Design Akademie Saaleck

Keine Monumente mehr

Die Design Akademie Saaleck hat ihr Zuhause in einem problematischen Bau mit faschistischer Vergangenheit. In der Nähe von Naumburg an der Saale soll jetzt eine Design-Institution mit Zukunft entstehen

Paul Schultze-Naumburg fing 1902 an, sein Anwesen zu errichten, mit Gärten und Tennisplätzen, später baute er einen Speisesaal und eine Küche an. Vom einstigen Glanz ist heute nicht mehr viel zu sehen. Die labyrinthartigen Räume wirken, als wären sie entkernt worden, die Fliesen sind gesprungen. Oben im Speisesaal, wo zum Tag der offenen Tür Ende Juni Schülerinnen und Schüler der nahen Landesschule Pforta Musik spielen, ist der Boden mit Linoleum in Holzoptik bedeckt. Ansonsten ist alles leer.

Dieser Ort soll umgewidmet werden, und in Ansätzen ist das auch schon geschehen. Die Design Akademie Saaleck hat ihr Programm bereits begonnen, die dänische Architektin Dorte Mandrup hat einen kühnen Entwurf vorgelegt – eine geschwungene Brücke soll mehrere Gebäude miteinander verbinden – , außerdem liefert das Kopenhagener Studio den Masterplan zur Renovierung der Anlage: restaurieren, erhalten, hinzufügen. Der Garten braucht auch noch ein bisschen Arbeit, und die niederländische Gestalterin Marjan van Aubel ist im Gespräch, ein großformatiges Fenster mit eingebauten Solarpanelen zu designen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Anwesen als Altersheim genutzt, das 1995 geschlossen und an einen Investor verkauft wurde. Die Stiftung hat im vergangenen Jahr die Westterrasse mit dem dramatischen Blick über die Saale gekauft, und nach und nach sollen die historischen Liegenschaften wiedervereinigt werden. "Wir haben Ideen für jeden einzelnen Teil", sagt Arne Wasmuth, der Gründungsdirektor der Designakademie am Tag der offenen Tür, an dem es besonders heiß ist. Auf lange Sicht soll es hier zusätzlich einen ganz neuen Bau geben, der aus komplett natürlichen Materialien entstehen soll.

Transformation eines unbequemen Denkmals

Als das Projekt vor der Covid-19-Pandemie begann, glaubte in der dünn besiedelten Region kaum jemand an den Erfolg. Der Kunstsammler Egidio Marzona war der erste große Unterstützer der Idee, und die Stiftung, die das Haus unterhält, trägt seinen Namen. Marzona gab die Mittel, das Anwesen zu kaufen und das Programm anzustoßen, das mittlerweile vor allem vom Land Sachsen-Anhalt getragen wird. Das Geld für die Renovierung geben Land und Bund hinzu. Eine private public partnership nach amerikanischem Vorbild soll hier entstehen.

Immer wieder ist die Rede von Wandel: Die Stiftung will dieses unbequeme Denkmal transformieren. Auf dem Anwesen, wo Schultze-Naumburg bis in die 1930er-Jahre lebte, und wo in Ateliers und Werkstätten seine Entwürfe umgesetzt wurden, traf sich schon in den 20ern die künftige Elite des deutschen Faschismus: Künstler, Architekten, Rassentheoretiker, auch Hitler kam vorbei. Die Landschaft um die Stadt Naumburg mit ihren romanischen Burgen und dramatischen Felsen galt als besonders deutsch. Bevor die Nazis an die Macht kamen, wurde hier eine ästhetischen Ideologie entwickelt, die sich gegen alles richtete, was modern und kosmopolitisch war.

Schultze-Naumburg wurde Direktor der Kunsthochschule von Weimar, nachdem die erzkonservative Landesregierung 1925 das Bauhaus aus der Stadt vertrieben hatte. Er ließ Oskar Schlemmers Wandgemälde entfernen und verbannte moderne Kunst aus den Museen. Er repräsentierte die finstere Unterseite des Modernismus, die den Widrigkeiten der Industrialisierung mit einem Rückzug in völkische Deutschtümelei, Antisemitismus und Rassismus beikommen wollte. Dieser politischen Ästhetik hat Schultze-Naumburg mit seinen Werkstätten ein Denkmal gesetzt, und der kommende künstlerische Leiter Germane Barnes will sich eben diese Art von Monumenten ansehen: historische Monumente und den Kanon, informelle Monumente, die nicht offiziell anerkannt sind, Landschaft, Statuen und Gebäude als Monumente.

