1. Ein Close-up des eigenen Auges, das der junge Berliner Künstler Fiete Stolte in einer Art Passbildautomat anfertigt. Es entsteht ein wunderschönes Schwarzweißfoto der Iris, im reflektierenden Punkt der Pupille ist die eigene Silhouette zu sehen. Die Fotografie zum Mitnehmen kostet 50 Euro, der Automat steht in Halle A am Stand der Galerien Sassa Trültzsch und Helga Maria Klosterfelde Edition.
2. Ein Kunstwerk, das ein bewohnbares Haus ist: Der Schweizer Kerim Seiler, nomadischer Reisender und oft in Südafrika, hatte mal in Johannesburg ein Dach angeboten bekommen, auf das baute er sich eine zweigeschossige Hütte und wohnte und arbeitete fortan darin. Seiler liebt die Situationisten und entwickelte für die Abfolge der Planken ein eigenes Farbsystem. Jetzt ist bei der Galerie Damian Grieder in Halle C, der sogenannten Bananenhalle, eine genaue Nachbildung des Hauses zu besichtigen. Für 60.000 Euro, zu platzieren auf Dächern, auf einem Floß oder im Garten. Inklusive einem Neonschild, das bekanntgibt: "NE TRAVAILLEZ JAMAIS"
3. Bei Esther Schipper ist die Koje zugleich das Kunstwerk: Mehrere Kettenvorhänge sind hindurchgespannt, manche haben amorphe Aussparungen, die wie eine Türfassung eingerahmt sind. Ein merkwürdiges Dazwischen: transparenter Raumtrenner, Aufforderung zum Betreten und Versperren zugleich. Wer durch die verschiedenen je einfarbigen Vorhänge geht, kommt irgendwann an eine Stelle, wo das Loch keinen Durchgang erlaubt. Man kann natürlich auch einfach die überraschend leichten Ketten vorsichtig teilen und hindurchschlüpfen. Eine Arbeit von Daniel Steegmann Mangrané.
4. Wie weit kann man die obsessive Beschäftigung mit Leinwand, Bildträger, Fotomaterialien in der Kunst noch treiben, nachdem Sergej Jensen in der Malerei und Wolfgang Tillmans in der Fotografie dazu schon alles gesagt zu haben scheinen? Analia Saban hat noch einen, und zwar einen guten. Sie macht aus Farbe Bürsten (Acryl wird in einer entsprechenden Form getrocknet) und bringt damit dann Farbspritzer auf eine Holzfläche auf. Oder sie kratzt die Schicht der Foto-Oberfläche beim Trocknen ein bisschen weg, sodass sich die beschädigte Stelle in das Fotomotiv eingliedert, auf das aber auch noch Gegenstände geklebt sind. Verwirrspiel der Ebenen, alles völlig analog. Bei Sprüth Magers in Halle B.
5. Die britische Schauspielerin Emma Watson postet eigentlich ständig irgendwas von sich. Das hat sie jetzt davon: Der junge Künstler Yves Scherer hat das mal ausrechnen lassen, und eine 1:1-Skulptur von ihr anfertigen lassen. Zusammen mit einem Programmierer, der eigentlich für Hollywood arbeitet, hat er alle verfügbaren Daten, und das waren eine Menge, zusammengerechnet, und nun steht da Emma Watson in Bronze wie im Kolbe-Museum, mit kurzen Haaren und vor den Brüsten verschränkten Händen. Eine Rückführung in die echte Welt, von der man dann auch nicht mehr so recht weiß, was man mit ihr anfangen soll, aber auf jeden Fall ein spannendes konzeptuelles Projekt. Am Stand der Galerie Baudach.
6. Der Yoga-Raum. Bitte unbedingt ein Foto von der Tür mit dem Schild und den Yoga-Kursen am Wochenende machen und dann den Enkeln zeigen, damit sich alle amüsieren über den hektischen Entspanntheitswahn im Berlin um 2014.
7. Richard Mosse ist ein junger irischer Fotograf, der Rebellengruppen im Ost-Kongo fotografiert und dafür Infrarot-Filmmaterial aus Armeebeständen benutzt. Diese Filme haben die Eigenschaft, alles Grüne in Magenta umzuwandeln. Flecktarn in Pink - ein Modegag, wäre das Maschinengewehr nicht echt. Die atmosphärische Verschiebung, die durch die Farbumkehrung erzielt wird, während alle anderen Farben sie selbst bleiben, lässt zuerst an Photoshop-Manipulation denken, doch die Bilder sind in analogen Verfahren entstanden. Bei Carlier-Gebauer in Halle B.
