Zukunft der Berliner Uferhallen

"Es scheint, als sei das Chaos gewollt"

Eigentlich schien es für den Berliner Kulturort Uferhallen bereits eine Lösung zu geben, nun droht Künstlerinnen und Künstler wieder die Kündigung. Was ist da los? Ein Gespräch mit Vorstandsmitgliedern des Uferhallen e.V. 

Vor einigen Wochen alarmierte ein offener Brief die Berliner Kulturszene: Die Uferhallen in Wedding, ein Standort mit über 80 Ateliers, Proberäumen, Tonstudios, Werkstätten und Gastronomie, sind wieder in akuter Gefahr. Das Areal mit seinen denkmalgeschützten Gebäuden gehörte einmal der Berliner Verkehrsgesellschaft, einst wurden hier Straßenbahnen gewartet. Irgendwann siedelten sich Künstlerinnen und Künstler an.

Viele von ihnen wurden Anteilseigner, bis eine Immobilienfirma das Gelände kaufte. Zunächst schien es so, als hätten sich die Kreativen mit den Eigentümern, die hier hochpreisige Wohnungen bauen wollen, geeinigt. Warum die Zukunft der Anlage nun doch ungewiss ist, wie sich die Nachbarschaft verändert und was jetzt auf dem Spiel steht, erklären die Peter Droboschke, Stefan Albers und Hansjörg Schneider vom Verein Uferhallen e.V. im Gespräch.

Fangen wir mit dem offenen Brief des Uferhallen e.V. an: Der klingt alarmierend, und es scheint, als würde den Mieterinnen und Mietern der Rauswurf drohen. Dabei sah es so aus, als wäre eine Einigung mit den Eigentümern der Uferhallen in Sicht gewesen. Was ist passiert?

Stefan Alber: Zum Jahresende 2022 gab es eine große Wende beim Bauvorhaben. Bisher waren wir immer im Austausch und es gab ein Konzept, das unserer Vorstellung sehr nahe kam. Dann kippte das, als plötzlich ein Großteil des Projekts gestoppt wurde. 

Peter Dobroschke: Die Eigentümer haben den Bebauungsplan zurückgenommen, weil der im Verhältnis zu einer bestimmten Baumasse stand. Damit haben sie sich von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber den Künstlerinnen und Künstler losgesagt – unter anderem auch von einem längerfristigen Generalmietvertrag auf 30 Jahre. Das war die Alarmsituation. Man könnte zwar meinen, es wäre doch gar nicht schlecht, wenn die Baumasse geringer wird, aber der Fokus liegt eben auf den Zahlen. Wird weniger gebaut, muss das Geld woanders herkommen. Das bedeutet: höhere Mieten und kürzere Laufzeiten.

Hansjörg Schneider: Der Bebauungsplan, der schon seit zwei Jahren lief, hatte für uns den Nachteil, dass enorm große Baumassen geschaffen werden sollten – überwiegend Wohnen, aber auch Gewerbe. Das konnte genehmigt werden, wenn im Gegenzug der Kulturstandort gesichert wird. Aber seitdem die Eigentümer den Plan einseitig aufgekündigt haben, ist damit auch unsere Absicherung verloren gegangen. 80 Prozent aller bestehenden Mietverträge haben eine Kündigungsfrist von drei Monaten.

Das heißt, man könnte die meisten Mieterinnen und Mieter schnell rauswerfen?

HS: Genau, nur die wenigen langen Verträge sind noch gesichert. 

Im Herbst 2021, als dem Areal eine Zukunft als Sondergebiet Kultur in Aussicht gestellt wurde, haben die Investoren, der Bezirk, der Senat und der Denkmalschutz einen Letter of Intent unterzeichnet. Die Stellungnahme sollte die Koexistenz von Kultur und der neuen Bebauung bekräftigen.

SA: Wir waren nicht daran beteiligt, aber wir haben versucht, den Parteien klarzumachen, wie es funktionieren könnte. Wir wollten mit Expertinnen und Experten und mit einer Architektin zeigen, was hier möglich wäre.

PD: Der Letter ist juristisch gesehen nur eine Geste. Er wurde in einer Pressekonferenz hier vorgestellt, und zwar nicht zufällig kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Die Sicherung des Standorts ist aber nicht nur wichtig, damit es weiter den Titel "Kulturstandort" für die Uferhallen gibt, sondern auch, damit die hiesige Lebens- und Arbeitsweise der aktuellen Bestandsmieterinnen und -mieter eine Zukunft hat. Was wir ab jetzt sehen, ist eine Version, in der sich die Miete vervielfacht. Die Bedingungen des Produktionsstandorts können so nicht gehalten werden.

Warum?

