Instagram-Fotografie

Viel Weiß, viel Vase, viel Bett

Instagram ist das virtuelle Poesiealbum einer Generation, die es am liebsten gemütlich hat und Überraschungen nicht schätzt – und doch verändert das soziale Netzwerk die Fotografie

Ryan McGinley hat jetzt einen Hund, er heißt Dick. Sein Besitzer freut sich, wenn laut Dick gerufen wird. Auf Instagram ist er als #dickthedog unterwegs, die beiden haben knapp 60.000 Follower. Außerhalb der App ist Ryan McGinley als der Fotograf bekannt, der als jüngster Künstler im Whitney Museum ausgestellt wurde. Mit Gleichaltrigen reiste er regelmäßig durch das Land. Auf diesen Roadtrips entstanden ikonische Bilder, die eine Generation junger Amerikaner einfing, wie sie schwerelos über Wiesen schwebt, durch die Luft purzelt und durch die Nacht saust, sie erzählen vom Abenteuer, von Zufälligkeiten und von Möglichkeiten. Im sozialen Fotonetzwerk zeigt er selten seine Arbeiten, dort ist inzwischen Dick die Hauptperson, dort springt er über Wiesen, klettert auf Felsen und badet in Bächen. Eigentlich alles wie überall auf Instagram, möchte man meinen: Haustiere, Alltag, wenig Fotografie.

Tatsächlich findet man wenige bekannte Fotografen und Künstler auf Instagram. Natürlich ist Ai Weiwei da, Olafur Eliasson, Terry Richardson, Larry Clark, Stephen Shore und David Shrigley haben einen Account. Viel passiert nicht, mal werden die eigenen Arbeiten gezeigt, mal steht der Künstler selbst neben einem Werk oder legt den Arm um einen anderen, ebenso bekannten Künstler. Oder einfach nur Grinsen mit Marilyn Manson, Daumen hoch mit Jared Leto und Zunge raus mit Miley Cyrus.

Alle awesome, glaubt man Terry Richardson. Das mit der Kunst und der Fotografie überlassen die Künstler anderen auf Instagram, sind ja auch genug da. 300 Millionen Nutzer verzeichnete die App Ende letzten Jahres. Und irgendwie hat Susan Sontag immer noch Recht, das Fotografieren ist nach wie vor ein ebenso weitverbreiteter Zeitvertreib wie Sex oder Tanzen. Auch ihre Schlussfolgerung ist noch immer richtig: "... was bedeutet, dass die Fotografie, wie jede Form von Massenkunst, von den meisten Leuten nicht als Kunst betrieben wird."

Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat sich vor einiger Zeit Gedanken darüber gemacht, was da eigentlich mit der Fotografie und den Bildern passiert. Es gehe in den sozialen Netzwerken nicht um das Bild an sich, sagt er, es zähle, wann, wo und wie es gesehen werden kann. Nicht einmal mehr gut, zumindest in einem klassischen Sinne, müssen die Fotos sein, denn sie leben fast nur von ihrer Aktualität. Freute sich Roland Barthes noch darüber, dass es so gewesen ist, dass ein Moment der Vergangenheit präsent war, als er ein Foto in Händen hielt oder durch ein Buch blätterte, so ist die Botschaft auf dem hellen Bildschirm heute einfach nur: "Es-ist-gerade-so." (Wolfgang Ullrich) Das Foto verwandele sich von einem Medium der Dokumentation und Erinnerung in ein Medium der Kommunikation. D’accord. Aber wer will das alles sehen?

Wenn man sich ein wenig in den virtuellen Galerien umsieht, sehr viele. Die Nutzer machen ihre Türen weit auf, und 20.000, 50.0000, manchmal bis zu über 500.000 andere Nutzer schauen ihnen auf den Teller, in ihre Küche, in ihr Schlafzimmer. Alle Fotos sehen gleich aus, gut, fast. Hashtag: #instastyle. Viel weiß, viel Vase, viel Blume, viel Obst, viel Gemüse, viel Licht, viel Eames Chair, viel Holz, viel Bett. Stillleben, überall. Dieses Bild möchte zumindest Instagram selbst vermitteln. In regelmäßigen Abständen, derzeit sind es zwei Wochen, wechselt die Liste der vorgeschlagenen Nutzer. Legt man sich einen Account an, werden Nutzer vorgeschlagen, denen man folgen könnte. Im Schnitt macht das 4.000 neue Follower am Tag. Groß gemacht werden die Instagrammer, die sich in die Community integrieren und neben der Lifestyle-Palette bedienen, was derweil zum Cliché geworden ist: Sonnenuntergänge, Symmetrie, #strideby (Menschen, die an irgendetwas vorbeilaufen).

