Es müssen Hunderte junge Leute sein, die am Eröffnungsabend der Berlin Biennale die Flure der Akademie der Künste und den vor ihr liegenden Pariser Platz säumen. Kurator David Toro trägt eine Mönchskutte zum blondierten Haar, die Künstlerin Amalia Ullman erscheint im 20er-Jahre-Look, das Gesicht des Künstlers Korakrit Arunanondchai säumen Rastazöpfe, die möglicherweise als Kunsthaar an seiner Kappe hängen. Zauselbärte wuchern in den Gesichtern dicklicher Nerds, synthetische Stoffe legen sich asymmetrisch über Mädchenkörper, einer Frau lugt die nackte Brust aus dem Kleid.
Die Erwartungen waren schon im Vorfeld groß, doch der Buzz, mit dem diese Biennale in die Stadt einschlägt, ist dann doch bemerkenswert. Es sind frische Looks, andere Gesichter, eine neue Ästhetik, die diese Biennale bestimmen, ihr Sound ist Hip-Hop und Gothic, ihre Sprache Englisch, Mandarin, Arabisch, und diese globale Perspektive verrückt den eigenen Standpunkt. So tritt das Staunen über die aufgekratzte Vernissage-Menge schon bald hinter dem Staunen über diesen Ort zurück: Wie kann es sein, dass auch die Einheimischen den Pariser Platz seit Jahren nicht betreten haben? Was ist hier für ein merkwürdiger Ort entstanden, der Deutschland doch in aller Welt repräsentieren soll?
Es gab Befürchtungen, die von dem jungen New Yorker Kollektiv DIS kuratierte Biennale könnte allein im Internet stattfinden, die Kuratoren würden hinter lauter digitalen Oberflächen die Welt nicht mehr sehen. Doch im Gegenteil. DIS zeigen uns Berlin aus dem Blickwinkel amerikanischer Touristen, wie sie selbst mit Understatement (und wohl auch um den abgegriffenen Begriff des Flaneurs zu vermeiden) erzählen: Ohne Thesen im Gepäck, aber mit wachen Sinnen spiegelt ihre Ausstellung die Selbstdarstellungsgelüste der Stadt, die Überästhetisierungen unserer durchkapitalisierten Gegenwart.
Der vierte Stock der Akademie der Künste wirkt – dank der Spiegelwände und der Interieurfotos aus der Wohnung des US-Botschafters von Calla Henkel und Max Pitegoff – wie eine Flughafenlobby. Im zweiten Stock hat Christopher Kulendran Thomas eine Erlebnissuite mit Loungesesseln, Zimmerpflanzen und Flachbildschirm eingerichtet, die so gut auch in Singapur stehen könnte. Im Erdgeschoss versammelt Simon Fujiwara in einem "Museum of Happiness" Zeugnisse des aktuellen Glückzustands Merkel-Deutschlands, dahinter bietet eine Juice-Bar Smoothies an. Es mag nicht im Sinne des langjährigen Akademie-Präsidenten Klaus Staeck oder des Architekten Günter Behnisch sein, aber auf irritierende Weise kommt der Bau so endlich einmal zu sich.
DIS sind überzeugt, dass wir in einer paradoxen Gegenwart leben, in der "Virtuelles als Reales, Nationen als Marken, Menschen als Daten, Kultur als Kapital, Wellness als Politik" auftreten. Perfektes Beispiel: die European School of Technology and Management, die als weiterer Ausstellungsort dient. Die Privathochschule befindet sich im ehemaligen Staatsratsgebäude, in das die DDR ein Barockportal des Hohenzollernschlosses integrierte, von dessen Balkon Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik ausrief. In nachgebauten Technologie-Messeständen beleuchtet Simon Denny hier die Glücksversprechen des Silicon Valley – während an den historischen Wandgemälden und Glasfenstern verdächtig ähnliche Parolen den Sozialismus feiern. Kleiner Realwitz am Rande: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hielt hier just am Eröffnungstag der Biennale den "Energy Security Summit 2016" ab.
Nicht immer ist klar, ob man es bei den Arbeiten mit gelungenen sozialen Kommentaren oder guter Kunst zu tun hat, aber vielleicht sind das auch Unterscheidungen einer Welt, die diese Biennale für gescheitert erklärt. Hinter den glatten, an Werbung und Unternehmenskultur geschulten Oberflächen der vielen Installationen und Videos brechen postapokalyptische Szenarien auf, die vom Ruin des Kapitalismus, Terror, Umweltzerstörung, Überwachung und dem anbrechenden Zeitalter des Posthumanismus erzählen, oftmals mittels computergenerierter Stimmen. Die Souveränität dieser Biennale zeigt sich nicht zuletzt im Verzicht auf historisch abgesicherte Positionen. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Konzeptkünstlerin Adrian Piper, die an den Sackgassen der Ausstellungsorte Schilder mit dem Ausruf "Howdy" aufgehängt hat. Ja, wie geht es uns denn eigentlich?