Gilad Ratmans erste Einzelausstellung in Europa hat etwas auf sich warten lassen, nachdem er 2013 fulminant Israel auf der Kunstbiennale von Venedig repräsentiert hatte. Nun ist es in Stettin soweit. Seit ein paar Jahren lässt sich der 400.000-Einwohner-Ort an der deutsch-polnischen Grenze die Kultur etwas kosten. Es gibt einen spektakulären Philharmonie-Neubau und seit 2010 eine stetig wachsende Kunstakademie. Und 2013 eröffnete das Trafo Center for Contemporary Art: Für die an die Berliner KunstWerke erinnernde Institution, die unter anderem auf Initiative der lokale Kunstszene entstand und von der Europäischen Union unterstützt wird, wurde eine alte Transformatorenstation saniert und umgebaut.
Dort also findet Ratmans Ausstellung "Four Works" statt, die als kleine Retrospektive konzipiert ist. Leibhaftig in Erinnerung geblieben ist sein radikaler künstlerischer Eingriff in den israelischen Länderpavillon. Die Videoinstallation "The Workshop" zeigte eine fiktive Tunnel-Wanderung einer disparaten Menschengruppe, die sich, vom israelischen Berg Karmel kommend, zum venezianischen Pavillon durchgräbt, wo sie beginnt, mit Ton zu modellieren.
Absurde Gruppensituationen stehen auch bei den anderen Werken des in Tel Aviv lebenden Videokünstlers im Vordergrund. In "Multipillory "(2005) ist eine Gruppe von Menschen in einem Studio in einer Fotowand eines Zoo eingeklemmt. Nur die Köpfe gucken aus dem Foto-Dschungel heraus, von hinten leuchten einem die Popos der Gefangenen entgegen. Bei "588 PROJECT" (2009) wurde der Künstler selber kurzzeitig Teil einer subkulturellen Bewegung, die das Matsch-Tauchen als eine Art Fetisch-Sport ausübt. Nicht identifizierbare Matsch-Wesen atmen über Röhren, die an in der Luft hängenden Flöten enden. Ein schweres Röcheln, das eben wie das Kopfgeräusch eines Tauchers klingt, ist das Einzige, das hier noch human erscheint.
Die Heavy-Metal-Subkultur dagegen steht mit ihrer Dramaturgie von verzerrter Sprache, Headbanging, Kleidung und Blick in der Installation "Five Bands from Romania" (2011-15) im Mittelpunkt. Inmitten einer Steppenlandschaft stehen Musiker im Kreis, in dessen Mitte die Gerätekabel dort im Boden verschwinden, wo zuvor die Verstärker von den Männern in einem großen Loch begraben worden. Das so entstehende Sound-Feedback erschlägt sogar die Stimmen der Bandmitglieder. Noch weniger Mensch, dafür mehr Maschine zeigt die vierte Arbeit "Swarm" (2015). Auf mehreren Leinwänden fliegen viele Mikro-Dronen im Schwarm durch Styroporräume, begleitet von ihrem eigenen Elektro-Insekten-Sound. Im Hintergrund agieren, kaum sichtbar, die steuernden Menschen.
Alles Gesehene – Vergrabung, Subkultur, Überwachung, Schlamm – wirkt auf den ersten Blick grotesk, unverständlich und, ja, schwer verdaulich. Ratman zwängt seine Protagonisten in eine Welt kommunikationsloser Depression, die jeden erhofften Maskeraden-Frohsinn im Keim erstickt.
Diese Aussichtslosigkeit kennen wir aus der realen Welt – von Folter, Grenzkonflikten, Überwachung. Nur dass wir dort mehr Möglichkeiten haben, einfach wegzuschauen. Ratman dagegen wickelt den Betrachter so geschickt in seine grotesken Welten ein, dass sich der Blick nicht abwenden mag.