Annie Sprinkle und Beth Stephens über Sexökologie

"Wir reden schmutzig mit Pflanzen"

Annie Sprinkle, Beth Stephens, Mitte Juli haben Sie im englischen Colchester das erste internationale Sexökologie-Symposium geleitetet, an dem Künstler und Theoretiker aus 18 Ländern teilnahmen. Was genau bedeutet Sexökologie?
Annie Sprinkle: Das Wort bezeichnet die Überschneidung von Sexologie und Ökologie.
Beth Stephens: Es geht uns darum, sexuelle Energie für darüber hinausgehende Ziele zu nutzen. Als wir vor einigen Jahren begannen, uns in der Umweltbewegung zu engagieren, merkten wir, dass wir da einfach nicht hineinpassten. Also überlegten wir, wie wir die Ökologiebewegung für Queer-Aktivisten, Transmenschen und Freaks öffnen können.
AS: Und für Sexarbeiter.
BS: Und alle anderen, die nicht Teil der weißen Mittelschicht sind. Außerdem finden wir die Ökologiebewegung zu langweilig. Unser Ziel ist, mehr Spaß, Erotik und Diversität in die Bewegung zu bringen.
AS: Wir wollen die Erde feiern und sie lieben.
BS: Deshalb haben wir die Metapher von der Erde als Mutter verschoben zur Erde als Geliebte. Die Mutter wird zwar in den meisten Kulturen verehrt, aber einfach nicht gut behandelt. Sie ist eine Ressource, die ausgebeutet werden kann. Wenn wir die Erde dagegen als unsere Geliebte annehmen, dann fragen wir nicht, was die Erde uns zu geben hat, sondern, was wir der Erde geben können. Und Geben ist eine sehr machtvolle Handlung.

Ihre Performances und Interventionen arbeiten gezielt mit den Mitteln der Absurdität und Übertreibung. Wer sind Ihre Vorbilder?
BS: Ich bewundere die Dadaisten und Fluxus-Künstler sehr, weshalb wir viele dieser Techniken verwenden. Die Zerstörung der Umwelt ist absurd, und wenn eine Situation schlicht verrückt ist, dann ist die einzige Möglichkeit darauf aufmerksam zu machen, indem man ihr mit einem entsprechenden Maß an Irrwitz zu begegnen. Außerdem bin ich der Ansicht, dass Humor entwaffnet. Und genau das fehlt der Umweltbewegung. Man muss sich die ganze Zeit schlecht fühlen, um zu beweisen, wie ernst es einem ist. Doch daraus kann man keine Kraft schöpfen. Wir verwenden Humor als Strategie, Räume für Hoffnung zu öffnen.
AS: Allerdings sollte man sich schon auch für Sexualität interessieren. Unsere Aussage ist, dass Sex mehr ist als gegenseitig Genitalien stimulieren. Es geht uns darum, die gesellschaftlichen Vorstellungen von Sex erweitern.
BS: Aber Asexuelle sind ebenfalls willkommen. Jede Form von Sexualität ist willkommen.
AS: Oder auch keine Sexualität. Man kann auch einfach nur ökoromantisch sein oder ökosinnlich.

Sie machen Ökosex-Wandertouren, zahlreiche Symposien, demnächst erscheint ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm “Good-bye Gauley Mountain” über die aggressive Form der Kohlegewinnung mit dem sprechenden Namen Mountain Top Removal. Woran arbeiten Sie zur Zeit?
BS: Wir schreiben gerade ein Buch über Sexökologie.
AS: Und wir führen unser Performance-Theaterstück auf: "Earthy, ein ökosexy Bootcamp."
BS: Ökosex-Bootcamp.
AS: Oh ja, aber es ist auch sehr ökosexy.
BS: Es basiert auf unseren Erfahrungen in den Bootcamps von Aktivsten, die sich gegen Mountain Top Removal engagieren, vor allem das Mountain Justice Bootcamp. Wir benutzen die selben Strategien, aber mit unseren Slogans. Wie “Recycling ist so sexy” oder “Ficken statt Fracken”. Wir bringen den Zuschauern bei, wie man sich an ein mit Zement gefülltes Ölfass kettet, um eine Straße zu blockieren oder wie man ein Kompost-Klo benutzt.
AS: Und wir reden schmutzig mit Pflanzen.
BS: Und machen Liebe im Dreck, in dem wir dann am Ende auch begraben werden. Worum es uns geht, ist Empathie. Denn mit Empathie ist es deutlich schwerer, die Umwelt in dem Ausmaß auszubeuten, wie das zur Zeit geschieht. Empathie ist der Schlüssel für jede Form von sozialer Veränderung.