PD: Der Lieferverkehr für die Ateliers zum Beispiel hat bei der Planung sehr wenig Beachtung gefunden. Aktuell gibt es viele großformatige Anlieferungen, und wir haben hier bis zu 300 Quadratmeter große Produktionsräume, die oft mit Lagern zusammenhängen. Das funktioniert nicht in direkter Nachbarschaft von hochpreisigen Wohnungen, wo die Leute am Wochenende ihre Ruhe haben wollen und sich durch Baumaschinen oder LKWs gestört fühlen. Wir sind flexibel, und haben das mit Umsetzungsplanungen bewiesen, aber es müssen dafür auch adäquate Ausweichflächen gefunden werden. Einige Mieterinnen haben sich bereit erklärt, während der Bauphase externe Flächen zu beziehen, gleichzeitig haben die Eigentümer dann im Gespräch gesagt, dass sie notfalls zur Kündigung greifen, sollte keine schnelle Lösung gefunden werden. 

HS: Wir wurden hingehalten, und alles war betont vage. Wir würden uns gerne vom Gegenteil überzeugen lassen, aber wir zweifeln daran, ob diese Umsetzungsangebote überhaupt ernst gemeint sind. 

Sie wissen also gar nicht so genau, was als nächstes auf dem Gelände geschieht?

PD: Wir wissen, dass zum Jahreswechsel drei Bauvorhaben gestartet werden – zeitgleich auf beiden Zufahrtshöfen. Uns wurde schon die Baustelleneinrichtung vorgestellt, die Anlieferungen nur noch schwer möglich macht. Mit großformatigen Werken würde man da spontan nicht mehr zum eigenen Atelier durchkommen.

HS: Es scheint so, als wäre das Chaos gewollt. 

Lange hieß es, die Eigentümer hätten eine Verbindung zu den Samwer-Brüdern. Was wissen Sie über die Investoren?

HS: Der Zusammenhang mit Alexander Samwer ist ohne Zweifel vorhanden, aber inzwischen nicht mehr so einfach zu erkennen. Wir sind in Kontakt mit den Eigentümervertretern.

Man stößt bei Recherchen über die Eigentümer des Areals als erstes auf die Marema GmbH. 

PD: Das Gelände gehörte – nachdem das Land Berlin es veräußert hatte – ab 2007 der Uferhallen AG. Es wurde dann ein Hauptaktionärsanteil weiterverkauft, das heißt um die 95 Prozent. Der wurde auf zwei Firmen aufgeteilt, vermutlich, damit das nicht unter die Grunderwerbssteuer fällt. Die Uferhallen AG hat vorher schon existiert, der Hauptanteil wurde von den Unterfirmen gekauft und wird nun von der Augustus Management and Architecture verwaltet. Die Uferhallen AG wurde in die Marema GmbH verwandelt.

Über die man nur sehr wenig herausfinden kann. 

PD: Außer, dass sie in Schönefeld ansässig ist, und dass einer der Geschäftsführer Felix Fessard heißt, der außerdem als Geschäftsführer bei der Augustus Management and Architecture arbeitet.

HS: Mit dem verhandeln wir. 

PD: Daran sieht man, wie sich das alles vermengt und schwer auseinanderzuhalten ist.

Es ist ein bisschen ungewöhnlich, dass Kunststandorte zu Aktiengesellschaften werden. Wie kam es dazu überhaupt?

HS: Die Uferhallen AG hat sich eigens für den Kauf des Geländes gegründet, das war 2007. Die BVG hat es verkauft, als die Stadt sich von allem getrennt hat, was nicht niet- und nagelfest war. Dann hat es die AG übernommen. Einer der beiden Hauptaktionäre, Hans-Martin Schmidt hat durchgesetzt, dass sich hier Kunst und Kultur ansiedeln.

SA: Die großen Räume waren am Anfang schwierig. Die Mieterinnen und Mieter mussten viel investieren, um sie nutzen zu können, und deshalb wurden auch sehr lange Verträge abgeschlossen. Daraus ist ein Standort erwachsen, an dem man wohnen und arbeiten kann, der verschiedene Lebensformen und künstlerische Konzepte zulässt. 

HS: Es gab ein organisches Wachstum, das auf freundschaftliche Beziehungen gebaut war und sich weiterentwickelt hat. Zwischen den Künstlerinnen und den Betrieben auf dem Gelände ergaben sich sehr positive Ergänzungen. 

Die Aktien der AG wurden damals von Künstlerinnen und Künstlern gestaltet. Das ist ziemlich einzigartig, oder?

HS: Hans-Martin Schmidt hatte diese Idee – um den Standort wirtschaftlich zu sichern und eine Übernahme zu verhindern. Eine spannender Gedanke, der vielleicht ein bisschen zu früh kam, denn damals gab es in der Kunstszene nicht das nötige Kapital. Die Immobilienpreise hatten auch noch nicht so angezogen.

Wie sind die jetzigen Eigentümer denn an die Aktien gekommen?

HS: Die Führungsetage der AG war labil, und dann hat sich einer eingeschmuggelt, der hier als Prokurist tätig war. Der hatte den richtigen Riecher. Er hat die Aktien gesammelt und den Künstlerinnen und Künstlern, die in Geldschwierigkeiten waren, die Anteile abgekauft. 

PD: Er hat auch falsche Aussagen zur Rendite gemacht und die Leute zum Verkauf gedrängt, weil die Aktien angeblich bald an Wert verlieren würden.

