Medienschau

"Den Horror im Alltäglichen finden, aber auch die Schönheit im Schrecken"

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Trauer um David Lynch, die tiefen Spuren der Neuen Sachlichkeit im Heute und ein Orangen-Schock für die Kunstwelt: Das ist unsere Presseschau am Freitag
 

Nachruf

Fast alle Feuilletons sind an diesem Freitag voll mit Trauer um den Ausnahme-Regisseur und Künstler David Lynch. Neben der Wertschätzung für sein Werk widmet sich die "Welt" auch den dramatischen Umständen seines Todes. "Jahrelang publizierte Lynch täglich einen Wetterbericht aus Los Angeles auf seinem YouTube-Kanal. Und dann begann es in seiner Stadt zu brennen. Der alte Mann, der sein Leben lang geraucht hatte und an einem Emphysem litt, einer Lungenblähung, konnte erst sein Haus nicht mehr verlassen, und bald vermochte er sich auch daheim nur noch mit Sauerstoffmaske zu bewegen. Vor einer Woche musste David Lynch aus seinem Haus in West Hollywood evakuiert werden. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. Nun ist er vier Tage vor seinem 79. Geburtstag gestorben." Einen "sanften Blick in den Abgrund" attestiert Carolin Ströbele dem Kino-Zauberer in der "Zeit". "Den Horror im Alltäglichen finden, aber auch die Schönheit im Schrecken, das war David Lynchs Meisterschaft." "FAZ"-Autor Dietmar Dath schwärmt in seinem Nachruf über die "sensationell sichere Mischung aus Furchtlosigkeit und Zutraulichkeit" in Lynchs Filmen. Wer sich über Unverständlichkeit beklage, übersehe eine zentrale Qualität seines Werks: "Diese Nichtnacherzählbarkeit ist der Sinn der sogenannten Unverständlichkeit bei Lynch: Wer unter 'verstehen' versteht, dass man etwas aus Bild, Ton und Bewegung Gemachtes in Text übersetzt, geht hier leer aus. Hierin ist Lynch treuer Gefolgsmann der sehr alten Kunstlehre, die dafürhält, dass die verschiedenen Gattungen der Kunst für Verschiedenes gut sind und das seinen großen Wert hat."


Neue Sachlichkeit

Ganz und gar nicht sachlich sind die Spuren, die die Kunst- und Literaturrichtung Neue Sachlichkeit in der deutschen Kulturgeschichte hinterlassen hat. Darauf weist der Soziologe Nathan Sznaider in einem eindringlichen Vortrag an der Kunsthalle Mannheim hin, der in einer gekürzten Version auch in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht wurde. Darin beleuchtet er unter anderem das Schicksal von jüdischen Vertretern der Stilrichtung in der Weimarer Republik und erinnert daran, dass den während der NS-Zeit Verfolgten auch nach dem Krieg die Anerkennung in der Bundesrepublik lange verwehrt wurde - wenn sie denn überlebt hatten. Symptomatisch ist dafür auch die zweite Documenta in Kassel: "Wer 1959 nicht zum Fest der Documenta II geladen wurde, war unter anderem der neu-sachliche Maler Felix Nussbaum. Auch er lässt mit seinen Bildern Geschichten sichtbar werden. Nussbaums Werk malt die politische Ausgrenzung, die rassistischen Verfolgungen, die drohende Deportation, ja die eigene Vernichtung. Es ist die Literatur der Neuen Sachlichkeit auf die Leinwand gemalt. Die Eindringlichkeit gerade seiner letzten Gemälde entkoppelt den persönlichen Blick von seinem spezifischen Ort und seiner spezifischen Zeit und bringt auf diese Weise die Mauern der Gleichgültigkeit zum Einsturz, schafft also Räume des Mitfühlens. Dies können nicht nur Bilder leisten, sondern neu-sachliche Sprache ganz allgemein, ob als Sprache der Fotografie, der Malerei, der politischen Theorie, der Soziologie oder der Literatur. Felix Nussbaum wird in einem der letzten Transporte aus Brüssel über das Sammellager Mechelen nach Auschwitz gebracht und dort ermordet."


