Marc-Aurèle Debut, wir haben uns im Januar auf der Art Genève kennengelernt, wo Sie mit Ihrer ersten Solo-Booth "What are u into?" beim Centre d'Art La Meute vertreten waren. Ihr Stand war radikal reduziert – auf ein einziges Werk, "Butt On" von 2022. Eine gepolsterte Leinwand, geformt nach Ihrem eigenen Gesäß. Welche Reaktionen gab es?
Es ist etwas passiert, womit wir nicht gerechnet hatten. Wir haben starke Reaktionen erwartet – polarisierende Reaktionen, Leute, die den Stand ignorieren oder sich extrem davon angezogen fühlen. Aber während der ersten drei Stunden des Openings haben die Leute den Stand einfach nicht betreten. Es war wirklich seltsam. Wir standen da und versuchten zu verstehen, woran es lag. Es gab da eine Art unsichtbare Linie auf dem Boden. Wir hatten uns dazu entschieden, den Boden unseres Standes bewusst roh zu lassen, weil wir den Kontrast zwischen den weißen Wänden und der Arbeit spannend fanden – so entstand ungewollt eine Barriere zwischen dem Messeteppich und unserem Boden. Diese Grenze wurde für die Besucher real, sie traten einfach nicht darüber. Das war faszinierend, denn meine Arbeit beschäftigt sich mit Interaktion, mit der Einbeziehung von Körpersprache und Emotionen. Ich saß also da und beobachtete, wie die Leute vor dieser unsichtbaren Grenze stehen blieben. Es fühlte sich an wie ein sechs Tonnen schwerer Elefant im Raum.
Was glauben Sie, war der Grund, weshalb die Besucherinnen und Besucher nicht über die Linie traten?
Ich glaube, es gab zwei Gründe. Zum einen hat Leere eine abschreckende Wirkung – sie kann Menschen verunsichern, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Zum anderen war da diese starke Spannung im Raum. Einige Leute sagten mir später, sie hätten es als wahnsinnig intensiv empfunden. Ich glaube, dass das Werk die Leute auf eine sehr unmittelbare Weise getroffen hat. Diese magische Geste – die Radikalität dieses einen einzelnen Objekts im Raum – war von Anfang an ein zentrales Element unseres Ansatzes. Wir wussten nicht genau, wie es sich entwickeln würde, aber wir waren sicher, dass es eine Wirkung haben würde. Unser Ziel war es, einen starken Eindruck zu hinterlassen, vor allem weil wir in einem nicht-kommerziellen Rahmen arbeiteten.
Der nicht-kommerizielle Ausstellungsraum Centre d’Art La Meute war eine von 22 Institutionen, die auf der Art Genève vertreten waren. Gab es ohne den Verkaufsdruck mehr Freiheit, eine künstlerische Haltung zu zeigen?
Ja. Die Präsentation meines Werks war nicht nur eine einzelne Skulptur an der Wand, sondern eine gesamte Installation. Die Platzierung an der Wand hatte zudem eine besondere Bedeutung: Sie war eine Reflexion über die glory holes, die im späten 19. Jahrhundert in London auftauchten. Diese dienten homosexuellen Männern als Möglichkeit, sich anonym sexuell auszudrücken – eine kreative Notwendigkeit in einer Zeit, in der Homosexualität unter Strafe stand. Damals konnten schwule Männer nicht einmal in ihren eigenen vier Wänden sicher sein, weil Nachbarn sie hätten denunzieren können. Daher mussten sie Wege finden, sich heimlich zu treffen – oft in Parks oder an Bahnhöfen, wo jedoch zu viele Menschen unterwegs waren. So wurden öffentliche Toiletten zu versteckten Orten des Begehrens. Die glory holes waren nicht nur eine Notlösung, sondern entwickelten sich mit der Zeit zu einer eigenen Fetischpraxis – das anonyme Begehren wurde Teil der Erfahrung. Dabei waren es nicht nur homosexuelle Männer, sondern auch heterosexuelle Männer, die sich dort heimlich ausprobierten oder den Reiz des Verbotenen suchten. Diese Art der geladenen, verborgenen und anonymen Interaktion hat mich fasziniert – und eine solche Spannung wollte ich mit meiner Installation erzeugen.

Marc-Aurèle Debut auf der Art Genève
"Butt On", dieses gepolsterte, fast körperhafte Objekt irgendwo zwischen Fetisch und Wohnraumästhetik, fokussiert auf Machtverhältnisse innerhalb queerer Communities, insbesondere das Bottom-Shaming. Was hat es damit auf sich – und warum hat es Sie gereizt, gerade dieses Thema in eine skulpturale Form zu übersetzen?
