süssmuth hätte es vermutlich nie geklappt", sagte Christo kürzlich der dpa in New York. Die damalige Bundestagspräsidentin trug vor 20 Jahren entscheidend dazu bei, das lange umstrittene Projekt "Verhüllter Reichstag" durchzusetzen. In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erinnert sich die heute 78-jährige CDU-Politikerin.
Warum war das Projekt so schwer durchzusetzen?
Das war wirklich ein langer Kampf. Christo und Jeanne-Claude haben 24 Jahre für die Idee geworben und sind immer wieder auf Ablehnung gestoßen. Das Argument war zu DDR-Zeiten: Wenn wir in West-Berlin den Reichstag verhüllen, ist die Botschaft, der Reichstag ist aufgegeben. Erst der Fall der Mauer eröffnete dann wirklich die Chance. Trotzdem war ich bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag bis zuletzt angespannt und skeptisch. Helmut Kohl, unser Bundeskanzler, war ein entschiedener Gegner, Wolfgang Schäuble sprach in der Debatte gegen das Projekt. Aber am Schluss gab es nicht nur eine Stimme mehr, sondern wirklich eine klare Mehrheit.
Wie haben Sie die Aktion selbst erlebt?
Die Zeit der Verhüllung war ein unglaublich produktives Erlebnis. Fast jeder Politiker, jede Politikerin erlebt Momente, die unvergesslich bleiben - und die Verhüllung gehört für mich sicher dazu. Es waren nur 14 Tage, eigentlich eine kurze Zeit. Aber obwohl so viele Menschen kamen, mehr als fünf Millionen, war es ein sehr ruhiges, friedvolles Miteinander - eine entspannte, beglückende Stimmung. Da ist nichts angegriffen oder zerrissen oder beschmiert worden. Es war ein Erlebnis zu sehen, wie sehr die Kunst Menschen verändern und zusammenführen kann.
Wie waren die Reaktionen?
Die Aktion hat im Ausland das Bild eines anderen Deutschland vermittelt - eines friedlichen und kulturell offenen Landes. Nach der Deutschen Einheit hatte es ja nicht nur international, sondern auch bei Nachbarn wie England und Frankreich Befürchtungen gegeben, das wiedervereinigte Deutschland könne ein neues Machtstreben entwickeln. Solchen Befürchtungen war mit diesem Ereignis der Boden entzogen.
Im Herbst öffnet eine Ausstellung im Bundestag ...
Noch zu Lebzeiten von Jeanne-Claude gab es die Überlegung, dass die Dokumentation des Projekts - Skizzen, Bilder, Modelle - in Deutschland bleiben und dort gezeigt werden sollten. Dafür mussten zehn Millionen Euro hereingeholt werden. Das ist durch den hohen Einsatz des Stiftungsvorsitzenden Roland Specker und eines kleinen Teams gelungen. Als Schirmherrin der Dokumentation schließt sich für mich damit ein Kreis. So bleibt das Projekt auch für künftige Generationen lebendig.
ZUR PERSON: Rita Süssmuth, 1937 in Wuppertal geboren, war von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit und von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages. In dieser Zeit setzte sich die CDU-Politikerin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin intensiv für Christos Verhüllungsprojekt ein. 2002 schied sie aus dem Parlament aus. Für ihre Verdienste um die Integration von Zuwanderern wurde sie kürzlich mit dem Reinhard-Mohn-Preis der Bertelsmann-Stiftung geehrt.