"A Model" im Mudam Luxemburg

Sichere Regie

Mit dem Ausstellungszyklus "A Model" will die neue Mudam-Direktorin Bettina Steinbrügge ihr Museum zum Erlebnisraum machen. Die ersten Kapitel sind schonmal geglückt

Im Herbst 1968 nutzte Palle Nielsen die Infrastruktur des Moderna Museet in Stockholm, um die Räume des Museums unter dem Titel "Model for a Qualitative Society" in einen Spielplatz zu verwandeln. Farben, Werkzeuge, Stoffe und Baumaterial luden dazu ein, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Das örtliche Theater steuerte seine Kostüme bei. Kinder konnten sich als DJs versuchen und ihr eigenes Musikprogramm produzieren. Lautsprecher übertrugen es ins ganze Museum, während im Restaurant die Eltern auf Bildschirmen die Aktivitäten der Sprösslinge verfolgen konnten. Der Eintritt war für die Kinder frei. Das Kunsthaus erreichte mit dieser gelebten Beteiligungsutopie die höchsten Besucherzahlen in seiner Geschichte.

Auf diese historische Ausstellung referiert jetzt "A Model" im Luxemburger Mudam mit Fotodokumenten des Originals und einem Konzept, das die Rolle des Museums im 21. Jahrhundert spielerisch reflektiert. Seit ihrem Amtsantritt an der Spitze des Mudam im April 2022 beschäftigt sich Bettina Steinbrügge mit der Sichtbarkeit der Sammlung und Strategien, wie der Museumsraum zu einem Ort der Aufführung und des intensiven Erlebens gemacht werden könnte. 

Den Auftrag eindrucksvoll und überaus facettenreich erfüllt die Prolog-Arbeit des libanesischen Künstlers Rayyane Tabet. Er integriert über Generationen reichende Familienerfahrungen in seine dreiteilige Installation: Designstücke von Alvar Aalto aus der Museumssammlung, die einem Sanatorium aus den 1930er-Jahren entstammen, und historische Ereignisse wie die Explosion in Beirut im August 2020.

Löwen bewachen das Innere

Die Gruppenausstellung dazu erstreckt sich selbstbewusst über den gesamten Raum des Museums, bis in den Außenraum, wo Löwenstatuen der Dänin Nina Beier liegend das Experiment im Inneren bewachen. Gleich am Museumseingang trifft man auf ein aufrüttelndes Video von Tony Cokes. Seit den frühen 1990er-Jahren widmet sich der US-Amerikaner der Darstellung afroamerikanischer Gemeinschaften in Film, Werbung und Musikvideos. Die dynamisch geschnittenen Filmessays kombinieren gefundene Textfragmente mit Popmusik und thematisieren strukturellen Rassismus und Polizeibrutalität.

Im Großen Saal hat Oscar Murillo seine inklusive "Arena" in der Gestalt einer halbrunden Holzkonstruktion aufgestellt. Man kann sich zu seiner "Familie" aus Stoffpuppen dazusetzen, die die kolumbianische Arbeiterklasse verkörpern sollen, und mit ihnen gemeinsam das Filmprogramm schauen. Oder gleich nebenan in die atemberaubende Museumswelt von Isaac Julien eintauchen. 

Das fiktive Treffen zwischen dem Kunstsammler Albert C. Barnes, dem afroamerikanischen Philosophen Alain Locke und einem zeitgenössischen afrikanischen Kurator zu Beginn des 20. Jahrhunderts projiziert der Brite "in die Vergangenheit der Gegenwart". Die auf fünf Leinwände ausgedehnte Installation "Once Again… (Statues Never Die)" hat mit ihren Ausflügen in die glamouröse Zeit der Harlem Renaissance eine hypnotische Wirkung, was sie in anderen Erzählsträngen nicht daran hindert, die Frage nach der Dekolonisierung westlicher Museen zu stellen.

Wurzeln schlagen fällt leicht

Und dann gibt es noch den obligatorischen Geschlechtertausch: Die radikale Feministin Bianca Pucciarelli Menna beschloss 1971, das männliche Pseudonym Tomaso Binga in Anlehnung an den Begründer des Futurismus Filippo Tommaso Marinetti anzunehmen. Ein Versuch, die Privilegien der männlichen Welt, nicht zuletzt auch in der Kunstwelt, in Frage zu stellen. Bekanntlich machten die Futuristen die "Verachtung der Frau" zum Programm. 

In seinem Handbuch "Wie man die Frauen verführt" von 1909 erklärte Marinetti, wie der Mann mit seinem agilen, militärisch gestählten Körper Frauen zu willenlosen Dienerinnen seines Begehrens reduzieren kann. Im postironischen Zeitalter des Identitätsdiskurses grenzt die scheinbar affirmative Wahl an eine Provokation, in den 1970ern war es offenbar ein probates Kampfmittel. Ihre Gedanken drückte die heute 93-Jährige in Collagen, Lautpoesie, Malerei und bissiger Performance aus. Das Groteske, das Respektlose und Unsinnige sind die Zutaten ihrer Gedicht-Aufführungen, die in unterschiedlichsten Medien in einem gänzlich zutapezierten "Wohnzimmer"-Saal zu besichtigen sind.    

Im Obergeschoss trifft man auf ein Piratenschiff, entworfen von der US-Künstlerin und Aktivistin Andrea Bowers als "Symbol und Klischee der Rebellion" und wandelt durch Myriaden von gleichfarbigen Blumentöpfen, die Nina Beier und Bob Kil in akkurater Reihung aufgestellt haben: eine humorvolle Hommage auf Massenproduktion, Formatierung, museale Sammelwut und Wandelbarkeit der Wertsetzung von Objekten und zugleich kritische Reflexion des ökologischen Abdrucks des Kunstbetriebs. Dank Steinbrügges kuratorisch sicherer Regie trifft in dem weit gefassten Rahmen dieser im besten Sinne engagierten Auswahl Ernsthaftigkeit auf die fragile Gegenwart, Augenzwinkern auf Stimmen, die etwas zu sagen haben - in diesem Kunsttempel fällt es leicht, Wurzeln zu schlagen.