Wenn man nur ein Wort hätte, um die Kunst von Hans Josephsohn zu beschreiben, dann wäre es wahrscheinlich: existenziell. Josephsohn, 1920 in Königsberg als Kind einer jüdischen Familie geboren, floh 1938 in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod 2012 lebte – seine Eltern starben im Holocaust.
Was ist der Mensch? Diese Frage scheinen seine archaisch groben, halb abstrakten Plastiken zu stellen, die schmerzhaft an der Grenze zur Formlosigkeit balancieren. Fast immer sind es Menschenbilder, die Josephsohn auf diese Weise dem Material abtrotzte. Kaum fassbar, kaum erkennbar sind diese Figuren – Abbilder einer Menschlichkeit, die jederzeit in den Lehm zurücksinken kann, aus dem sie gemacht ist. Josephsohn schuf seine Skulpturen in Gips, den er bearbeitete, etwas hinzufügte, wieder abschlug, bis diese geschundenen, schrundigen Oberflächen entstanden, die auch nach dem Bronzeguss ihre Unmittelbarkeit behielten.
In Bronze gegossen hat Josephsohn seine Skulpturen in der Kunstgießerei Felix Lehner in Sankt Gallen. Seit 2004 wird in unmittelbarer Nähe der Gießerei im Kesselhaus eine Auswahl von Josephsohns Werken ständig ausgestellt. Der deutsche Maler Albert Oehlen hat ein Haus ganz in der Nähe und ging über Jahre im Kesselhaus ein und aus. Dass er nun einwilligte, eine Ausstellung mit Josephsohns Werken im Musée d’Art Moderne de Paris zu kuratieren, lag also einerseits nah und ist andererseits ein großer Glücksfall. Denn durch seine Hand bekommt dieses schwere, eigensinnige Werk eine überraschende Leichtigkeit und Schönheit.
Persönlichkeiten, die miteinander in Kontakt stehen
Oehlen platziert die Skulpturen in geradezu tänzerischen, geschwungenen Linien im Raum, stellt sie in Metallregale oder auf Holzpaletten wie zum Transport. Er behandelt sie wie Persönlichkeiten, die miteinander in Kontakt stehen, von den frühen, an ägyptische Statuen oder auch an Giacometti erinnernden Stehenden über die schwerbrüstigen Frauenbildnisse bis zu den späten, wie grobe Steingötter wirkenden Köpfen.
Die Beziehungen zu Frauen seien für Josephsohn immer wieder ein Quell der Inspiration wie der Verzweiflung gewesen, erzählt der Künstler selbst, unablässig rauchend, in Interviews in einem Film aus den 1970er-Jahren, der am Ende des Parcours zu sehen ist. Das Alleinsein war für ihn undenkbar. Als Künstler war er trotzdem ein Solitär, kümmerte sich nicht um den Zeitgeist – der sein Werk erst seit einigen Jahren wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt, hochverdient.