Das Thema begleitet queere Männer seit Jahrzehnten. Es geht, wie Sie schon sagten, um Machtverhältnisse innerhalb queerer Communities – vor allem darum, wie die Rolle des "Bottoms", des empfangenden Parts beim Sex, oft mit Schwäche und Unterordnung assoziiert wird. Als ich anfing, meine Homosexualität auszuleben, bin ich dabei erstmal hauptsächlich Tops begegnet. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich verschiedene Rollen ausprobiert habe. Dabei musste ich mir vieles selbst beibringen, denn niemand spricht offen über diese Themen. Ich habe mich also informiert – etwa darüber, wie man sich vorbereitet. Es steckt ein erheblicher Zeitaufwand dahinter: Man verbringt teils eine Stunde damit, sich zu reinigen, nur um dann möglicherweise von einer Verabredung kurzfristig versetzt zu werden. Das ist mir mehrmals passiert. Beim ersten Mal dachte ich mir nichts weiter dabei, beim zweiten Mal wurde ich misstrauisch, und beim dritten Mal wurde mir klar, dass dahinter eine systematische Missachtung steckt. Als ich dann meinem Date schrieb: "Ich habe mich gerade eine Stunde vorbereitet, und du sagst mir jetzt ab?", bekam ich nur die Antwort: "Bottoms sind so dramatisch." Dieser Satz hat mich sehr getroffen – und genau solche Mechanismen wollte ich in meiner Arbeit verhandeln. Es gibt innerhalb der queeren Community unausgesprochene Regeln. Wer welche Rolle übernimmt, wird oft im Vorfeld geklärt. Wenn sich zwei Menschen spontan in einem Club treffen, kann es sein, dass einer der beiden sich bereits vorbereitet hat – und dadurch für den ganzen Abend auf eine bestimmte Rolle festgelegt ist. Es gibt eine ganze Schicht von Erwartungshaltungen, Druck und Körperpolitik, über die kaum gesprochen wird. Diese Themen sind nicht nur persönlich, sondern auch gesellschaftlich und politisch. Sie betreffen nicht nur das Individuum, sondern auch die queere Community als Ganzes. Deswegen ist es mir so wichtig, mit meiner Kunst ein Bewusstsein für diese Strukturen zu schaffen.
Viele Ihrer Werke setzen den Körper in Beziehung zum Raum – sie fordern körperliche Nähe, bestimmte Haltungen oder sogar eine Art von Voyeurismus. Das ist für "Butt On" der Fall, aber zum Beispiel auch für "Looking?" (2024). Dabei handelt es sich um eine Serie von Miniaturfotografien Ihrer intimen Begegnungen, in der Sie die Betrachtenden dazu zwingen, sich diesen Bildern auf eine fast mikroskopische Weise zu nähern. Geht es dabei auch um Kontrolle?
Das ist eine sehr gute Frage. Um darauf zu antworten, muss ich ein wenig zurückgehen und erklären, wie meine künstlerische Praxis überhaupt entstanden ist. Als ich im ersten Jahr meines Kunststudiums war, habe ich mich zunächst mit Fotografie und Kurzfilmen ausgedrückt, weil ich frisch aus dem Medizinstudium kam und noch meinen Weg finden musste. In der Kunsthochschule wurde mir gesagt: "Vergiss deine medizinische Ausbildung, du musst hier experimentieren, Dinge ausprobieren, ohne dass dein früheres Wissen dich einschränkt." Während meiner Recherchen stieß ich auf ein Buch, das alles für mich veränderte: "Die Phänomenologie der Wahrnehmung".
Es stammt von dem französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty.
Genau. Das Buch wurde ursprünglich 1945 veröffentlicht und analysiert das Konzept der Wahrnehmung. Es beschreibt ein Dreiecksverhältnis zwischen Körper, Objekt und Raum – also die Art und Weise, wie wir unseren Körper in der Umgebung wahrnehmen und wie er sich mit ihr in einer Art stetigem Austausch befindet. Ich las es und dachte: Genau das ist es, was ich mit meiner Kunst ausdrücken will. Ich will, dass die Betrachtenden mit meinem Werk interagieren, dass sie sich bewegen, eine bestimmte Haltung einnehmen müssen.

Marc-Aurèle Debut "Looking?", Detail
Zum Beispiel zwingt "Butt On" die Menschen, sich zu bücken, wenn man es genauer betrachten will ...
