Zum Tod von David Lynch

Er hat uns das Fürchten gelehrt, und wir haben es geliebt

Der Regisseur und Künstler David Lynch war ein hemmungsloser, im besten Sinne unzuverlässiger Erzähler, der Meisterwerke der Fantastik geschaffen hat. Nun ist er mit 78 Jahren gestorben

Manche Filme ähneln einem störenden Knubbel unter der Haut, den man sein Leben lang nicht loswird, von dem man zeitweilig sogar befürchtet, er könnte sich als bösartiger Tumor erweisen. So ein Film ist "Eraserhead", an dem David Lynch zwischen 1972 und 1976 herumtüftelte. Ein Kultfilm, wie später "Blue Velvet" oder "Mulholland Drive" und noch andere, die dem nun verstorbenen Filmemacher eine Weltkarriere beschert haben.

In seinem Spielfilmdebüt erzählte Lynch von einem Arbeiter namens Henry Spencer, der in einer alptraumhaften Industrielandschaft lebt, erstaunlich plötzlich Vater wird und sein missgebildetes Kind mit einer Schere tötet. Der Mord geht Henry natürlich nicht aus dem Kopf, der Kopf aber fällt dem bedrückten Protagonisten während eines Varietébesuchs von den Schultern und wird in einer Fabrik zu Radiergummispitzen für Bleistifte – Eraserheads – verarbeitet.

In einem frühen, von der University of California 1979 produzierten Videointerview fasst ein studentischer Reporter "Eraserhead" als "Traum von dunklen und beunruhigenden Dingen" zusammen und fragt Lynch, ob er das "ein wenig erläutern" könne, worauf der Filmemacher unverbindlich lächelt und mit "Nein" antwortet. Bis zuletzt verweigerte Lynch jede Beteiligung an den Versuchen, sein Werk zu entschlüsseln, das nicht nur aus Kinofilmen und drei Staffeln der Fernsehserie "Twin Peaks" besteht, sondern auch musikalische Kompositionen, Möbeldesign, Gemälde, Zeichnungen und Installationen umfasst. 2007 präsentierte die Fondation Cartier in Paris eine 800 Arbeiten umfassende Soloschau des Künstlers, 2010 wurde ihm der Kaiserring der Stadt Goslar verliehen. Noch bis Mitte Februar sind seine Grafiken in Oldenburg im Dialog mit Werken von Horst Janssen zu sehen. Der alarmierende Titel: "My House is on Fire".

Der Ursprung

David Lynch wurde am 20. Januar 1946 im US-Bundesstaat Montana geboren. Sein Vater war als Agrarwissenschaftler für das US-Landwirtschaftsministerium tätig, was nicht nur dazu führte, dass die Familie häufig den Wohnsitz wechselte, sondern den Jungen früh mit der Natur in Kontakt brachte. Durch die Arbeit seines Vaters sei er "mit Insekten, Krankheiten und Wachstum in einer organischen Welt in Berührung" gekommen, erzählte Lynch. Der Schritt von der Zivilisation in die Natur ist auch in seinen Filmen meistens kurz, exemplarisch zeigt das die Herzattacke von Beaumont senior am Anfang von "Blue Velvet", ein Ereignis, von dem Lynch in wenigen Schnitten von einem wild umherspritzenden Gartenschlauch zu im Gras krabbelnden Käfern übergeht.

Nach dem High-School-Abschluss studierte er ab 1964 an der Kunstakademie in Boston, brach nach einem Jahr ab, probierte sich an der Salzburger Sommerakademie von Oskar Kokoschka aus, reiste nach Paris und Athen – aber in Europa hielt er es nicht lange aus. Einige Gelegenheitsjobs an der US-Ostküste später begann Lynch 1965 ein Kunststudium in Philadelphia, malte, zeichnete und drehte erste Kurzfilme.

Weil es ihn überhaupt nach bewegten Bildern drängt, wechselt er 1970 ans American Film Institute (AFI) nach Los Angeles und studiert am dortigen Center for Advanced Filmstudies bis 1979. "Eraserhead", zuerst vom AFI gefördert, dann von Lynch mit finanzieller Unterstützung von Familie und Freunden fertiggestellt, stößt bei Mel Brooks’ neuer Produktionsfirma auf Begeisterung. Brooksfilms produziert Lynchs "Der Elefantenmensch" nach der wahren Geschichte des körperlich deformierten Londoners Joseph Merrick (1862-1890); das 1981 für acht Oscars nominierte Drama macht Lynch zum Shooting-Star in Hollywood. Erst 2019 bekam er übrigens einen Ehren-Oscar, seinen trotz diverser Nominierungen einzigen Academy Award.