HS: Er hat aktiv nach Kaufinteressierten gesucht, um den maximalen Preis zu bekommen. Dann wurden 95 Prozent der Aktien auf einen Schlag aufgekauft. Das ist eine magische Zahl, denn damit darf der Rest eingezogen werden. Das ist schließlich passiert, und die AG wurde in die Marema GmbH transformiert.

PD: Das passierte übrigens, ohne uns zu informieren. Wir haben das auf Nachfrage in einer öffentlichen Veranstaltung erfahren. 

Sie sind der Vorstand der Uferhallen e.V., aber die Uferhallen AG war nicht daran geknüpft?

PD: Die AG hatte auch einen Vorstand – das sorgte häufig für Verwirrung. Der Uferhallen e.V. ist aber aus der Situation der Mieterinnen und Mietern entstanden, um gemeinsam eine Lösung zu finden, damit Eigentümer und Nutzerinnen zusammen existieren und den Kulturstandort langfristig für die Stadt sichern können, ohne eine Verdrängung.

Im vergangenen Jahr gab es hier zur Art Week die Ausstellung "On Equal Terms". Haben Sie das Gefühl, dass hier auf Augenhöhe verhandelt wird?

HS: Nein, zu keinem Zeitpunkt. Allerdings hatten wir ein paar Trümpfe in der Hand. Ein Vorteil war, dass der Verein für alle gesprochen und verhandelt hat. Es gab auf lange Zeit keine Einzelgespräche zwischen Eigentümern und Künstlern. Aber auf Druck der Eigentümer hat sich das inzwischen geändert.

PD: Uns wurde zwischendurch immer wieder vorgeworfen, wir würden in den Verhandlungen nichts liefern – vollkommen absurd! Wir sind kontinuierlich dabei, eine bestmögliche Aufteilung der Flächen mit Fachleuten zu planen. Aber dafür brauchen wir – neben den klaren Planungsdetails der Eigentümer – eine durchgehende Unterstützung seitens der Politik, und um die zu erreichen, brauchen wir eben auch die Hilfe der Kunst- und Kulturszene. Daher der offene Brief.

Sie haben auch eine eigene Architektin engagiert. Was planen Sie mit ihr?

PD: Aktuell sind es vor allem die Ausweichflächen, je nachdem, wo wir sie von den Eigentümern zur Verfügung gestellt bekommen. 

Wo sind diese Flächen?

PD: In der Theorie – noch unausgebaut – vor Ort in der Seitenhalle, aber zum Teil auch extern in Neukölln, Tempelhof oder Reinickendorf. 

SA: Uns werden Angebote gemacht, aber es gibt nichts Konkretes: Wir wissen noch nichts über die Mietpreise oder die Anfangsdaten. 

Wie ist die Stimmung jetzt?

SA: Unsicher. Es finden schon Prüfungen und Probebohrungen statt. Wir haben bisher noch nicht gemerkt, dass wir ernstgenommen und in die Planung einbezogen werden.

PD: Der Mietspiegel in der Umgebung wird steigen, was wiederum deutliche Auswirkungen für die Anwohner im Kiez hat. Die Menschen nutzen diesen Ort – man knüpft Kontakte, die Kinder lernen hier Fahrradfahren, und gerade in der Corona-Zeit kamen die Leute aus der Nachbarschaft. Außerdem tauschen sich die Künstlerinnen und Künstler hier untereinander aus. 

SA: An diesem Ort hängt viel zusammen. Der Projektentwickler, Felix Fessard, findet das "total spannend" – aber wir sehen bisher kein Konzept, das den Kulturstandort berücksichtigt. 

PD: Aktuell ist die Planung sehr stark auf Wohnbebauung ohne Sozialbindung ausgelegt. 

Was geschieht als nächstes?

SA: Wir sehen, dass die Mieten erhöht werden. 

PD: Von der Miete, die man in den Ateliers künftig zahlt, soll laut Eigentümervertreter dann auch abhängig sein, ob beispielsweise ein Dach repariert wird. Dabei stehen die Gebäude unter Denkmalschutz.

Was erhoffen Sie sich von dem offenen Brief?

PD: Der hat schon erste Wirkung gezeigt. Wir bekommen Unterstützung aus Bereichen von Kunst und Kultur, die nicht direkt betroffen sind, aber im Umgang mit den Uferhallen eine Signalwirkung für Berlin als Kulturproduktionsstandort sehen. Es gibt außerdem noch unsere erste Petition, hier ein Erbpachtrecht einzuführen, die mittlerweile bei über 14.000 Unterschriften ist. Der Gedanke war, das Sondergebiet Kultur dauerhaft im Bebauungsplan festzulegen, damit die Kultur auf lange Sicht bestehen kann. Das muss weiterhin der Fahrplan für die Uferhallen bleiben. Aber die Wünsche für diesen Ort decken sich nicht mit den Vorstellungen der Eigentümer.

HS: Wir würden hier beispielsweise nach wie vor noch die große Ausstellungshalle realisieren. Wir hoffen, dass der Neue Berliner Kunstverein diesen Raum übernehmen könnte, aber dafür braucht es eine langfristige Planung und Finanzierung. 

SA: Wir wissen, was wir zu verlieren haben. Das möchten wir gesichert wissen.