... genau wie ein Bottom, der sich bückt. Ich spiele mit dieser Geste und mit der Körperlichkeit der Betrachtenden selbst. Auf der Eröffnung der Art Genève gab es eine witzige Situation: Eine Frau betrat den Stand, sagte nichts, beugte sich nach vorn, streckte ihre Zunge heraus und tat so, als würde sie das Werk ablecken. Dann fragte sie, ob das okay sei. Sie führte damit – ganz unbewusst – genau die performative Geste aus, auf die ich abgezielt hatte. Das war faszinierend, weil sie instinktiv das tat, worum es mir in der Arbeit geht. Bei "Looking?" wollte ich das Publikum noch stärker zur Nähe zwingen. Um die Bilder zu sehen, muss man sich ihnen extrem nähern. Das zwingt die Betrachtenden in eine intime Beziehung zu den Aufnahmen, fast so, als würde ich ihnen ein kleines Fenster in diese Begegnungen öffnen. Ich mag diese immersive Qualität – je mehr ich meine Arbeiten weiterentwickle, desto mehr möchte ich die Betrachtenden in sie hineinziehen. Ist das Kontrolle? Vielleicht. Ich denke, alle Künstlerinnen und Künstler üben in gewisser Weise Kontrolle aus – auch in der Malerei. Wenn du ein Gemälde machst, kontrollierst du, wie der Blick gelenkt wird. Aber in meinen immersiven Arbeiten geht es nicht darum, zu manipulieren, sondern eine Erfahrung zu ermöglichen.
In "HnH (High 'n' Horny)" (2024) thematisieren Sie Chemsex, also Geschlechtsverkehr unter Einfluss von GHB, Mephedron, Ketamin, Crystal Meth und anderer Substanzen – eine Thematik, die oft mit Scham oder Verdrängung behaftet ist. Ihr Umgang damit ist gleichzeitig analytisch und persönlich. Ist das für Sie eine Form der Konfrontation, der Verarbeitung?
Für mich ist es definitiv eine Form der Verarbeitung, aber auf eine verzerrte Weise. Ich habe diese dunkle Phase meines Lebens hinter mir gelassen, und jetzt, mit einer gewissen Distanz, fühle ich mich stark genug, um darüber zu sprechen und es in meiner Kunst zu verhandeln. Das Werk setzt sich mit Sex- und Drogenabhängigkeit auseinander, mit Exzessen, Orgien – es ist eine schonungslose Darstellung dieser Welt. Der Entstehungsprozess war für mich hochgradig kathartisch, weil ich viele der Objekte, die ich im Werk verwendet habe, direkt aus diesen Umfeldern gesammelt habe. "High 'n' Horny" ist eine Deckeninstallation bestehend aus Kleiderbügeln, die mit schwarzen Klebebandstreifen drapiert sind. Vakuumverpackt und in die Schichten von Gaffer-Tape eingewickelt, findet man dort weggeworfende Dinge vom Boden solcher Räume: Drogen und Pharmazeutika wie Kokain, Ecstasy und Ketamin, Poppersflaschen und HIV-Medikamente. Sexuelle Untensilien wie Cockringe, Kondome und eine Tube Gleitgel. Und Gegenstände, die oft für eine Nacht gekauft und dann weggeworfen oder vergessen werden: Feuerzeuge, Sonnenbrillen und Kaugummis zum Beispiel. Jedes dieser Objekte trägt eine emotionale Aufladung in sich. Zusammengenommen bilden sie eine Art Toolkit für Chemsex.
Wenn man das Werk aus der Ferne betrachtet, sieht es fast flüssig aus, als würde es schmelzen.
Genau dieses Gefühl wollte ich erzeugen: die Schwere und den Druck, der sich nach solchen Nächten einstellt. Dieses tiefe Versinken in Scham und Leere, das viele empfinden. Doch wenn man näher herantritt, entdeckt man die Details: all die gesammelten Objekte, die ein sehr konkretes Bild dieser Realität zeichnen. Ich sehe meine Arbeit als radikale Geste. Ich will die Betrachtenden konfrontieren, zum Nachdenken anregen – manchmal auf eine brutale Weise. Nach der ersten Ausstellung dieses Werks bekam ich viele Nachrichten von schwulen Männern, die mir auf Instagram schrieben, wie sehr sie sich in der Arbeit wiederfänden. Sie erzählten mir von ihren eigenen Erfahrungen mit Chemsex, von Sucht, von Scham, aber auch davon, dass sie durch meine Arbeit das Gefühl hatten, nicht allein zu sein. Ich hatte gar nicht realisiert, wie stark die Wirkung des Werks war – es war ursprünglich ein sehr persönliches Projekt. Aber es wurde zu etwas Größerem, das eine ganze Community berührte. In den 1980er-Jahren war HIV die existenzielle Krise der queeren Community – heute sehe ich Chemsex als eine neue, unsichtbare Epidemie. Es zerstört Leben, isoliert Menschen, aber es wird kaum darüber gesprochen. Ich kenne viele, die in diesem Kreislauf gefangen sind: Man sucht nach Befreiung, nach intensiven Erlebnissen, aber verliert dabei oft die Kontrolle über sich selbst. Die Mechanismen dahinter sind erschreckend ähnlich – eine Mischung aus gesellschaftlichem Druck, Stigma und einem System, das es queeren Menschen noch immer nicht erlaubt, ihre Sexualität frei und ohne Angst zu leben. Deshalb ist es mir wichtig, diese Themen nicht nur in privaten Gesprächen, sondern auch in der Kunst sichtbar zu machen. Es geht nicht um Moral oder Verurteilung, sondern darum, die Realität so schonungslos wie nötig zu zeigen.

