Es gibt kaum ein Werk, das so offen scheint, so unberechenbar in seiner Entwicklung wie das von Gerhard Richter. Hatte man ihn gerade noch als Maler erlebt, der in traditioneller Handarbeit emphatische Bildauftritte inszenierte, saß er ein paar Jahre später am Computer und machte mit avancierter Software diesen Maler wieder unkenntlich. Jetzt sind neue Streifen- und Lackbilder des Künstlers zusammen mit Konstruktionen aus Stahl und Glas in einer sorgfältig kuratierten Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur zu besichtigen.
Was wie ein jäher Wechsel zwischen Optionen aussieht, ist gut begründet und werklogisch verknüpft. So scheinen die Streifenbilder mit ihrem strengen Layout und ihrer technischen Bauart – digitale Prints zwischen Alu-Dibond und Acrylglas – unendlich weit von den großen, farbgestisch freien Bildern entfernt zu sein. Und doch haben sie ihren Ursprung in der abstrakten Malerei, bei der Richter die Farbmassen mit der Rakel verteilt und aufgeraut hatte. Sie liefert das Basismaterial für die neuen „Strips“, wie die schmalen Bilderfriese heißen, die auf den ersten Blick anmuten, als seien vielfarbige Schnüre an der Wand verspannt worden.
Als Ausgangsbild diente ein Gemälde aus dem Jahr 1990, das sich aus angedeuteten waagerechten und senkrechten Strukturen und Malgesten aufbaut. Richter hat das Bild hochauflösend reproduzieren lassen, hat es dann mal horizontal, mal vertikal geteilt, die beiden Hälften jeweils vertauscht und dieses Verfahren des Schneidens und Spiegelns so lange wiederholt, bis aus dem ganzen Gefüge ein Streifengewebe aus dünnen Farbfäden geworden war.
Nichts erinnert mehr an die dichte malerische Textur. Und all die vielen Farbinformationen, die in der Malerei zum sinnlichen Ereignis verschmolzen sind, erscheinen nun wie bei einer Laboranalyse in farblineare Bestandteile zerlegt und vollends aus der visuellen Ordnung gebracht. Unterscheidungen sind bei der Feinheit der Elemente kaum möglich. Es flimmert vor den Augen, und die winzigen Details verbinden sich zu irisierender Wirkung.
Was diese Bilder geschaffen hat, könnte man als komplexes Bildbearbeitungsprogramm beschreiben. Ein Programm zur Herstellung undurchsichtiger farbsinnlicher Entscheidungen, in das sich der Maler selbst einbaut, indem er festgelegten Regeln folgt und zugleich aus den angebotenen Möglichkeiten frei wählt. So gesehen wäre es auch nicht richtig zu sagen, der Zufall führe Regie. Gerhard Richter ist in diesem Prozess an jeder Entscheidung beteiligt. Er steuert mit, er bestimmt, wie lange das Aufspalten des Farbmaterials geschehen soll, das Ergebnis aber kann er genauso wenig planen und absehen wie bei seinen abstrakten Bildern.
Das gilt geradeso für die andere neue Serie der Lackbilder, die zunächst ganz ohne künstlerische Eingriffe auskommen. Der Maler beobachtet dabei, wie die farbigen Lacke sich gleichsam selbst malen, wie sie beim Ausgießen auf einer Glasplatte schlierig ineinanderfließen, ohne sich zu mischen, wie da und dort farbige Wolken entstehen und wie sich diese stauen und türmen. Um dann in einem letzten Arbeitsschritt die zähe Dynamik mit einer aufgepressten Glasplatte zu stoppen und zu fixieren, dass man an Einschlüsse in Sedimentgestein denken könnte.
Die Bilder verbergen ihre technische Herkunft nicht. Wenn man sie an den abstrakten Malereien misst, von denen sie abstammen, und ihre Temperaturen vergleicht, dann ist es, als sei nach der Phase der Aufheizung nun die Abkühlung eingetreten. Eine neue Werkphase lang hat sich das richtersche Bild in eine Art Retina-Display verwandelt. Und mehr noch als früher erscheint es unsinnig, von diesen Bildern so etwas wie Tiefe zu erwarten, verborgenen Erzählstoff, irgendwelche Zeichen, eingeschlossen zwischen Glas und Alu. Wo es prinzipiell unendlich viele Möglichkeiten gibt, die Farbfäden zu reihen und die Wolken aufeinanderprallen zu lassen, hat jede einzelne getroffene Entscheidung nicht mehr Würde, nicht mehr Bedeutung als alle anderen, die möglich sind.
Im ruhigen Fluss seiner Arbeit führt Richter in immer neuen Anläufen vor, wie sich Bilder auch und gerade vor dem Hintergrund ihrer medialen Vernutzung behaupten. Noch einmal entlasten die Serien der Streifen- und Lackbilder und die zwischen Raum und Skulptur oszillierenden Konstruktionen aus Glasplatten von den Erwartungen an den groß handelnden Künstler. Ein Spätstil ist es wahrhaft nicht, wie sich Gerhard Richter gleichsam hinter der Bühne versteckt, wie er seine Bilder ihre eigene Sinnlichkeit finden lässt und mit ihrer Sinnlichkeit gleich alle Sinnfragen erledigt.
