Museu de l'Art Prohibit in Barcelona

Was heißt eigentlich verbotene Kunst?

In Barcelona zeigt das neue Museu de l'Art Prohibit Kunstwerke, die aus unterschiedlichen Gründen verboten wurden. Das private Haus sieht sich als Triumph der Meinungsfreiheit, kommt aber ziemlich mit den Kategorien durcheinander

"Zensur, Cancel Culture und verschiedene Arten von Angriffen" prangt es in fetten Großbuchstaben auf der Website. Diese Schlagwörter stehen für das Konzept des im Oktober 2023 in Barcelona eröffneten Museu de l’Art Prohibit: Museum für verbotene Kunst. Dieses befindet sich in einer ohnehin schon an (Kunst-)Museen und Galerien reichen Stadt. Neben dem Museu Picasso, der Fundació Joan Miró und vielen Einrichtungen, die sich auf die Geschichte und Kultur Barcelonas und Kataloniens konzentrieren, genießt vor allem das MACBA für zeitgenössische Kunst internationales Ansehen. Zuletzt eröffnete im Herbst 2021 ein Ableger des Amsterdam’schen Moco Museum für moderne Kunst und Street Art. Da muss man sich etwas Neues überlegen, um aus der Masse herauszustechen. Doch genügt der Fokus auf vermeintlich verbotene Kunst für eine ganze Dauerausstellung?

Glaubt man Tatxo Benet (geboren 1957 in Lleida), dann ja. Erst im Jahr 2018 begann der katalanische Geschäftsmann damit, Kunst zu sammeln, knapp 200 Werke besitzt er heute. Gut 40 davon kann man jetzt in der modernistischen Villa Casa Garriga Nogués im zentralen Stadtviertel Eixample bewundern, wo das Museum eingezogen ist, darunter Werke von Pablo Picasso, Ai Weiwei, Francisco Goya und Gustav Klimt. 

Ein Rundgang durch die Ausstellung offenbart allerdings schnell ihre Schwachpunkte. Zum einen liefern die Begleittafeln oft wenig Informationen zu Künstlerinnen oder Exponaten, im Mittelpunkt steht nahezu ausschließlich ihre Skandalisierung. Und dann wirft die Ausstellung noch die Frage auf, wie man "verboten" überhaupt definieren will. Denn je nach Kontext bedeutet kontroverse Kunst nicht immer das Gleiche.

Nach wenigen Tagen wieder entfernt

Dabei zeigt das Museu de l’Art Prohibit, wie es möglich ist, politisch relevanten Werken einen angemessenen Rahmen zu geben. So etwa bei der "Statue of a Girl of Peace" des koreanischen Künstlerehepaars Kim Seo Kyung und Kim Eun Sungetwa, die eine sogenannte Trostfrau zeigt, koreanische Zwangsprostituierte in japanischen Bordellen während des Zweiten Weltkriegs. Die Friedensstatue sitzt auf einem von zwei leeren Stühlen, der neben ihr lädt das Publikum dazu ein, sich ebenfalls niederzulassen und somit ihren Blickwinkel einzunehmen. 

Die in diesem Fall ausführliche Beschreibung zum Werk erläutert verschiedene Aspekte der Statue; dass die Frisur schief ist, weil die Opfer gegen ihren Willen dazu gezwungen wurden, sich die Haare zu schneiden, oder dass der Schmetterling im Bodenmosaik die Hoffnung symbolisiert, von der japanischen Regierung eines Tages eine Entschuldigung zu bekommen. Diese ist in weiter Ferne: Auf der Aichi Triennale 2019 in Japan wurde das "Friedensmädchen" wenige Tage nach Eröffnung wegen Drohungen wieder entfernt. Für ein Museum, das sich verbotener und zensierter Kunst widmet, also ein sehr passendes Exponat.

Den wenigsten anderen Werken in der Ausstellung wird aber eine ähnliche Sorgfalt zuteil. Zu sehen sind unter anderem die BDSM-Fotos "X Portfolio" von Robert Mapplethorpe, die in den 1980er-Jahren in den USA für einen Skandal sorgten, ein Gemälde aus Andy Warhols "Mao"-Serie, die 2013 wegen "Respektlosigkeit" gegenüber Mao Zedong in China verboten wurde, sowie Bilder von in Guantánamo Inhaftierten. Diese hängen übrigens im selben Raum wie eine Nachahmung des Auschwitz-Schildes "Arbeit macht frei" der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera, einer Kritikerin von Fidel und Raúl Castro (vom Museum reißerisch als "Künstlerfeindin Nummer 1 des Castro-Regimes" bezeichnet).

