Zuletzt machte er vor allem als Kulturpolitiker auf sich aufmerksam. Das "Deutsche Fotoinstitut", seit Jahren in der Überlegung, aber noch nicht einmal in Gründung, wollte er unbedingt in Düsseldorf errichtet sehen. Dort ist Andreas Gursky aufgewachsen, hier hat er seine Ausbildung zum Fotokünstler absolviert, hier wurde er zum Weltstar seines Mediums.
Ein wenig zu deutlich schimmerte in seinem politisch bestens abgesicherten Engagement für den rheinländischen Sitz eines solchen Instituts die Absicht durch, das eigene Lebenswerk auf Dauer zu sichern und unterzubringen. So stärkte er ungewollt die Gegenkräfte, darunter solche, die eher Essen mit seiner Folkwang-Schule als geeigneten Standort ansahen.
Dabei hatte Gursky, geboren 1955 in Leipzig, aber schon im Babyalter mit der Familie an den Rhein gekommen, zunächst in Essen studiert. Den großen Otto Steinert, diesen bundesdeutschen Maßstab für qualitätvolle Schwarz-Weiß-Fotografie, hatte er dort nicht mehr erleben können. Er starb, als Gursky gerade zu studieren begonnen hatte. Stattdessen lernte er unter anderem bei Michael Schmidt, auch er ein Meister der analogen Schwarz-Weiß-Fotografie. Dass er 1980 an die Kunstakademie Düsseldorf wechselte, um seine Ausbildung bei Bernd Becher fortzusetzen, war insofern folgerichtig, denn auch Bernd und seine Frau Hilla Becher fotografierten unbestechlich das, was sie vor sich sahen, in Schwarz-Weiß.
Aus Gewöhnlichem nie Gesehenes machen
Andreas Gursky schlug dann aber einen völlig anderen Weg ein, und wenn er heute weltberühmt ist, dann für seine Monumentalfotografien, die erstens in Farbe daherkommen – und oftmals regelrecht bunt sind – und zweitens nicht das wiedergeben, was vor der Kamera lag, sondern was Gursky aus zahlreichen, ja zahllosen Einzelfotografien am Computer zusammenfügt. Es sind die Aufnahmen von unüberschaubar großen Menschenansammlungen, ob im Börsensaal oder einer asiatischen Fabrikhalle. Oder von menschengemachten, aber jede menschliche Dimension sprengenden Bauten, wie jenem Wohnblock in Paris, den es hinter dem Bahnhof Montparnasse tatsächlich gibt, der aber vom menschlichen Auge nie so wahrgenommen werden kann, wie er auf Gurskys Fotografie erscheint.
An die 200 Meter lang ist dieser vielgeschossige Bau, so etwas wie eine menschliche Ameisensiedlung. Aber man hat vor Gurskys Fotografie den Eindruck, auch dieses Abbild könne mühelos von tatsächlichen vier Metern in der Breite auf mehrere hundert anwachsen.
Bemerkenswert viel Architektur findet sich in Gurskys Lebenswerk, aber keine gewöhnliche, sondern stets eine besondere. Beziehungsweise: Gursky kann auch aus gewöhnlicher Architektur, wie jener in Paris, etwas Besonderes machen, etwas nie Gesehenes.
"Kein Dokumentarist, sondern ein subtiler Manipulateur des Bildes"
Dazu braucht es den Blick des Fotografen, der bei seinen Reisen – und er hat buchstäblich die ganze Welt bereist – erkennen kann und muss, was sich später aus den Aufnahmen seiner wuchtigen Plattenkameras zu einem am Computer vollendeten Kunst-Bild verdichten lässt. So wie die merkwürdig verschiedenartigen, aber gleich hohen Wohnhochhäuser in Brasilien, wie die gerundete Bibliothek in Stockholm. Oder auch die Nachtansicht von Los Angeles, die gerade in diesem Augenblick, da Teile der Stadt vom Feuer weggebrannt wurden, mit ihren tausenden von Lichtern im Dunkeln eine kaum verdeckte Mahnung ausspricht.
Gursky sei "kein Dokumentarist, sondern ein subtiler Manipulateur des Bildes", hat ein kluger Kritikerkollege einmal geschrieben; das bringt es auf den Punkt. Gursky ist zutiefst ein Künstler, das heißt jemand, der die Welt nach seinem Bilde formt. Der eine Vorstellung hat von dem, was er vor sich sieht, was er aber anderen Menschen, den späteren Betrachtern seiner Werke, überhaupt erst erschaffen muss. "Wirklichkeit ist überhaupt nur darzustellen, indem man sie konstruiert", hat er einmal gesagt und damit auf den Erkenntnisgewinn gezielt, den sein künstlerisches Vorgehen ermöglicht.
Gerade in der Überdehnung und Überzeichnung des Gesehenen gewinnt die banale Alltagsrealität eine Aussagekraft, die ihr Innerstes enthüllt, wie in der höllenbunten Supermarkt-Ansicht "99 Cent" von – ausgerechnet! – 1999, die die Überwältigung, die Überforderung durch die Warenwelt bloßlegt. Kein Wunder, dass ausgerechnet diese Aufnahme, pardon, diese Montage, es auf die Titelseite einer deutschen Zeitung gebracht hat.
Genau der richte Zeitpunkt für einen Aufbewahrungsort
Andreas Gursky wird qua Ausbildung der "Becher-Schule" zugerechnet; das war einige Jahre lang ein eher willkommenes Etikett, unter dem sich Jungstars wie Gursky, Thomas Ruff oder Thomas Struth in den 1980er- und 90er-Jahren vermarkten ließen. Aber es ging dann doch jeder seinen eigenen Weg.
Den der Monumentalisierung hat kaum ein zweiter so konsequent beschritten wie Gursky mit seinen Vier-mal-zwei-Meter-Bildern. Dass sie sich am Markt bestens verkaufen ließen, wird gern hinzugefügt, auch wenn der Hype, einst angestachelt durch einen Auktionsweltrekord von 4,3 Millionen Dollar für eine seiner Rheinlandschaften, mittlerweile etwas abgeflaut ist. Heute wird Andreas Gursky 70 Jahre alt. Genau der richtige Zeitpunkt, um in einem Fotoinstitut endlich den richtigen Aufbewahrungsort für seine Arbeiten zu finden.