"Gerhard Richter: Streifen und Glas", Kunstmuseum Winterthur, Schweiz, bis 21. April
Was wie ein jäher Wechsel zwischen Optionen aussieht, ist gut begründet und werklogisch verknüpft. So scheinen die Streifenbilder mit ihrem strengen Layout und ihrer technischen Bauart – digitale Prints zwischen Alu-Dibond und Acrylglas – unendlich weit von den großen, farbgestisch freien Bildern entfernt zu sein. Und doch haben sie ihren Ursprung in der abstrakten Malerei, bei der Richter die Farbmassen mit der Rakel verteilt und aufgeraut hatte. Sie liefert das Basismaterial für die neuen „Strips“, wie die schmalen Bilderfriese heißen, die auf den ersten Blick anmuten, als seien vielfarbige Schnüre an der Wand verspannt worden.
Als Ausgangsbild diente ein Gemälde aus dem Jahr 1990, das sich aus angedeuteten waagerechten und senkrechten Strukturen und Malgesten aufbaut. Richter hat das Bild hochauflösend reproduzieren lassen, hat es dann mal horizontal, mal vertikal geteilt, die beiden Hälften jeweils vertauscht und dieses Verfahren des Schneidens und Spiegelns so lange wiederholt, bis aus dem ganzen Gefüge ein Streifengewebe aus dünnen Farbfäden geworden war.
Nichts erinnert mehr an die dichte malerische Textur. Und all die vielen Farbinformationen, die in der Malerei zum sinnlichen Ereignis verschmolzen sind, erscheinen nun wie bei einer Laboranalyse in farblineare Bestandteile zerlegt und vollends aus der visuellen Ordnung gebracht. Unterscheidungen sind bei der Feinheit der Elemente kaum möglich. Es flimmert vor den Augen, und die winzigen Details verbinden sich zu irisierender Wirkung.
Was diese Bilder geschaffen hat, könnte man als komplexes Bildbearbeitungsprogramm beschreiben. Ein Programm zur Herstellung undurchsichtiger farbsinnlicher Entscheidungen, in das sich der Maler selbst einbaut, indem er festgelegten Regeln folgt und zugleich aus den angebotenen Möglichkeiten frei wählt. So gesehen wäre es auch nicht richtig zu sagen, der Zufall führe Regie. Gerhard Richter ist in diesem Prozess an jeder Entscheidung beteiligt. Er steuert mit, er bestimmt, wie lange das Aufspalten des Farbmaterials geschehen soll, das Ergebnis aber kann er genauso wenig planen und absehen wie bei seinen abstrakten Bildern.
Das gilt geradeso für die andere neue Serie der Lackbilder, die zunächst ganz ohne künstlerische Eingriffe auskommen. Der Maler beobachtet dabei, wie die farbigen Lacke sich gleichsam selbst malen, wie sie beim Ausgießen auf einer Glasplatte schlierig ineinanderfließen, ohne sich zu mischen, wie da und dort farbige Wolken entstehen und wie sich diese stauen und türmen. Um dann in einem letzten Arbeitsschritt die zähe Dynamik mit einer aufgepressten Glasplatte zu stoppen und zu fixieren, dass man an Einschlüsse in Sedimentgestein denken könnte.
Die Bilder verbergen ihre technische Herkunft nicht. Wenn man sie an den abstrakten Malereien misst, von denen sie abstammen, und ihre Temperaturen vergleicht, dann ist es, als sei nach der Phase der Aufheizung nun die Abkühlung eingetreten. Eine neue Werkphase lang hat sich das richtersche Bild in eine Art Retina-Display verwandelt. Und mehr noch als früher erscheint es unsinnig, von diesen Bildern so etwas wie Tiefe zu erwarten, verborgenen Erzählstoff, irgendwelche Zeichen, eingeschlossen zwischen Glas und Alu. Wo es prinzipiell unendlich viele Möglichkeiten gibt, die Farbfäden zu reihen und die Wolken aufeinanderprallen zu lassen, hat jede einzelne getroffene Entscheidung nicht mehr Würde, nicht mehr Bedeutung als alle anderen, die möglich sind.
Im ruhigen Fluss seiner Arbeit führt Richter in immer neuen Anläufen vor, wie sich Bilder auch und gerade vor dem Hintergrund ihrer medialen Vernutzung behaupten. Noch einmal entlasten die Serien der Streifen- und Lackbilder und die zwischen Raum und Skulptur oszillierenden Konstruktionen aus Glasplatten von den Erwartungen an den groß handelnden Künstler. Ein Spätstil ist es wahrhaft nicht, wie sich Gerhard Richter gleichsam hinter der Bühne versteckt, wie er seine Bilder ihre eigene Sinnlichkeit finden lässt und mit ihrer Sinnlichkeit gleich alle Sinnfragen erledigt.
"Gerhard Richter: Streifen und Glas", Kunstmuseum Winterthur, Schweiz, bis 21. April