Ist das Zensur?

Während diese Kunstwerke recht kontextlos und zusammengewürfelt ausgestellt werden, ist zumindest ersichtlich, warum sie Teil der Ausstellung sind. Viele andere Exponate aber wirken willkürlich, in ihrer Auswahl fast schon lächerlich. Etwa ein Poster für das Tennisturnier French Open von 1995, mit dem der mallorquinische Künstler Miquel Barceló beauftragt wurde und dessen Vorschlag schlicht und ergreifend abgelehnt wurde – von Verbot kann hier keine Rede sein. Oder ein gekreuzigter Ronald McDonald, ausgestellt 2019 im Stadtmuseum von Haifa, von dem erst die christliche Community forderte, es abzuhängen, und der dann schließlich vom Künstler Jani Leinonen selbst zurückgezogen wurde. Der Unterstützer der Boykottkampagne BDS hatte gar nicht gewusst, dass er überhaupt in Israel gezeigt wurde. 

Im Hinterhof steht zudem ein "Franco-Auto", das ein Foto des spanischen Diktators und Wappen seiner faschistischen Gruppierung Falange ziert. Das Künstlerduo Núria Güell und Levi Orta hatten geplant, 2015 während eines Festivals für zeitgenössische Kultur durch die katalanische Stadt Figueres zu fahren, was ihnen vom Rathaus untersagt wurde. Man muss sich vor Augen halten, dass das gerade einmal 40 Jahre nach Ende der Franco-Diktatur (1939-1975) war. Viele Menschen, die damals vor allem in Katalonien Angehörige und Freundinnen verloren hatten oder selbst gefoltert wurden, sind heute noch am Leben. 

Noch weitaus fragwürdiger sind Werke in der Ausstellung von "gecancelten" Künstler*innen wie Chuck Close, bei dem die National Gallery of Art in Washington, D.C. sein Selbstporträt 2018 wieder entfernte, nachdem es mehrere Vorwürfe von sexualisierter Gewalt gegen Close gegeben hatte. Ist das Zensur?

Problematische Gleichstellung

Was also macht "verbotene" Kunst aus? Politische Werke, die sich gegen unterdrückerische Obrigkeiten wenden und deswegen zensiert oder verboten werden, sind kaum vergleichbar mit jenen von Künstlerinnen und Künstlern, die aufgrund der von ihnen ausgeübten Gewalt, Antisemitismus oder einfach, weil ein in Auftrag gegebenes Plakat nicht den Ansprüchen der Auftraggebenden entsprach, "gecancelt" werden. Eine Gleichstellung der Bedeutung, die das Museu de l’Art Prohibit mit dieser Ausstellung zumindest vorzuschlagen scheint, kann man mehr als kritisieren. 

Es wirkt, als interessiere sich Tatxo Benet primär für die Kontroverse und nicht für das Werk an sich. Dazu passt, dass die Schilder in der Ausstellung (es gibt einen ausführlicheren digitalen Guide, ein Katalog liegt aus) nahezu ausschließlich die Skandale beschreiben. Benet ist sich dessen bewusst: "Es gibt Werke, die vielleicht keinen großen künstlerischen Wert haben, aber ihre Geschichte verdient es, im Museum gezeigt zu werden", sagte er in einem Interview mit dem britischen "Guardian". "Das ist es, was diese Werke gemeinsam haben, und es zeigt, dass die Zensur versagt hat, denn hier kann man sie sehen. Es ist ein Triumph der Meinungsfreiheit."

Eine Aussage, die man in Anbetracht dessen, wer hier (und im öffentlichen Diskurs) alles als "gecancelt" bezeichnet wird, zumindest diskutieren kann. Das bedeutet nicht, dass ein Besuch des Museums nicht auch durchaus interessant sein kann, gerade weil es zur Reflexion darüber einlädt, was verbotene Kunst eigentlich ist, ob Verbote mitunter nicht sogar nötig sind und ob das "Canceln" von Einzelpersonen wirklich das Gleiche wie Zensur bedeutet. Es wäre nötig gewesen, dass sich auch Benet und sein Team bei der Kuration der Ausstellung ebendiese Fragen stellen.