Was macht die Kunst, Thomas Koerfer?


Herr Koerfer, was fasziniert Sie so an nackten Körpern?
Nacktheit ist unser Ursprung. Es gibt eine umsatzstarke Branche, die sich darauf spezialisiert hat, den Körper zu verhüllen. Doch wenn wir geboren werden und wenn wir sterben, sind wir nackt. Es gibt den Ausdruck, dass einem „etwas unter die Haut geht“, wenn uns etwas betrifft. Es muss also etwas freigelegt sein, damit etwas unter die Haut kann. Gesellschaftlich ist das Thema Nacktheit natürlich hinsichtlich Machtverteilung und Gleichberechtigung interessant. Unsere Gesellschaft ist über die Sexualität bestimmt – wie wir sie leben, sagt sehr viel über Machtgefälle aus.
 

Nacktheit in der Kunst ist der Schwerpunkt Ihrer Sammlung. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Durch das Sammeln von Vintage-Fotografien aus den 30er-Jahren, unter anderem von Man Ray und Alfred Stieglitz. Dann hat mich bald der Sprung in die Gegenwart fasziniert, unter anderem zu Cindy Sherman und Nobuyoshi Araki.
 

Wieso haben Sie sich auf Fotografie spezialisiert?

Die Fotografie erlaubt es, dieses Thema distanziert und zugleich von großer Nähe aus anzugehen. Aber ich besitze nicht nur fotografische Arbeiten, sondern auch figurative Malerei von Richard Philips, John Currin, Lee Lozano und Francesco Clemente – Bilder, in denen das Thema des nackten Körpers vorkommt. Und ich habe auch abstrakte Werke der Gegenwartsmalerei, wie Damien Hirsts Dot- und Spin-Paintings.
 

John Currin sagt in dieser Monopol-Ausgabe im Interview, gemalte Pornografiesei so antörnend „wie ein Jet aus Holz“. Also gar nicht. Finden Sie das auch?
Da stellt Currin sein Licht als Maler von Sexualität unter den Scheffel. Ich besitze ein Bild von Currin aus der „Porn Series“. Darin spielt er geschickt mit Kühle und verführerischer Sensualität. Man muss auch nur daran denken, dass es früher nichts Schöneres gab als ein Flugzeug aus Holz, mit dem man als Junge durchs Zimmer rannte und das in der Fantasie wirklich fliegen konnte.
 

Wie hat sich das Verhältnis zum Körper in der Kunst in den vergangenen 100 Jahren verändert?
Früher gab es den ins Bild gelegten Körper: den klassischen liegenden Akt in der Malerei und Skulptur, aber auch in der Fotografie. Stieglitz dagegen hat seine entblößte Frau Georgia O’Keefe aufrecht stehend fotografiert: ein sehr selbstbewusster Akt, ganz anders als von einem Maler hingelegt.
 

Wo sehen Sie den Unterschied zwischen künstlerischer und kommerzieller Nacktfotografie?

Obwohl heute alles voll ist mit erotischen oder sexuell aufgeladenen Bildern, ist die Darstellung von Sexualität, die Leben und Tod thematisiert, nach wie vor schwierig. Salopp gesagt: Innerhalb all der Schrottfotos gilt es, zu entscheidenden und essenziellen Bildern zu finden. Das können nur herausragende Künstler. Dazu braucht es konzeptuelles Vermögen und eine hohe Sensibilität. Und die bekommt man weder im Internet noch in all diesen Heftchen.
 

Sind die Bilder für Sie allein auf ästhetische Weise anregend oder sind Sie auch Voyeur, der sich durch sexuelle Motive erregen lässt?
Voyeur ist man immer, wenn man Bilder anschaut, dabei kommt es nicht auf die Thematik an. Die Bilder können natürlich eine Sexualität und Wärme haben. Aber die Arbeit des Künstlers rückt sie von der bloßen Foto- grafie weg. Pornografische Fotografie war einmal dafür gedacht, jemand sexuell zu stimulieren, aber das tun diese Bilder nicht. Sie haben eine hohe analytische Ebene.
 

Kunstfotografien mit nackten Körpern haben also keinerlei pornografischen Reiz, weil immer eine konzeptuelle Haltung dahintersteckt?
Natürlich spielen sie mit der Pornografie. Ein Bild von Jeff Koons mit Cicciolina beim Geschlechtsakt spielt einerseits mit der Darstellung von Ehepartnern, andererseits mit einer pornografischen Inszenierung.
 

Aber die Darstellung bleibt dabei ganz kühl und klassisch.
Genau, sie vermittelt einen sensuellen Reiz, aber keinen pornografischen.Das Lächeln der„Mona Lisa“ empfinde ich auchals ein sehr sensuelles Lächeln.
 

Leben Sie eigentlich mit den Arbeitenaus Ihrer Sammlung?

Ja sicherlich. Ich lebe zu Hause mit denen, die für meine Familie erträglich sind. Im Schlafzimmer sind es schon eher die, die vor allem für mich selbst ver- träglich sind, und ansonsten habe ich große Atelierräume zum Arbeiten, da lebe ich sehr direkt mit den Bildern. Es gibt Menschen, die mich fragen: „Wie kannst du das um dich haben?“ Aber die guten Bilder halten den Dialog aus – und die schlechten habe ich gar nicht gesammelt.