Glitzer in der Kunst

Das Verführerischste, das aus Mikroplastik werden kann

Gerade zum Jahresende kann man dem Glitzer in Schaufenstern und Kleiderschränken kaum entkommen. In der Kunst kann das Glänzende für Luxus stehen, aber auch politisch sein. Und inzwischen sind die Flitterpartikel auch eine Umweltfrage 

"Auf dem Boden der Tatsachen liegt zu wenig Glitzer." "Ich stehe mit beiden Beinen fest im Glitzer." "Mit ein bisschen Glitzer geht doch alles." Man könnte noch ewig weitermachen mit dieser Aufzählung an schaurig-kitschigen Kalender-Sprüchen. 

Besonders beliebt wird das Blinken und Schimmern im Dezember. Es ist nicht nur der Monat für Glühwein, Lebkuchen und Tannenbäume, sondern auch der, in dem alles zu funkeln beginnt. Läuft man durch Einkaufsstraßen, lässt sich Glitzer kaum vermeiden: Cocktailkleider mit silbernen Pailletten, Pullover aus schimmerndem Garn und synthetische Leuchtstoffe versprechen das perfekte Silvester-Outfit. Alle machen mit: von Zara, Asos und H&M, bis zu Marken wie Ted Baker, Ralph Lauren und Hugo Boss. Es sind Kleidungsstücke, bei denen zumindest auf eins Verlass ist: dass sie nach dem 31. Dezember bei den meisten für ein ganzes Jahr im Schrank verschwinden.

Aber mit der Kleidung hört es natürlich nicht auf. Auch Make-Up, Accessoires und Dekoration werden immer schillernder. In der Silvesternacht schließlich glitzert man in Pailletten gehüllt mit dem Feuerwerk am Himmel um die Wette.

Hübsch, aber leider aus Plastik

Die Natur kommt etwas weniger schrill daher. Dennoch fasziniert uns auch hier das Glänzende seit jeher. In der Kunst ist dieser besondere Schein unzählige Male abgebildet worden, von leuchtenden Reflexionen auf dem Wasser, etwa in Claude Monets "Impression, Sonnenaufgang" oder David Hockneys "Swimming Pool", bis zu Gestirnen wie in Vincent van Goghs "Sternennacht". All diese Lichtspiele erscheinen nur zu bestimmten Tageszeiten. Es braucht Ruhe und den genauen Blick, um diese Schönheit wahrzunehmen.

Eben die steht aber nicht nur für Komtemplation, sondern auch für Luxus und Exklusivität. So werden Edelmetalle wie Gold und Silber zu Schmuckstücken verarbeitet, Edelsteine, Juwelen und Kristalle in Form geschliffen. Helle Diamanten, rote Rubine, grüne Smaragde, gelbe Citrine und blaue Saphire: farbenfrohe Steine aller Art sind seit Jahrtausenden ein Zeichen für Prunk und Reichtum. So sind die britischen Kronjuwelen bis heute die weltweit wertvollste Sammlung ihrer Art. Spätestens Audrey Hepburn setzt mit ihrem ikonischen Coverfoto von "Frühstück bei Tiffanys" einen Trend und macht Edelschmuck in der Popkultur begehrenswert für alle. Das Geschmeide verspricht, etwas Geheimnisvolles zu sein, das Träger und Trägerinnen elegant und aufregend erscheinen lässt.

