Renzo Martens, der niederländische Künstler, wirkt ein bisschen wie Fitzcarraldo, wenn er im weißen Hemd durch die versehrte Plantagenlandschaft stapft, mit Lederschuhen, die schlecht für den Lehmboden geeignet sind. "Ich habe mein Leben lang von Ungleichheit und Armut profitiert", sagt er in "White Cube", seinem Film von 2020. Alles nimmt seinen Anfang, als ihm auffällt, dass weite Teile des Museums Tate Modern in London von dem Konzern Unilever gesponsert sind. William Lever, der in den 1880er-Jahren mit seinem Bruder die Seifenfabrik gründete und Anfang des 20. Jahrhunderts im belgischen Kongo Plantagen kaufte, steht für die Zusammenhänge von kolonialer Ausbeutung und Wirtschaftskreisläufen, die noch heute bestehen und ganz eng mit der Kunstwelt verknüpft sind. "Welche Verbindung hat Kunst zum Kapital?", fragt Martens.
"Komm lieber schnell runter, dem weißen Mann wird schon ganz unwohl!", ruft ein Arbeiter zu Beginn des Films scherzhaft dem anderen zu, der gerade ganz nach oben auf eine Palme geklettert ist, um dort Palmnüsse abzuschlagen. Kunst, sagt Martens, kann verschiedene Dinge leisten, dazu gehören Inklusivität, Vielfalt, Kritik. Bloß seltsam, sagt er dann, dass er Kunst über Armut im Kongo machen kann, die dann wiederum Kapital in London, New York oder anderswo generiert. Überall eben, außer bei den Protagonisten seiner Kunst. Auch hier wird dem weißen Mann unwohl.
Martens richtet Kunst-Workshops für Plantagenarbeiterinnen und -arbeiter ein, aber er scheitert, auch auf Druck des Konzerns. Einige Jahre später geht Martens nach Lusanga, ehemals Leverville, wo die erste Plantage des multinationalen Konzerns errichtet wurde. Hier gibt es ein Stück Land, das den Arbeiterinnen und Arbeitern gehört. Der Film "White Cube" folgt einem dramaturgisch wohlbekannten Schema. Nach dem Scheitern versucht es der Held noch einmal, diesmal mit einem besseren Plan. Er hat etwas gelernt: Wenn er erfolgreich sein will, muss er bestehende Strukturen nutzen.
Wege kolonialer Verwertung nutzen
In Lusanga richtet Martens wieder einen Kunstworkshop ein, aber diesmal nutzt er die Wege kolonialer Verwertung. Kunst wird im Kongo produziert und in den Zentren des globalen Nordens verkauft. Die vor Ort produzierten Skulpturen lässt er scannen, um sie in London aus Schokolade nachgießen zu lassen. Große Ausstellungen folgen.
Einmal mehr erinnert Martens an Fitzcarraldo, den aberwitzigen Protagonisten in Werner Herzogs gleichnamigen Film von 1982, der im Dschungel ein Opernhaus errichten will. Der Künstler beauftragt die Architekten von OMA in Rotterdam, ein Museum zu entwerfen, das die Werke der CATPC-Mitglieder zeigt, einer Kunstgenossenschaft von Plantagenarbeiterinnen und -arbeitern. Um international mitmachen zu können, sagt Martens, brauche man symbolisches Kapital, und das besorgt das von Rem Koolhaas gegründete Architekturbüro. Der Entwurf ist schlicht, mit quadratischem Grundriss, er entspricht den Konventionen, an denen sich Institutionsneubauten der letzten Jahre orientieren. Der Bau steht nun ein wenig westlich von Lusanga, sein Name: White Cube, ausgerechnet.
Wer ist in dieser Geschichte eigentlich der Held, muss man fragen. Irene Kanga, Plantagenarbeiterin und Bildhauerin, deren Arbeit "Forced Love" im Zentrum der Ausstellung in New York stand? Oder Matthieu Kasiama, der im Lauf des Films immer mehr zu Wort kommt und schließlich durch die Geschichte führt? Oder am Ende doch Martens, der mit seiner kritischen Kenntnis der internationalen Kunstwelt hilft, eine nachhaltige Infrastruktur zu bauen?
