Streit um besprühte Luxusruinen in LA

"Graffiti ist das geringste eurer Probleme"

In Los Angeles haben Graffiti-Artists leerstehende Luxustürme von oben bis unten mit Tags überzogen. Die Reaktionen darauf sind ein Lehrstück über Gentrifizierung, staatliche Verantwortung und Widerstand durch Kunst 

Was stört das Stadtbild mehr – eine verglaste Bauruine oder 27 Stockwerke voller gesprühter Tags? Diese Frage beschäftigt derzeit die Bewohnerinnen und Bewohner von Los Angeles. In mehreren Nächten brachen Ende Januar und Anfang Februar Graffiti-Artists in die drei Türme des verwaisten Megaprojekts Oceanwide Plaza in Downtown ein und "verzierten" die Fensterscheiben des leerstehenden Gebäudes mit ihren bunten Schriftzügen. Was für die einen Hausfriedensbruch und Vandalismus war, ist für die anderen Kunst und ein politisches Statement. Immerhin wurde der Luxuskomplex nie fertiggebaut. Wann und ob er seine Türen öffnen wird, ist ungewiss, sogar unwahrscheinlich.

Ursprünglich waren die Türmen des Oceanwide Plaza mit einer Höhe von 40 bis 49 Stockwerken und 160 bis 205 Metern geplant, mit 504 Luxus-Eigentumswohnungen, einem Fünf-Sterne-Hotel und eigenem Einkaufszentrum. Die geschätzten Baukosten betrugen eine Milliarde US-Dollar. 

Hinter der Immobilie steht die chinesische Firma Oceanwide Holdings. Vier Jahre nach dem Baubeginn 2015 wurde das Projekt wegen finanzieller Probleme gestoppt und ist seitdem verlassen. Im Dezember verklagte außerdem das zuständige Sicherheitsunternehmen den Bauträger, weil dieser seine Zahlungen eingestellt hatte. Grund genug für die Street-Art-Künstlerinnen und -Künstler, ein Zeichen zu setzen. Und das an prominenter Stelle mit perfektem Timing: Die Türme befinden sich genau gegenüber der Crypto.com-Arena, wo am 4. Februar, also wenige Tage nach der Kunstaktion, die 66. Grammy Awards verliehen wurden.

Rückeroberung der Stadt?

Seit gut einem Monat nun strahlen die bunten Tags über Los Angeles. Sie sind zu einer touristischen Attraktion geworden und haben zahlreiche Nachahmerinnen dazu inspiriert, ebenfalls einzubrechen (inzwischen patrouilliert die Polizei, die das ausgefallene Sicherheitsunternehmen ersetzt), einige sprangen sogar mit Fallschirmen von den Türmen. Auch das Viertel, in dem die Luxusruine liegt, ist betroffen: Berichten zufolge wurde kurz nach der Sprayaktion in Teilen von Downtown Los Angeles ein Anstieg der Graffiti-Bilder um 300 Prozent verzeichnet.

Über die Motivation der Sprayer kann derweil nur spekuliert werden. Einer der Künstler, der sich "Merch" nennt, ließ sich, wie das Brooklyner Kunstmagazin "Hyperallergic" berichtet, von einer ähnlichen Aktion im Dezember 2023 inspirieren: Während der Art Basel wurde ein 20-stöckiges verlassenes Gesundheitsgebäude in Miami zugetaggt. 

Im selben Artikel wird "Aker" zitiert, der sagt: "Dieses Gebäude braucht seit Jahren Liebe. Wenn die Eigentümer nichts dagegen unternehmen, sind die Straßen von LA gerne bereit, etwas daraus zu machen." Ein anderer Artist namens "Actual" sagte der "Washington Post", mit dem Geld, das in die Gebäude investiert wurde, "hätte man so viel für diese Stadt tun können." Die Graffiti seien eine Erinnerung daran, dass sich die Kids ihre Stadt zurückerobern sollten.

Wofür Haushaltsgeld da ist

Was auch immer die Gründe sein mögen, warum sich die Künstlerinnen und Künstler auf den Oceanwide-Türmen verewigt haben – interessant sind die Diskurse, die daraus entstanden sind. Während die einen die Aktion begrüßen, weil sie ein Schlaglicht auf Gentrifizierung und Immobilienspekulation wirft, wetterte LAPD-Chef Michael Moore auf Twitter: "Das ist keine Kunst. Das ist ein Verbrechen." Eines, das übrigens hart bestraft werden kann; in Kalifornien sind für Vandalismus Geld- sowie Haftstrafen möglich, wobei letzteres in diesem Fall als unwahrscheinlich gilt.

Wochenlang wurde auch darüber debattiert, wer für die Kosten für die Beseitigung der Graffiti aufkommen solle. Der Stadtrat genehmigte schließlich knapp 3,8 Millionen Dollar für die Reinigung der Gebäude, um die Gerüste des Bauträgers zu entfernen, einen neuen Zaun zu errichten und eine neue Sicherheitsfirma zu engagieren. Mehr als fraglich, ob Los Angeles dieses Geld jemals von Oceanwide Holdings zurückzubekommen wird: Schon im Januar hatte ein Gericht in Hongkong die Abwicklung der Firma beantragt.

Dass Los Angeles ausgerechnet für die Graffiti-Entfernung von einem leeren Haus knapp 4 Millionen Dollar in die Hand nimmt, erzürnte nicht wenige, die dort wohnen. Roger Gastman etwa, Kunsthändler, Kurator und Filmemacher mit Fokus auf Street Art, schrieb am 18. Februar auf Instagram: "Für mich und viele andere Angelenos waren [die Türme] ein Schandfleck." Er verstehe, dass die Baustelle gesichert werden müsse. "Aber es gibt Communitys in Los Angeles, die Hilfe brauchen, zu viele, um sie alle aufzuzählen. Orte, an denen die meisten dieser Gelder ausgegeben werden könnten. […] Reißt euch zusammen, gewählte Vertreter von LA, und tut wenigstens einen Bruchteil der Dinge, die ihr versprochen hattet – Graffiti ist das geringste eurer Probleme." Er schließt seinen offenen Brief mit dem Kern der ganzen Geschichte: Die Stadt sollte sich mehr um "ernsthafte Probleme kümmern und den wirklich Bedürftigen helfen". Los Angeles aber hat sich entschieden, zumindest vorerst. Wichtiger als jene in Not sind unvollendete Luxusimmobilien und Symbole des globalen Finanzkapitalismus. Wir werden sehen, ob in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen ist.