Der Glitzer, der im Dezember die Schaufenster dominiert, ist nicht nur weniger edel als diese Vorbilder, er hat auch noch ein weiteres Problem: er besteht aus Plastik. Erfunden wurde der künstliche Glanz 1934 von dem US-amerikanischen Mechaniker Henry Ruschmann. Aus beschichteten Plastikfolien stanzte er kleine Partikel aus. Auf einmal gab es Glitzer für alle. Anders als in den 1930er-Jahren gibt es heute nur noch wenig Euphorie diesen Partikeln gegenüber. Im Oktober diesen Jahres hat die EU losen Glitzer und Glanz versprechende kosmetische Produkte, die aus Mikroplastik bestehen, zum Wohle der Umwelt verboten

Was glitzert, ist ästhetisch weiblich codiert

In den Sozialen Medien ging in diesem Zuge der Hashtag "Glitzerverbot" viral, User und Influencer befürchteten, dass ihr Leben bald weniger glamourös und bunt aussehen würde. Dabei stellt sich die EU natürlich nicht gegen Glitzer an sich, sondern gegen Mikroplastik. Solange die Partikel biologisch abbaubar sind, bleiben sie erlaubt. Sogenannter "Bio-Glitzer" besteht dann zum Beispiel aus pflanzlicher Zellulosefolie, Mineralien aus Halbedelsteinen und Shellack.

Ob nun öko oder nicht: Glitter ist ästhetische Popkultur. Auch in der Kunstwelt tauchen immer wieder funkelnde Werke auf. Die New Yorker Künstlerin Leah Schrager setzt ihn in ihren Werken wiederholt in Verbindung mit nackten Frauenkörpern und widmet dieser Form mit "Glitter Peach" (2016) eine eigene Serie

So sieht man beispielsweise auf dem Collage-artigen Bild "The Gift (the necklace)" eine nackte Frau vor einem Bücherregal. Teile des Hintergrunds, ihr Gesicht und ihr Intimbereich sind von Gold bedeckt. Die weiteren Werke folgen dem Schema, dass die unbekleideten, selbstbewusst posierenden Frauen von glitzernden Formen, die mit den Linien ihrer Körper korrespondieren, bedeckt werden. Dass Leah Schrager Glitzer in Verbindung mit Frauenakten zeigt, passt zu unserer visuellen Prägung. Auch in den Geschäften hängen die meisten paillettenbesetzten Kleider, metallisch glänzende Taschen oder mit Strass besetzte Schuhe in Damenabteilungen. Was glitzert, ist ästhetisch weiblich codiert.

Glitzern gegen Stereotypen

2021 arbeitete der US-Maler Devan Shimoyama dagegen an und zeigte in Erlangen mit seiner Ausstellung "All the Rage" eine Vielzahl an psychedelisch anmutenden, glitzernden Werken. Durch den Einsatz von Schmuck, Pailletten und Strass zeigte er männliche Verletzlichkeit und zog auch eine Verbindung zur Drag-Szene. Shimoyamas Kunst richtet sich gegen vorherrschende Bilder von Männlichkeit und ist ein buntes Plädoyer gegen Schwulen- und Frauenhass. 

Nicht ohne Grund glitzert es auch auf vielen Pride-Paraden, bei denen Sichtbarkeit für die LGBTQIA+-Community geschaffen werden soll. Viele Teilnehmenden ziehen sich bunt an, tupfen Flitter in ihre Gesichter, machen sich besonders sichtbar.

Tröstlich, zumindest für einen Abend

Aber was ist es letztlich, was uns an Glitzer schon so lange fasziniert? Wir versprechen uns durch das Leuchten etwas Besonderes, den Ausbruch aus einem manchmal grauen Alltag. Glitzer zieht uns an und fesselt uns, die Partikel verändern ihr Strahlen mit verschiedenen Licht- und Blickwinkeln, sodass wir uns nur schwer davon abwenden können. 

Vielleicht hilft uns das gegen die Tristesse des Winters oder gegen Melancholie. Es gibt 2023 schließlich besonders viele Gründe, nicht nur mit Freude auf das vergangene Jahr zu blicken. Am Silvesterabend ein bisschen Glitzer darauf zu streuen, mag symbolisieren, dass es besser werden kann. Es kann tröstlich sein. Zumindest für eine Nacht. Oder so lange, wie der festgesetzte Flimmer zwischen den Ritzen im Parkett funkelt. Da wären wir wieder beim Boden der Tatsachen.