Kunstwelt belohnt Kritik am eigenen Betrieb
Bei all dem könnte man natürlich Kritik am Konzept des White Cube üben – was hat eine Institutionsform, deren Aufgabe es ist, Objekte fast sakral und losgelöst von ihrem Kontext auszustellen, auf einer Plantage zu suchen? Der Kritiker Eric Otieno Sumba merkt in dem Magazin "Frieze" an, dass bei Martens nie klar wird, warum er es so progressiv findet, dass Arbeiterinnen und Arbeiter ohne eigenen Landbesitz den Rückkauf von Land zu finanzieren, das ihnen einst gestohlen wurde. Die post-plantation – so nennt der Künstler das – sei ein anti-politisches Projekt, das auf politisch symbolträchtige Aktionen setzt, ohne je die Verhältnisse anzutasten. Und irgendwie stimmt das, Martens hat verstanden, dass die Kunstwelt Kritik am eigenen Betrieb meistens belohnt, und ihn damit weiterführt.
Die Galerie KOW in Berlin zeigt nun so etwas wie den zweiten Teil des Projekts. Zwei Protagonisten – Matthieu Kasiama und Cedart Tamasala, die man schon aus "White Cube" kennt, übernehmen die Leitung, sie reisen in sechs kurzen Folgen um die Welt, in die USA, um sich auf die Suche nach der Statue von Maximilien Balot zu machen. Der belgische Offizier war in den 1930er-Jahren daran beteiligt, eine Revolte der Pende im Auftrag des Lever-Konzerns niederzuschlagen. Balot wurde getötet. Die Pende fertigten eine Skulptur von ihm an, die über unklare Wege auf den Kunstmarkt gelangte, bis sie Anfang der 1970er-Jahre von dem Sammler und Afrikanisten Herbert Weiss erworben wurde, der sie wiederum an das Virginia Museum of Fine Arts verkaufte.
In den sechs Folgen verhandelt "The Plantation and the Museum" all das, was seit einigen Jahren die Debatte um die Rückgabe von Raubkunst bestimmte. Die postkoloniale Kritik kommt zu Wort. Kasiama und Tamasala fragen, die Theoretikerin Ariella Azoulay und andere antworten. Sie sprechen auch mit Richard Woodward, Kurator am Virginia Museum of Fine Arts, das die Skulptur besitzt. Woodward schreibt ihr magische Kraft zu, Tamasala widerspricht und erklärt geduldig die politische Funktion des Werks. Die Balot-Plastik jedenfalls ist gerade verliehen und wird in der Schweiz ausgestellt. "Aha", sagt Kasiama, "wenn die Statue nach Zürich reisen kann, kann sie doch sicher auch in den Kongo kommen." Ganz sicher, antwortet der Kurator, und man ahnt, dass er dieses Versprechen nicht halten wird.
Kritische Auseinandersetzung als Existenzgrundlage?
Weiss, der Sammler, der einst die Plastik für sehr wenig Geld im Kongo kaufte, sagt, wenn er sie nicht nach Amerika gebracht hätte, gäbe es sie heute wahrscheinlich nicht mehr. Die Kongolesen wenden ein, dass sie aber jetzt zurückkehren kann, schließlich haben sie ein leeres Museum, das nur auf das Hauptexponat wartet. "Absolut!", ruft Weiss. Dann aber sagt ausgerechnet der Kunstsammler, er finde diese Fixierung auf Objekte doch reaktionär. Er regt an, dass die Plantagenarbeiterinnen und -arbeiter sich auf ihre aktuelle Kunstproduktion konzentrieren.
Das letzte Kapitel dieser Geschichte – und eigentlich auch der Anlass für die Ausstellung bei KOW – sind die "Balot NFTs". Weg vom Objekt: Die Tokens wurde im Februar geprägt und zum Preis von 0,1 ETH verkauft – genug, um einen Hektar Land in Lusanga zu kaufen, sodass die Arbeiterinnen und Arbeiter nach und nach das Gebiet ihrer Ahnen zurückkaufen können.
Im Kleinen finden sich in der Geschichte von Balot und dem White Cube die Frustrationen aktueller Debatten um die Rückgabe von Raubkunst wieder. Allerdings sind Martens Videos nicht nur Dokumentationen. Von seiner etwas bizarren Selbstinszenierung als sanfter Fitzcarraldo, bis zum von OMA gestalteten Museum, scheint er auch etwas über die Funktionsweise der Kunstwelt sagen zu wollen, vor allem aber über seine eigene Arbeit. Ein Gentrifizierungsprogramm für Afrika, so nennt er das manchmal auch. In Kinshasa fungiert der 1973 geborene Künstler Direktor des Institute for Human Activities, wo er kritische Grundlagenkurse für Kunst anbietet, ähnlich wie er das zuvor auf der Plantage getan hat. "Die Menschen können nicht von der Plantagenarbeit leben", sagte er der britischen Zeitung "The Guardian", "aber sie können von der kritischen Auseinandersetzung mit Plantagenarbeit leben."