Marc-Aurèle Debut "HnH (high ‘n’ horny)", 2024
Ihre Arbeiten greifen häufig Theorien von Marquis de Sade, Michel Foucault, Paul B. Preciado, Jacques Derrida oder Georges Bataille auf. Gibt es ein theoretisches Konzept, das Sie zuletzt besonders beschäftigt hat? Und wie zeigt sich das in Ihren aktuellen Arbeiten?
Foucaults, Preciados, Derridas und Batailles Texte sind unglaublich kraftvoll, weil sie sich mit der Befreiung von Sexualität und mit gesellschaftspolitischen Strukturen auseinandersetzen. Aber ein Konzept, das mich zuletzt besonders beschäftigt hat, ist das der Abjektion. Ich habe mich gefragt: Was bedeutet Abjektion eigentlich genau? Wie wirkt sie in der Gesellschaft, in der queeren Community und in politischen Diskursen? Die Theorie der Abjektion wurde vor allem von Julia Kristeva geprägt ...
... in ihrem Buch "Powers of Horror" untersucht sie, wie Abjektion, also alles, was Ekel und starke Ablehnung hervorrufen kann, in kulturellen Narrativen funktioniert.
Sie beschreibt sie als einen Prozess, der das Abstoßen oder Aussondern bestimmter Elemente aus der Gesellschaft beinhaltet – sei es in Form von Horror, Diskriminierung oder auch internalisierten Scham-Mechanismen. Ich fand das faszinierend, weil es genau das ist, womit ich mich in meiner Kunst beschäftige: mit dem Gefühl des Andersseins, mit Ausgrenzung, mit den Spannungen innerhalb der queeren Community selbst. Abjektion hat eine enge Verbindung zur Psychoanalyse. Freud sprach über Neurose, Lacan über Psychose – beide betrachteten Abjektion als eine Art der persönlichen Auflösung, einen Verlust der eigenen Grenzen. Mich interessiert besonders, wie Foucault diese Konzepte weitergedacht hat, etwa in Bezug auf die Disziplinierung von Körpern oder die Mechanismen der Selbstkontrolle.
Wie zeigt sich das in der Praxis?
Einige meiner Arbeiten befassen sich mit gesellschaftlichen Erwartungen an den Körper – wie die Zwänge, denen queere Menschen ausgesetzt sind, um in ihre eigenen Communities zu passen. Es gibt in der queeren Community eine paradoxe Situation: Man kämpft darum, akzeptiert zu werden – und dann gibt es innerhalb der Community selbst wieder Kategorien, in die man passen muss. Wer nicht der Norm entspricht, wird schnell ausgeschlossen. Das betrifft Körperbilder genauso wie Rollenbilder. Es gibt da strikte Einteilungen: Twinks, Daddys, Jocks, Bears … Dieser Druck führt dazu, dass viele sich extremen körperlichen Veränderungen unterziehen, sei es durch exzessiven Sport oder durch Medikamentenmissbrauch, um sich einem bestimmten Schönheitsideal anzupassen. Dieser Zusammenhang zwischen Abjektion und Körpernormen ist etwas, das ich in meiner Arbeit untersucht habe, insbesondere in Skulpturen und Installationen wie "The Plight of Masculinity", das sich mit Fitnesskultur und Körpermodifikationen beschäftigt. Die Arbeit inszeniert eine Art dystopisches Fitnessstudio – eine Folterkammer für den Körper. Denn die Körperbilder, die in der schwulen Community herrschen, sind nicht nur ein Ausdruck von Begehren, sondern auch von Selbstzerstörung. Das ist keine oberflächliche Frage, sondern hat direkte Auswirkungen auf die psychische Gesundheit vieler queerer Menschen.

Marc-Aurèle Debut "The Plight of Masculinity", 2023