Barnes ist der zweite künstlerische Leiter in Saaleck, nach Maurizio Montalti, einem italienischen Gestalter, der Design und Biotechnologie verbindet. Die Position wird wechselnd besetzt, die Leiterinnen und Leiter setzen Projekte um und arbeiten mit den Fellows der Akademie.

Dissonanz der Kontexte

Barnes, in Chicago geboren, in Miami lebend, kommt aus einem Kontext, der kaum verschiedener von Saaleck sein könnte. Bei ihm gehören Architektur und und die kritische Arbeit mit ihr zusammen: "Ich beginne jedes Projekt mit einer Recherche. Wenn mich etwas interessiert, dann wird es zu einem Objekt." Er untersucht gemeinschaftliche Orte, die sich vor allem in Schwarzen Vierteln finden – die Veranda als Raum der Zusammenkunft, beispielsweise – , er untersucht die Grundformen des Klassizismus – Säule, Portikus – und rückt sie aus ihrem eurozentrischen Fokus, er forscht zu den Spuren der Rassentrennung in US-amerikanischen Städten.

Diese Arbeit mündet oft nicht in Gebäuden, sondern in Installationen, beispielsweise "Block Party", ein pink-blaues Objekt wie eine Mischung aus Klettergerüst und Charlotte-Posenenske-Skulptur. Die Plastik, die von der Chicago Architekturbiennale in Auftrag gegeben wurde, soll an die reiche Kultur spontaner Zusammenkünfte der Stadt in Illinois erinnern, an Block Partys eben.

Die Dissonanz der Kontexte kann sich aber auch als produktiv erweisen. Das diesjährige Fellowship-Programm, für das vier Designerinnen, Architekten und Künstlerinnen eingeladen wurden, trägt den Titel "Monumental Affairs": "Am Anfang", sagt Barnes einige Tage später in Berlin, "wird es darum gehen, die Begriffe Monument und Mahnmal zu definieren. Wie lange muss etwas da sein, um zum Monument zu werden?"

"Eigentlich möchte ich gar kein Monument errichten"

Die Ergebnisse werden Anfang September bei einem dreitägigen Symposium präsentiert. Vielleicht kann man Barnes’ Arbeit, die so sehr an Städte und den US-Kontext gebunden scheint, doch auch auf Saaleck anwenden. Man könne der Geschichte nicht entkommen, sagt er. "Wenn mich jemand fragt, ob ich mich hier unwohl fühle, dann antworte ich, dass ich als Schwarzer Mann in den USA lebe. Jeder Ort, den ich dort betrete, ist umkämpft."

Im Kern von Barnes’ Praxis steckt das Prinzip Tactical Urbanism, eine temporärer Aufruf, auf räumliche Ungerechtigkeiten hinzuweisen. "Das kann mit Kreide auf dem Boden geschehen, mit Schildern oder Objekten", erklärt der Architekt. Bloß ist Saaleck mit seinen knapp über 200 Einwohnern nicht gerade urban. "Man fragt sich natürlich, wird das irgendjemand in Saaleck sehen? Aber es gibt einige wichtige Orte, zum Beispiel den Bahnhof und die alte Burg, an denen viele Menschen vorbeikommen."

Sein Ziel ist es, die Fellows informelle Monumente zu konzipieren, nicht auf dem Gelände von Schultze-Naumburgs Anwesen, sondern draußen, in der Landschaft, in die sich Ideologie tief eingeschrieben hat. "Eigentlich möchte ich gar kein Monument errichten", sagt Barnes dann noch. "Die Frage ist doch immer: Wer hat eigentlich das Vorrecht, ein solches Denkmal zu erbauen? Die Unterprivilegierten bekommen meistens keine formalen Monumente."