8. Michael Kleine kommt eigentlich aus dem Theater, arbeitet aber immer wieder in der bildenden Kunst. Für die Besucher der ABC hat er eine Abfolge von Räumen geschaffen, die man nur einzeln und dafür eine ganze Stunde lang erleben kann. Wobei das Erleben eigentlich sehr reduziert ist, nach und nach werden alle Reize ausgeblendet, am Ende steht man in einem sehr dunklen Raum, allein mit dem Ton einer Orgelpfeife und sieben Streichhölzern. Die kann man nach Gutdünken der Reihe nach anzünden, um sich kurz umzusehen, zum Beispiel, um festzustellen, dass der Boden aus unregelmäßig festgestampfter Erde besteht. Kleine kommt auch kurz vorbei, ganz leise, und hinterlässt eine schöne Melodie. Entschleunigte Einkehr im Messe-Wimmelbild. Bei Helga Maria Klosterfelde.
9. Die Objekte von Charlotte Posenenske sehen natürlich immer toll aus, ob die Nachbildungen von Vierkant-Verschalungen aus der industriellen Haustechnik nun im White Cube stehen oder in einer historischen Industriehalle wie der Station, dem Schauplatz der abc. Aber wie sie hier von der Decke hängen grenzt schon an Mimikry: Über alle Hallen verteilt, teilweise flankiert von ihren verzinkten Vorbildern, die noch in Betrieb sind, kann man sich einen Spaß daraus machen, alle zu finden. Oder einfach darüber staunen, wie immernoch zeitgenössisch die Arbeiten der bereits 1985 gestorbenen Posenenske heute wirken. Bei Mehdi Chouakri.
10. Der kleine Imbisswagen mit dem Hawaiitoast aus Satinstoff als Logo, man könnte ihn für einen Import aus der Kreuzberger Markthalle halten. Darin steht allerdings mit wüst nach oben stehendem Haar und sehr, sehr busy: John Bock, der Toastscheiben mit Schinken, Ananas aus der Dose, Käse und einer Traube belegt, wobei die Traube in die kleine Mulde kommt, die bei der Ananas ausgestanzt wurde. Manchmal dreht sich auch im Hinteren des wirklich sehr kleinen Wagens das Mobiliar, ständig werden neue Sachen hereingereicht, und wenn man zum richtigen Zeitpunkt kommt, werden die Toasts zum Verzehr verteilt. Auch von Eierlikör war die Rede. Die 70-Jahre-Spießer-Cuisine, gequirlt mit John-Bock-Anarchie. Sprüth Magers, natürlich Bananenhalle.
"ABC — Art Berlin Contemporary", 18. bis 21. September, Eröffnung: Donnerstag, 16 bis 21 Uhr, mit Barbecue, Performances u. a. von Michael Kleine (Helga Maria Klosterfelde Edition), Donna Huanca (Brand New Gallery), Anca Munteanu Rimnic (PSM), Brendan Fowler (Tanya Leighton) und JPW3 (Night Gallery),
2. Ein Kunstwerk, das ein bewohnbares Haus ist: Der Schweizer Kerim Seiler, nomadischer Reisender und oft in Südafrika, hatte mal in Johannesburg ein Dach angeboten bekommen, auf das baute er sich eine zweigeschossige Hütte und wohnte und arbeitete fortan darin. Seiler liebt die Situationisten und entwickelte für die Abfolge der Planken ein eigenes Farbsystem. Jetzt ist bei der Galerie Damian Grieder in Halle C, der sogenannten Bananenhalle, eine genaue Nachbildung des Hauses zu besichtigen. Für 60.000 Euro, zu platzieren auf Dächern, auf einem Floß oder im Garten. Inklusive einem Neonschild, das bekanntgibt: "NE TRAVAILLEZ JAMAIS"
3. Bei Esther Schipper ist die Koje zugleich das Kunstwerk: Mehrere Kettenvorhänge sind hindurchgespannt, manche haben amorphe Aussparungen, die wie eine Türfassung eingerahmt sind. Ein merkwürdiges Dazwischen: transparenter Raumtrenner, Aufforderung zum Betreten und Versperren zugleich. Wer durch die verschiedenen je einfarbigen Vorhänge geht, kommt irgendwann an eine Stelle, wo das Loch keinen Durchgang erlaubt. Man kann natürlich auch einfach die überraschend leichten Ketten vorsichtig teilen und hindurchschlüpfen. Eine Arbeit von Daniel Steegmann Mangrané.
4. Wie weit kann man die obsessive Beschäftigung mit Leinwand, Bildträger, Fotomaterialien in der Kunst noch treiben, nachdem Sergej Jensen in der Malerei und Wolfgang Tillmans in der Fotografie dazu schon alles gesagt zu haben scheinen? Analia Saban hat noch einen, und zwar einen guten. Sie macht aus Farbe Bürsten (Acryl wird in einer entsprechenden Form getrocknet) und bringt damit dann Farbspritzer auf eine Holzfläche auf. Oder sie kratzt die Schicht der Foto-Oberfläche beim Trocknen ein bisschen weg, sodass sich die beschädigte Stelle in das Fotomotiv eingliedert, auf das aber auch noch Gegenstände geklebt sind. Verwirrspiel der Ebenen, alles völlig analog. Bei Sprüth Magers in Halle B.
