5 Jahre Banksy-Schredderaktion

Kunst für eine selbstzerstörerische Gesellschaft

Vor fünf Jahren hat Banksy mit seinem Bild, das sich auf einer Auktion selbst zerstört, ein beeindruckendes Statement geschaffen. Es reiht sich ein in eine lange Geschichte autodestruktiver Kunst – die gerade in Großbritannien Tradition hat

Es war Banksys bislang größter Coup: Gleich nachdem am 5. Oktober 2018 auf einer Sotheby's-Auktion in London bei einem finalem Angebot von über eine Million Pfund für ein Bild des anonyme Street-Art-Künstlers der Hammer fiel, zerstörte sich das Kunstwerk selbst. Die Brite hatte, so gestand er später, in dem gewaltigen Goldrahmen von "Girl with Balloon" einen Schredder eingebaut haben, der die halbe Leinwand vor den Augen des Publikums in Streifen schnitt. Der Künstler erklärte das Bild im zerschredderten Zustand zu einem neuen Werk und nannte es "Love is in the bin".

Fast auf den Tag genau drei Jahre später wurde "Love is in the bin" für ein Vielfaches versteigert. Der Gesamtpreis von 18,5 Millionen Pfund bedeutet den höchsten Auktionspreis für ein Werk des Künstlers.

Künstler haben seit jeher ihre Werke vernichtet, weil sie ihre Schöpfungen im Rückblick für misslungen hielten, sie dem Markt entziehen wollten oder weil sie einfach die Grenzen des Kunst testen wollten. Großes Aufsehen erlangte etwa 1970 das "Cremation Project" des kalifornischen Künstlers John Baldessari, der seine zwischen 1953 und 1966 entstandene Malerei verbrannte. Für ihn war das Konzept wichtiger als die Ausführung, einen stärkeren Beleg für den Triumph der Idee – und damit des Künstlers – über das Material als die übriggebliebenen Ascheklumpen konnte er nicht finden. Das "Cremation Project"gilt als Gründungsakt der Concept Art. Aber auch Baldessari stand schon in einer Tradition. Der Italiener Lucio Fontana schlitzte seit 1958 Leinwände auf und zerstörte so einen Grundpfeiler der Malerei: den "heiligen", unversehrten Bildträger.

Es wurde zerstört und gemetzelt, was das Zeug hielt

1959 veröffentlichte der in Nürnberg geborene Gustav Metzger, der 1939 auf der Flucht vor den Nazis mit einem Kindertransport nach London gelangt war, ein Manifest der autodestruktiven Kunst. Es propagierte darin Werke, "die ein Element enthalten, das innerhalb von maximal 20 Jahren automatisch zu ihrer eigenen Zerstörung führt". Denn Metzger, dessen Eltern in Konzentrationslagern ermordet wurden, sah auch in der Gesellschaft ein selbstzerstörerisches Element; seine Kunst wollte darauf antworten: "Die Massen auf der Regent Street sind autodestruktiv, Raketen und Atomwaffen sind autodestruktiv."

Metzger bestrich Bildträger mit Salzsäure, die den Maluntergrund zerstörte, und 1966 organisierte er in London das "Destruction in Art"-Symposium, an der Fluxus-Figuren wie Al Hansen, Yoko Ono, Wolf Vostell und Wiener Aktionisten teilnahmen. Es wurde zerstört und gemetzelt, was das Zeug hielt, Hermann Nitsch führte sein "Orgien Mysterien Theater" auf, Raphael Montañez Ortiz zertrümmerte einen Stuhl, John Latham verbrannte vor dem British Museum Bücher und Robin Page bohrte ein Loch in den Fußboden einer Buchhandlung.

Metzger habe ihn gelehrt, dass Kunst widerspiegeln solle, "wie wir die Welt zerstören", schrieb The-Who-Gitarrist Pete Townshend nach dem Tod des Künstlers im vergangenen Jahr. Townshend wurde bekannt dafür, dass er bei Konzerten regelmäßig seine Gitarre zertrümmerte. Damit habe er Metzgers Konzept nur "beinahe" erfasst, so der Musiker. Metzger sei nie wütend oder gewalttätig gewesen, aber "sehr wirkmächtig".

Einen Nachhall dieser Wirkmächtigkeit war am 5. Oktober 2018 auch im leisen Rattern des versteckten Schredders im Sotheby’s-Auktionssaal zu hören. Immer wieder hat Banksy sich gegen die Verwertung seiner Bilder gestellt – die dennoch regelmäßig Millionenpreise erzielen. Dass das Bild am Ende seinen Wert noch steigerte, beweist dabei nur Gustav Metzgers These: Zu einer selbstzerstörerischen Gesellschaft passt am besten selbstzerstörerische Kunst.