Ukrainisches Kulturzentrum in Berlin

Fast ein Zuhause

Eine prachtvolle Residenz unweit des Berliner Kurfürstendamms bietet 18 ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern Raum zum Leben, Arbeiten und Ausstellen. Ein Besuch

"Diese Menschen sind ein Zuhause, fast ein Zuhause", sagt die ukrainische Künstlerin Sofia Holubeva bei ihrer ersten Berliner Vernissage über all diejenigen, die Leute aus ihrem Heimatland in Zeiten des russischen Angriffskrieges unterstützen. "Almost Home", fast ein Zuhause, heißt auch eines ihrer Werke: ein Netz, geknüpft aus dünnen Seilen. Ein solches hatte sie zu Ende des Winters täglich für die ukrainische Armee hergestellt. Nachdem sie über Ungarn, Österreich, Italien, Frankreich und Monaco nach Deutschland geflohen war, hängt eines ihrer gewebten Netze nun als Kunstwerk an den Wänden der Ukrainian Cultural Community (UCC). Die UCC ist eine prachtvolle Residenz mit Goldstuck und Textiltapeten unweit des Berliner Kurfürstendamms, das 18 ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern wie Holubeva Raum zum Leben, Arbeiten und Ausstellen bietet. Dafür zahlen sie jeweils 300 Euro Miete im Monat. Holubevas Vernissage war eine der ersten Veranstaltungen, die hier bereits stattfanden.

Es ist eine besondere, vertraute Stimmung, die in diesem beinahe heterotopischen Raum herrscht. Wer schon bei Betreten der 500 Quadratmeter großen Residenz von mehreren Menschen freudig begrüßt wird – "Wie schön, dass du da bist!" –, bekommt ein Gefühl dafür, mit wie viel Seele, Freude und Stolz die Künstlerinnen und Künstler sowie ihre Vertrauten hier am Werk sind. Alle Bewohner sind auf einer detaillierten Illustration des Künstlers Anton Reznikov im Empfangsbereich zu sehen. Besucher der Vernissage kommen nicht umhin, gleich mehrere von ihnen nach wenigen Minuten kennengelernt zu haben.

Es gibt die UCC erst seit einigen Wochen. Einst war in den Räumen ein Luxusbordell untergebracht. Lange haben Bewohnerinnen und Bewohner sowie engagierte Menschen aus der Hauptstadt gemeinsam daran gearbeitet, das Haus in ein wohnliches Zuhause mit repräsentativen Ausstellungs- und Aufenthaltsräumen zu verwandeln. Über Wochen renovierten sie die prachtvollen Räume, besorgten Möbel und richteten mithilfe der Berliner Initiative Kochen für Helden sogar eine Bar mit Lounge ein, die bei den Veranstaltungen geöffnet ist.

Besonderer Ort mit trauriger Notwendigkeit

Obwohl sich der Ort in seiner Selbstverständlichkeit bereits wie eine Berliner Institution anfühlt, könnten die Umstände, die ihn nötig machten, trauriger nicht sein. "Wir alle wurden durch den Überfall auf unser Land hart getroffen, sorgen uns um Freunde und Familie in der Heimat", sagt die Art-Direktorin der UCC, Anastasiia Pasechnik. "Doch hier geben wir uns gegenseitig Kraft, teilen Trauer und Freude. Es ist ein besonderer Ort des Zusammenhalts." Wie bei der Ausstellung Holubevas zu sehen war, haben viele der Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer Kunst einen Weg gefunden, ihre Erfahrungen im Kontext des Krieges zu verarbeiten. Das ist kein Wunder, lebt doch die Kunst wie kaum anderes von der Seele ihrer Schöpferin oder ihres Schöpfers.

Dieser Einfluss kann sich etwa auf die Wahl des Arbeitsmittels auswirken, wie die Kunst von Julia Levitska zeigt. Sie setzt das Klebeband auf verschiedenste Weise ein. So sind etwa die Personen auf ihren Gemälden vollständig in solchen eingewickelt. Das Tape hatte für sie in Kriegszeiten an Bedeutung gewonnen. "Viele Menschen in der Ukraine nutzen es, um ihre Fenster damit zu sichern. Das soll die Verletzungsgefahr im Falle einer Explosion verringern", sagt sie.

Andere Künstlerinnen und Künstler wie Alina Coma und Maria Lutsak berührte das Schicksal der Kinder im Krieg. Coma gestaltete ein weißes Kleid mit dem Namen "Shot Childhood" (2022). Ein weißes Kinderkleid symbolisiere für sie Freude und Leben. Neben sonnengelben Blumen malte sie jedoch auch zahlreiche Maschinengewehre auf Stoff. Maria Lutsak verarbeitet in ihnen Werken unter anderem Bilder von Häusern, die sie als Kind gemalt hat. Wie auch Coma widmet sie ihre Kunst den Kindern, die im Krieg getötet wurden. "Sie können nicht mehr malen", sagt sie nachdenklich.