Meisterwerke und Meditation

Das vom italienischen Tycoon Dino De Laurentiis produzierte Science-Fiction-Spektakel "Dune" (1984) wird ein 52-Millionen-Dollar-Flop, aber mit der vergleichsweise kleinen Produktion "Blue Velvet" (1986) kann Lynch seinen Ruf als Arthouse-Regisseur festigen. Im Kino folgen "Wild at Heart" (1990), "Lost Highway" (1997), "Mulholland Drive" (2001) und, Lynchs letzter Kinofilm, "Inland Empire" (2006), der komplett mit einer digitalen Handkamera gedreht und teilweise improvisierend ohne Drehbuch gefilmt wurde.

Nach "Inland Empire" machte der Regisseur vor allem Schlagzeilen mit seinem öffentlichen Einsatz für die umstrittene, von Maharishi Mahesh Yogi gegründete "Transzendentale Meditation". Lynch selber gründete 2005 eine Stiftung, die Schülern und Studenten das Erlernen dieser Meditationstechnik und des "Yogischen Fliegens" ermöglichen soll. In Berlin, hieß es seit 2006, wolle er eine "Universität für ein unbesiegbares Deutschland" errichten, auf dem Teufelsberg. Seit die Baugenehmigung für das Projekt ausblieb, hörte man von Lynchs wirren Plänen allerdings nichts mehr.

Besser als Weltbekehrung beherrschte er Malerei, Drehbücher und Filme. Kino konnte er. Abgesehen vom "Elefantenmenschen" (historisches Setting) und "Dune", der ins Fantasy-Genre gehört, sind alle Lynch-Spielfilme von einem sehr spezifischen Widerspruch zwischen gegenwärtig-realistischem Ambiente und delirierender Story geprägt. In den 1980ern hat sich in Hollywood die Erzählstrategie des "Mindgame-Movies" herauskristallisiert, das die Seltsamkeiten der Story am Ende auf ein getrübtes Subjekt zurückführt, der/die sich die Geschichte mehr oder weniger eingebildet hat. Mit dem Zusammenbruch der wahnhaften Hauptfigur (oder einer Dorfgesellschaft wie in M. Night Shyamalans "The Village") wird schließlich die (fiktive) Ordnung wiederhergestellt. Nicht so bei Lynch, der seinem Publikum keinen finalen Twist, keine Rückkehr ins "Normale" gestattet.

Unaufgelöste Erzähl-Dissonanzen

Für die Verwandlung Freds (Bill Pullman) in Pete (Balthazar Getty) in einer Gefängniszelle in "Lost Highway" wird keine Erklärung serviert. Ein anderes krasses Beispiel für unaufgelöste Erzähl-Dissonanz ist der Rollenwechsel Naomi Watts’ von der reüssierenden Hollywoodschauspielerin Betty zur von Depressionen und Wahnvorstellungen geplagten Diane. Vor Lynch hatte es derartige Brüche in der Erzähllogik im Mainstream-Kino kaum gegeben.

Der erstmals bei Edgar Allan Poe auftauchende "unzuverlässige Erzähler" wird, anders als in der Literatur und in Mindgame-Filmen, bei ihm aus der Handlung ausgeschlossen. Der Erzähler, dem man nicht trauen darf, steht in seinem surrealen Werk außerhalb der Story und war niemand anderes als David Lynch selbst – seine kategorische Verweigerung von Erklärungen darf also nicht verwundern. "Nein" heißt eigentlich "Ja" – zum hemmungslosen Fabulieren.

Jede Geschichte kommt irgendwann ans Ende. Vor drei Jahren überraschte Lynch noch mit seinem Cameo-Auftritt in Steven Spielbergs "Die Fabelmans", worin er einen anderen großen Erzähler der Filmgeschichte verkörperte, den Western-Großmeister John Ford. Im vergangenen Sommer gab Lynch bekannt, dass bei ihm eine unheilbare Lungenkrankheit diagnostiziert wurde. Jetzt ist er 78-jährig gestorben. Seine schwarze Kinomagie hat uns das Fürchten gelehrt, und wir haben es geliebt.