Fotoschau in Hannover

Können diese Bilder lügen?

Monopol Plus Anzeige

Die Ausstellung "True Pictures?" im Sprengel Museum Hannover zeigt zeitgenössische Fotokunst aus den USA und Kanada. Dabei aktualisiert sie die kunsthistorische Erkenntnis, dass unter jedem Bild bereits ein anderes liegt  

Diskret wird hin und her dirigiert, im Flüsterton Regie geführt – "Ja, so bleiben!" – und klick: Die nachgestellte Denkerpose vor dem illuminierten "Thinker" von Jeff Wall sitzt im Bild. Im Sprengel Museum haben die Kids sich den Altmeister angeeignet – wow, so instagrammable! Die Herren Richter, Warhol, Jasper Johns stehen weniger gut da: angeschnitten, ins Depot verbannt sind ihre Gemälde – auf Fotografien von Louise Lawler.

Nukleus jener Geste der Aneignung – die berühmte "Appropriation" – ist das New York der ausgehenden 1970er. Damals zeigte die heute legendäre "Pictures"-Show im Artists Space, wie Bilder aus Kunst und Medien in ihre jeweiligen Kontexte verstrickt sind – und in sich selbst. "Unter jedem Bild liegt immer schon ein anderes Bild", erkannte damals Stichwortgeber Douglas Crimp und liefert ein nach wie vor gültiges Ticket für den Trip durch die vergangenen 40 Jahre Fotokunst aus Kanada und den USA.

Welche Genealogien lassen sich zwischen den 36 Positionen und 339 Arbeiten entdecken? Welchen Welterfassungsertrag liefert die Fotografie, und wie formuliert er sich als Kunst? Deren Kanon unterzieht Ayana V. Jackson jedenfalls schon auf dem Katalogcover einer Revision und überblendet die ikonische Pose aus Ingres’ "Die kleine Badende" von 1826 mit der Rückenansicht einer schwarzen Frau. Klischierte Frauenbilder werden ebenfalls alternativ überschrieben: Martine Gutierrez hängt in einem Dekolleté-Stück buchstäblich die Melonen raus – und macht die Persiflage heteronormativer Stereotypen in "Playboy"- Ästhetik zum selbstbewussten Statement fluider Transgender-Identität.

Und die Wahrheit all jener "True Pictures?" – "Indem die Bilder zeigen, was sie gemeinsam haben, offenbaren sie uns, was wir gemeinsam haben", befindet Jeff Wall im Gespräch mit Kurator Stefan Gronert. Das entsprechend wohlgemute Wrap-up zur Schau liefert Walead Beshty mit seinem Geschenkpapier für Intellektuelle: bunte Fotogramme in bestechendem Streifenlook. Vielleicht haben da schon zwei was gemeinsam, und auch Beshty reklamierte für seine Großformate, was Wall über das Porträt seines Bruders bemerkt: "Ich habe keine Ahnung, was es 'bedeutet', aber es sieht gut aus."