Immer wenn der nächste Programmpunkt der Vernissage von Holubeva bevorsteht, läuft Art-Direktorin Pasechnik durch die Räume des UCC und spielt die Querflöte. Die klaren Klänge sind ihre kreative Interpretation des Pausengongs. Und auch sonst gibt sie den Takt in der Residenz vor. Sie war von Anfang an dabei und hat das Haus nicht nur auf künstlerischer und kuratorischer Ebene geprägt, sondern übernimmt auch alles Organisatorische. Bei der Vernissage scheint sie überall gleichzeitig zu sein. Sie tritt etwa mit anderen Musikerinnen an der Querflöte auf, begrüßt die Gäste, moderiert durch das Programm. Dazwischen nimmt sie sich Zeit für alle Besucherinnen der Vernissage oder die Künstlerinnen und Künstler, deren Wirken sie orchestriert.

Mit gerade einmal 23 Jahren ist sie in der ukrainischen Stadt Charkiw schon lange ein integraler Teil der Kulturlandschaft. Dort hat sie sich nicht nur als Musikerin, sondern unter anderem als Designerin, visuelle Künstlerin, Tänzerin, Model, Schauspielerin oder Producerin einen Namen gemacht. Auch in Berlin hat sie bereits viele Personen aus der Szene und darüber hinaus kennengelernt. Als sie nach gebrauchten Möbeln für die Residenz suchte, hatte sie binnen kürzester Zeit mehr Angebote erhalten, als sie annehmen konnte.

Ein Netzwerk aufzubauen, ist eines der wichtigsten Ziele der UCC. Laut der Initiatorin des Projekts, der Immobilienexpertin Maya Miteva, soll das UCC zu einer Art Social Hub und Mini-Kulturzentrum werden: "Künstlerinnen und Künstlern reicht es nicht, einen Ort zum Leben und Arbeiten zu haben", sagt sie. "Nur mit einem Netzwerk, das sie sich normalerweise über Jahre aufbauen, können sie von ihren Werken leben." Mit diesem Wissen habe sie, als zu Ende des Winters die ersten Flüchtlinge in Berlin ankamen, die Idee zu der UCC entwickelt. Mit ihrer Geschäftspartnerin Anaïs Cosneau war sie damals auf das Bordell gestoßen. Miteva wuchs in Bulgarien auf, ihre Eltern lebten in der Ukraine, wodurch auch sie sich dem Land verbunden fühlt. Für das Projekt hatte sie einen "Open Call" gestartet. "Hunderte von Menschen meldeten sich. Durch ein Auswahlverfahren mit einer Jury und der Hilfe von Anastasiia, die sehr früh Teil des Projekts war, konnten wir die heutigen Bewohnerinnen und Bewohner aussuchen."

Symbiose aus Wirtschaft, Kunst und Sozialem

Neben Pasechnik und Miteva kümmert sich mittlerweile ein ganzes Team von Berlinerinnen und Berlinern um die Organisation der UCC. Einige Tage vor der Vernissage treffen sich einige von ihnen im Wohnzimmer der Residenz, einem hellen Raum mit Balkon und roten Stoffwänden, an denen Kunstwerke verschiedener Bewohnerinnen und Bewohner hängen. Gekommen sind unter anderem Sybill Schulz von dem Unternehmerinnen-Zentrum Weiberwirtschaft und Moritz Tonn vom Verein Transiträume, der dafür sorgen will, dass leerstehende Immobilien von kulturellen Akteuren zwischengenutzt werden. "Wir sind stolz auf das, was wir bisher geschafft haben – und insbesondere darauf, was die Künstlerinnen und Künstler geleistet haben", sagt Tonn. "Wir kümmern uns nur um den Rahmen. Die Bewohnerinnen und Bewohner aber füllen ihn – und das auf großartige Weise."

"Alle Beteiligten bringen ihre jeweiligen besonderen Fähigkeiten in das Projekt ein", sagt Schulz. So übernahm Tonn unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit. Schulz, die ehemalige Leiterin der Koordinierungsstelle Flüchtlingsmanagement im Senat, stellte den Kontakt zur Politik her. So wurde auch der Berliner Senator für Kultur und Europa Klaus Lederer auf das Projekt aufmerksam – und ist nun Schirmherr des Projektes. Berlin sei "eine solidarische Stadt", die "Schutz bietet für Menschen in Not", sagt er. Dass dies funktioniere, hänge "aber eben nicht nur von der Regierung ab, sondern ganz maßgeblich vom Engagement der Berliner*innen."

"Die hohen Mieten und der wenige Wohnraum drücken die Kultur aus der Stadt."

Wie auch weitere der Unterstützerinnen und Unterstützer ist die Initiatorin Miteva hauptberuflich im Immobiliengeschäft tätig. Sie berät beispielsweise mit ihrem "Happy Immo Club" Frauen bei Investitionen in Wohnungen, sitzt im Management Board einer großen Immobiliengesellschaft und hat bereits eine andere Residenz für Künstlerinnen und Künstler namens Score Berlin gegründet. Gemeinsam arbeiten die in der UCC Engagierten nicht zuletzt an einem Beweis dafür, dass die Fusion von Wirtschaft, