Kestnergesellschaft

Wildgewordene Heimwerker

Eine Arena wolle sie mal bauen, tat die Künstlerin Phoebe Washburn irgendwann in einem Interview kund. Kurator Frank-Thorsten Moll von der Kestnergesellschaft las das und lud die New Yorkerin daraufhin ein, das doch in Hannover zu tun. In Washburns Zweirauminstallation „Compeshitstem – the new deal“ ist diese nun Wirklichkeit gewordene Arena im oberen Stockwerk des Hauses ein Ruhepol. Während es unten, im ersten der beiden Säle, plätschert, spritzt und schleudert, ist hier hell und ruhig. Dabei wäre die Arena der eigentliche Schauplatz für das, was unten passiert: Dort hat Washburn Verläufe von real stattgefundenen Baseballmatches in Wasserspiele übersetzt. Ein bisschen wie das Produkt eines wildgewordenen Heimwerkers mutet die Landschaft aus Holzgestellen, -häuschen und Plastiktanks an.
 
Der Kreislauf beginnt bei zwei Waschmaschinen: Deren Abwasser wird in zwei parallel laufenden Systemen durch verschiedene Filter und Tanks gejagt – je nach Spielverlauf auf der einen Seite schneller, auf der anderen langsamer. Schließlich wird das Wasser des „Verliererteams“ dazu genutzt, ein paar Farne zu wässern. Das Abwasser der „Siegermannschaft“ hingegen wird in den oberen Raum geleitet und von dort aus wieder in die Waschmaschinen gepumpt, in denen T-Shirts gewaschen werden. Diese Kleidungsstücke – Produkt und scheinbarer Zweck des Wasserkreislaufs – können die Ausstellungsbesucher wiederum kaufen und so von Washburns Zyklus abzweigen.
 
Natürlich wirft „Compeshitstem – the new deal“ Fragen zum ökonomischen Umgang mit natürlichen Ressourcen auf – schließlich führt Washburn vor, was Recycling ist. Doch in all ihren verspielten Details könnte man die Installation auch als Plädoyer für die Umständlichkeit begreifen. Oder für die Freude an Nebeneffekten.
 
Auf der Rückseite der Arena etwa, die aus einem Holzgerüst besteht, ragen die Schrauben heraus. Phoebe Washburn hat sie mit neongelben Klebezetteln markiert, damit sich niemand daran verletzt. Entstanden ist so etwas wie eine Schmetterlingswiese – Abfallprodukt des Pragmatischen, das durch Schönheit eine eigene Existenzberechtigung erhält.
 
Drei Wochen brauchte Washburn, um ihre „Recycling-Anlage“ aufzubauen. Die Einrichtung der Ausstellung von Gert und Uwe Tobias, die zusammen mit Washburn eröffnet wurde, brauchte drei Tage. Sparsamer sind die Mittel, mit denen sie ihre Kunst inszeniert haben.
 
Dass man sich auch hier durchgängig in einer Installation befindet, fällt bei der strengen und schlichten Raumgestaltung, die auf einem konventionellen Ausstellungsdesign mit gerahmten Bildern an der Wand und aufgesockelten Skulpturen aufbaut, nicht auf den ersten Blick auf. Schaut man aber, einer der kleinen, weiß lackierten Tonobjekte, die irgendwo auf dem Weg zur Menschwerdung stecken geblieben zu sein scheinen, ins Gesicht, schaut man in Abgründe: All die Wesen in diesem Raum, auch die karnevalesken, augenlosen Köpfe auf den schwarz-grauen Zeichnungen, scheinen in geheimnisvoller Beziehung zueinander stehen. Eine uralte, fremde Gesellschaftsordnung, von der nur symbolhafte Reste übrig geblieben sind.
 
Auch im zweiten Raum betreiben die Tobias-Brüder eine Art Archäologie. In 72 Schreibmaschinenzeichnungen greifen sie Filmtiteln auf, in denen „Dracula“ vorkommt: Sie zerlegen die Titel stilistisch ganz unterschiedlich in  einzelne Buchstaben, als ob die Fundstücke aus unterschiedlichen Epochen einer fernen Hochkultur stammten. Immer wieder betonten die Künstler, die aus Transsilvanien stammen, dass sie ihre Kunst nicht als Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft verstanden wissen möchten. Ihre Präsentation in der Kestnergesellschaft kann man vielleicht als weiteren Kommentar zu unserer Besessenheit mit der Herkunft verstehen – und als Warnung vor der Hybris, unsere Herkunft anhand von Fundstücken und Rekonstruktionen auszuleuchten.

bis 25. Oktober