5. Die britische Schauspielerin Emma Watson postet eigentlich ständig irgendwas von sich. Das hat sie jetzt davon: Der junge Künstler Yves Scherer hat das mal ausrechnen lassen, und eine 1:1-Skulptur von ihr anfertigen lassen. Zusammen mit einem Programmierer, der eigentlich für Hollywood arbeitet, hat er alle verfügbaren Daten, und das waren eine Menge, zusammengerechnet, und nun steht da Emma Watson in Bronze wie im Kolbe-Museum, mit kurzen Haaren und vor den Brüsten verschränkten Händen. Eine Rückführung in die echte Welt, von der man dann auch nicht mehr so recht weiß, was man mit ihr anfangen soll, aber auf jeden Fall ein spannendes konzeptuelles Projekt. Am Stand der Galerie Baudach.
6. Der Yoga-Raum. Bitte unbedingt ein Foto von der Tür mit dem Schild und den Yoga-Kursen am Wochenende machen und dann den Enkeln zeigen, damit sich alle amüsieren über den hektischen Entspanntheitswahn im Berlin um 2014.
7. Richard Mosse ist ein junger irischer Fotograf, der Rebellengruppen im Ost-Kongo fotografiert und dafür Infrarot-Filmmaterial aus Armeebeständen benutzt. Diese Filme haben die Eigenschaft, alles Grüne in Magenta umzuwandeln. Flecktarn in Pink - ein Modegag, wäre das Maschinengewehr nicht echt. Die atmosphärische Verschiebung, die durch die Farbumkehrung erzielt wird, während alle anderen Farben sie selbst bleiben, lässt zuerst an Photoshop-Manipulation denken, doch die Bilder sind in analogen Verfahren entstanden. Bei Carlier-Gebauer in Halle B.
8. Michael Kleine kommt eigentlich aus dem Theater, arbeitet aber immer wieder in der bildenden Kunst. Für die Besucher der ABC hat er eine Abfolge von Räumen geschaffen, die man nur einzeln und dafür eine ganze Stunde lang erleben kann. Wobei das Erleben eigentlich sehr reduziert ist, nach und nach werden alle Reize ausgeblendet, am Ende steht man in einem sehr dunklen Raum, allein mit dem Ton einer Orgelpfeife und sieben Streichhölzern. Die kann man nach Gutdünken der Reihe nach anzünden, um sich kurz umzusehen, zum Beispiel, um festzustellen, dass der Boden aus unregelmäßig festgestampfter Erde besteht. Kleine kommt auch kurz vorbei, ganz leise, und hinterlässt eine schöne Melodie. Entschleunigte Einkehr im Messe-Wimmelbild. Bei Helga Maria Klosterfelde.
9. Die Objekte von Charlotte Posenenske sehen natürlich immer toll aus, ob die Nachbildungen von Vierkant-Verschalungen aus der industriellen Haustechnik nun im White Cube stehen oder in einer historischen Industriehalle wie der Station, dem Schauplatz der abc. Aber wie sie hier von der Decke hängen grenzt schon an Mimikry: Über alle Hallen verteilt, teilweise flankiert von ihren verzinkten Vorbildern, die noch in Betrieb sind, kann man sich einen Spaß daraus machen, alle zu finden. Oder einfach darüber staunen, wie immernoch zeitgenössisch die Arbeiten der bereits 1985 gestorbenen Posenenske heute wirken. Bei Mehdi Chouakri.
10. Der kleine Imbisswagen mit dem Hawaiitoast aus Satinstoff als Logo, man könnte ihn für einen Import aus der Kreuzberger Markthalle halten. Darin steht allerdings mit wüst nach oben stehendem Haar und sehr, sehr busy: John Bock, der Toastscheiben mit Schinken, Ananas aus der Dose, Käse und einer Traube belegt, wobei die Traube in die kleine Mulde kommt, die bei der Ananas ausgestanzt wurde. Manchmal dreht sich auch im Hinteren des wirklich sehr kleinen Wagens das Mobiliar, ständig werden neue Sachen hereingereicht, und wenn man zum richtigen Zeitpunkt kommt, werden die Toasts zum Verzehr verteilt. Auch von Eierlikör war die Rede. Die 70-Jahre-Spießer-Cuisine, gequirlt mit John-Bock-Anarchie. Sprüth Magers, natürlich Bananenhalle.
"ABC — Art Berlin Contemporary", 18. bis 21. September, Eröffnung: Donnerstag, 16 bis 21 Uhr, mit Barbecue, Performances u. a. von Michael Kleine (Helga Maria Klosterfelde Edition), Donna Huanca (Brand New Gallery), Anca Munteanu Rimnic (PSM), Brendan Fowler (Tanya Leighton) und JPW3 (Night Gallery),