Waldbrände in Los Angeles

Von den verheerenden Feuern in den Hügeln von Los Angeles ist auch der Schweizer Kurator Philipp Kaiser betroffen, der einst das Museum Ludwig in Köln leitete und heute Partner bei der Galerie Marian Goodman ist. Seine Erfahrung im Kampf gegen die Flammen in seinem Wohnviertel in Altadena berichtet er im "Spiegel". Zum Zeitpunkt der Schilderung stand das Haus der Familie noch, war aber weiterhin bedroht. Neben seinem eigenen Zuhause bangt er jedoch auch um ein ganzes Viertel und ein Lebensgefühl: "In den Siebzigerjahren ist der Künstler Bruce Nauman nach Altadena gezogen, in den Achtzigerjahren kam Paul McCarthy und schließlich ebenso die Filmkünstlerin Diana Thater sowie die Malerin Laura Owens und viele andere. Alle haben sie ihre Häuser verloren. Der Verlust ist gewaltig. Als vor drei, vier Jahren immer mehr junge Hipster nach Altadena zogen, ist ein einzigartiger und vor allem charmanter Mix aus neuen Restaurants entstanden, der wenig mit radikaler Gentrifizierung zu tun hatte, sondern eben eher mit einer Freigeistigkeit. Doch wie schaut die Zukunft aus, wenn das Feuer verschwindet, der Wind sich gelegt hat? Wird die Architektur an das Alte erinnern oder durch einfache Bauten und Nachverdichtung schlichter Wohnraum geschaffen? Es wird Jahre dauern. Wo werden wir bis dahin leben?"


Geburtstag

Vor genau 100 Jahren wurde der Bildhauer Duane Hanson (1925-1996) geboren, der mit seinen hyperrealistischen Skulpturen immer noch die Museumsbesucher verzückt und gruselt. Philipp Meier würdigt den Künstler in der "NZZ" und räumt auch mit dem Vorurteil auf, Hanson sei es um die Abbildung von realen Vorbildern gegangen. "Den allzu menschlichen Hang, realistischen Ebenbildern zu verfallen, machte sich Hanson für seine lebensgrossen, wie echt aussehenden Figuren zunutze. Hansons Kunststück gründet eigentlich im Verismus, der vorsätzlich augentäuschenden Nachbildung der Realität. Seine Skulpturen verblüffen durch ihre künstliche Echtheit. Bis auf jede Falte, jede Ader, jede Pore sind sie lebendigen Vorbildern nachgebildet, die der Künstler seit den sechziger Jahren im amerikanischen Alltag fand. Allerdings sind nur die wenigsten seiner Kunststoff-Plastiken einem bestimmten Individuum nachempfunden. Hansons Werke sind eine Art Collage von Individuen, also ganz bewusst komponierte Figuren. Dennoch: Wann immer wir in einer der öffentlichen Kunstsammlungen dieser Welt auf ein solches Werk des Amerikaners stossen, glauben wir für den ersten Augenblick, auf einen realen Menschen zu treffen."

 

Das besondere Getränk

Neben den offensichtlich großen Katastrophen der Welt gibt es auch die vermeintlich kleinen, hinter denen wiederum die großen stecken. Aufgrund der Klimakrise bricht die Orangenernte ein und somit wird auch eines der deutschen Lieblingsgetränke, der O-Saft, deutlich teurer. Timo Feldhaus sieht darin in der "Berliner Zeitung" auch eine schlechte Nachricht für die Kunstwelt: "Natürlich, der selbst gepresste Orangensaft wird uns fehlen. Aber vor allem: Campari Orange, Tequila Sunrise, Sex on the Beach, es wird weniger leckere O-Saft-Cocktails geben, die Hawaii-Toasts der Alkoholkarte. Und die furchteinflößendste Vermissung: die Orangenscheibe am Aperol Spritz! Diese Nachricht ist durchaus sehr wesentlich für das Feuilleton: Denn was sollen die Künstler dieser Welt nun in Venedig zur Biennale trinken? Ja, auch sie müssen in Zukunft darben. Die fehlende Scheibe, denken Sie, macht doch nichts. Aber solche Details, die nicht mehr am Platz sind, verderben auf lange Sicht alles! Die Welt ist eine Scheibe. Jedenfalls in einem guten Getränk an der Bar."