Wie haben Sie das gemacht, Gerold Miller?

Der Berliner Stadtteil Kreuzberg ist der perfekte Arbeitsort für ihn, nicht nur wegen der günstigen Mieten. Seit neun Jahren arbeitet Gerold Miller im Hinterhof eines Gründerzeitbaus, zwischen Döner- und Ramschläden, Cafés, Kulturvereinen, Wettbüros – die Werbetafeln und Schaufenster mit den grellen, ungewöhnlichen Farbkombinationen inspirieren ihn. So wie die Kunstgeschichte. Miller, Jahrgang 1961, schätzt die künstlerische Arbeit von Peter Roehr, Franz Erhard Walther oder Rudolf Stingel (und kuratierte Ausstellungen mit ihnen, lange vor ihrer Wiederentdeckung). Er studierte in Stuttgart, als Neo-Geo-Vertreter wie Gerwald Rockenschaub und John Armleder bekannt wurden; sein Einfluss auf jüngere Künstler ist unverkennbar.
Millers postminimalistische Wandobjekte lassen sich als fl ache Skulpturen oder raumgreifende Bilder bezeichnen, er selbst nennt sie schlicht „total object 236“ oder „total object 155“. Formen und Farben sind extrem reduziert, die Oberflächen hart, präzise, makellos. Herr Miller, wie haben Sie das gemacht? Ich habe schon immer mit Metall gearbeitet. Holz ist ein zu weiches, warmes Material für mich, nur Metall erlaubt mir diese Präzision. Meine Arbeiten bestehen oft aus bis zu zehn Lackschichten. Jede Farbe braucht eine andere Grundierung, dann kommen Speziallacke drüber, die diese Transparenz und Tiefe schaffen, und am Ende die Polierung.
Weltweit gibt es eine Handvoll fähiger Freaks – die meisten von ihnen kümmern sich um Motorräder oder Oldtimer –, die sich mit solchen Speziallacken- und lackierungen beschäftigt. Wir haben Farben in London mischen lassen, weil die hier gar nicht mehr produziert werden. Oder ich kaufe sie in Australien. Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, verschiedene Chromlacke zu verwenden. Davor lag ein mühseliges, extrem aufreibendes Verfahren, bis wir es hinbekommen hatten, dass der Sprühlack wie Chrom aussieht. Einige meiner Farben habe ich auch patentieren lassen. Das macht einen Großteil meiner Arbeit aus: die langen und aufwendigen Prozesse, bis ich zu den richtigen Ergebnissen komme, die richtigen Leute fi nde, die meine Vorstellungen umsetzen können. Und da ist dieser griechische Lackierer am Rand von Berlin, den ich aufgebaut habe und der ausschließlich für mich arbeitet. Das war eine Empfehlung von meinem türkischen Metallbauer. Eben wie das in Kreuzberg so ist.

‚Total object 236‘ besteht aus lackiertem Aluminium, ist etwa zwei Mal zwei Meter groß und ziemlich schwer – zu zweit kann man es gerade so an die Wand hieven. Die erste Stufe der Arbeit hat wie immer in meinem Studio begonnen. Ich skizziere meine Ideen zuerst mit Pappmodellen. Ich zeichne sie nicht auf, weil ich gleich sehen möchte, ob meine Idee auch im Raum funktioniert und ob alle Proportionen stimmen. Dann kommen die Farben. So mache ich das schon immer. Ich habe noch kistenweise solche Modelle, die hebe ich auf. Auf der Grundlage des Modells fertigt mein Metallbetrieb eine Computerskizze an, nach der sie dann das Aluminium, das ich meistens verwende, lasern, schneiden, biegen. Mit dem Schlosser dort arbeite ich schon so lange zusammen – der weiß exakt, was ich will. Nur so ergibt sich diese Präzision: aus hundert geführten Gesprächen und tausend ausgestandenen Diskussionen. Die fertige Aluminiumform schickt er dann zum Griechen. Was den Schlosser wie den Lackierer angeht, muss ich sagen: Ich bin ganz froh, dass die getrennt von mir in ihren eigenen Werkstätten arbeiten und nicht bei mir im Atelier. Die haben ihren Bereich, und was genau sie dort treiben, ist mir egal – mich interessiert nur das Ergebnis. Ich möchte beim Arbeitsprozess gar nicht dabei sein, außerdem wäre das auch nicht sonderlich gesund.

Manche Sachen verselbstständigen sich manchmal. Beide Handwerker haben versucht, selber Wandobjekte wie meine zu entwickeln. Aber das funktionierte nicht, das haben sie schließlich auch gemerkt. Technische Verbesserungen können und sollen von ihnen ausgehen, das Formale muss aber von mir kommen. Ich fand das aber gut, dass sie mal die Seite gewechselt und auch mal meine Perspektive eingenommen haben.

Jedenfalls: Der Lackierer braucht etwa eine Woche für eine solche Arbeit. Dann wird sie hergebracht, und ich versuche immer, sie für eine Zeit hier im Atelier zu halten, ehe sie in Ausstellungen geht und für mich danach eigentlich nicht mehr erreichbar ist. Mein Werk ist ziemlich stringent. Es gibt relativ klare Entwicklungen von einer Werkgruppe zur nächsten, dennoch interessieren mich Kontraste: das Perfekte, das Präzise – aber eben auch das Zufällige, Spröde und Unfertige, das sich der Perfektion entzieht, ohne dass ich Einfl uss darauf habe, und die glatten Oberfl ächen angreift – fast ein wenig aggressiv, aber schön. Ich bin kein minimalistischer Künstler. Es geht mir um künstlerische Parameter, die in den 60er-Jahren aufkamen, wie Prozess, Handlung und Spur, die in Malerei und Skulptur eingegangen sind und ihre bisherige Statik aufgebrochen oder aufgelöst haben.

Ich habe 1996 als Aktion einen Hund in die vier Ecken des Ausstellungsraums pinkeln lassen. So markieren die Hunde ihre räumlichen Territorien, das kann man auch skulptural verstehen. 2006 bin ich mit meinem Auto durch Kreuzberg gefahren und habe dabei eins meiner Aluminiumobjekte hinter mir hergezogen, sodass die Straße ihre Spuren auf dem Werk hinterlassen hat. Da steckt jetzt alles drin. Deshalb ist es mir wichtig, hier noch das Foto ‚I love Kreuzberg‘ zu zeigen. Zwischen meinen Serien gibt es viele solche konzeptuellen Brüche, um mein Werk immer wieder infrage zu stellen, neu zu sortieren. Als Künstler brauchst du das, sonst bleibst du stehen.
Gerold Miller wird vertreten von Nikolaus Ruzicska, Salzburg; Mehdi Chouakri, Berlin; Krobath, Wien; Lange+Pult, Zürich; Alessandro de March, Mailand