Stilprägend sind zum einen technische und formale Gegebenheiten, die große Schärfentiefe, die Größe des Bildschirms, auf dem die Fotos angesehen werden, und das quadratische Bildformat. Fast alles spielt sich in der Fläche ab, alles wird nah herangeholt, die Ausschnitte werden eng gewählt und die Motive werden frontal, am besten gleich aus der Zentralperspektive fotografiert. Die Komposition erstarrt, das Bild wird statisch. Zum anderen ist das Vorbild das vierteljährlich erscheinende amerikanische Lifestyle-Magazin "Kinfolk" für den modernen Hipster mit wenig Text und vielen Bildern, das in den letzten Jahren zur Bibel des guten Geschmacks mutierte und eine eigene Ästhetik prägte. Wer wissen möchte, wie man ein Ei richtig kocht, wird hier fündig. Und wer sehen möchte, wie man seinen Besitzstand am besten kuratiert und sein Leben ästhetisiert, lernt hier seine Lektion. Es dominieren Pastell-Töne, alles ist schön minimalistisch eingerichtet, die Menschen tragen die richtige Kleidung und trinken den richtigen Kaffee. In der letzten Zeit wurde viel über sie geschimpft, Besserbürger wurden sie genannt, weil sie immer auf der Suche nach dem Besonderen sind, aus der Generation Y wurde die Generation Rettich, weil sie sich plötzlich für Einmachgläser, Backen und traute Zweisamkeit interessieren. Sie machen ständig Bilder, von allem, hüpfen im Café zehn Mal um den Tisch herum, bis endlich alles richtig für das Foto liegt. Vermutlich wird das "Kinfolk"-Magazin selbst mehr fotografiert als gelesen. Es macht sich gut auf dem Kaffeetisch und zeigt, dass man dazu gehört zu den Alltagsromantikern und Landflüchtigen.

Es gibt aber doch Instagrammer, die nicht dieser Fiktion erliegen und der seriösen Begeisterung mit einem Augenzwinkern begegnen. Die Berlinerin Irina König legt auf ihren Kaffeetisch statt Selbstgebackenem angeknabberte Discounterkekse, statt des hippen Indiemagazins mit den hübschen Bildchen Werbeprospekte und statt Latteart gibt es etwas, das nach Omas milchgetränktem Filterkaffee aussieht. Und da auf Instagram alles ein Hashtag braucht, nannte sie ihre Parodie in Anlehnung an das Original #kinfolkmylife. Statt Kaffee von oben kann man auch ganz einfach mal Schnaps von oben fotografieren, wie es @mr_sunset getan hat, durchkomponiert und farblich abgestimmt, wie es Wes Anderson nicht hätte besser arrangieren können. Knut Mierswe ersetzt die frisch gepflückten Feldblumen durch eine etwas aus der Form geratene Zimmerpflanze, die ausgesetzt auf einer Fensterbank in einem Schaufenster an eines der sterilen Settings von Thomas Demand erinnert. Dem common sense im Sinn des Magnum Dokumentarfotografen Martin Parr nähern sich @bosch und @tomskipp an, wenn der eine scheinbar farblich aufeinander abgestimmtes Mensaessen und der andere bunte, für den Eisverzehr gedachte Plastiklöffelchen fotografiert.

Was der Philosoph Roland Barthes in seinem Essaybuch "Helle Kammer" punctum nennt, das bestechende und irritierende Moment einer Fotografie, sucht man meist vergeblich. Sie wollen durch ihre Symmetrie, Aufgeräumtheit und die klare Bildsprache einfach nur gefallen, dem Betrachter ein Like, ein Herzchen-Emoji oder "Schön", "Toll", "Großartig" als Kommentar entlocken. Gelegentlich findet sich das punctum außerhalb der Fotografie, wenn die Bildsprache der Community eine Eigendynamik entwickelt und mit Motiven und Hashtags gespielt wird. Sonntags reiht sich ein Karren-Foto an das andere, irgendwann nerven diese #asundaycarpic(s) gewaltig. Warum also nicht ein #nosundaycarpic, Motiv egal, posten, ein #asaturdaycarpic oder gleich ein #amondaypugpic?

Die Fotografie entwickelt sich in den sozialen Netzwerken zur Performance Art, wie der Londoner Mode- und Straßenfotograf Olly Lang kürzlich sagte. Der Fotograf ist häufig nicht mehr Autor eines Bildes oder Motivs, sondern dessen Interpret. Wenn die Hamburger Instagrammerin für ein Wochenende nach Berlin reist, dort sämtliche Klischees in zwei Tagen nachfotografiert und ihre Bilder nur noch mit dem für sie typischen Filter überzieht oder alle Instagrammer der Stadt das neueröffnete Café in den ersten Tagen abfotografieren, wird das einzelne Foto zur Cover-Version mit wenig Variation. Ein Original ist gar nicht mehr vorgesehen.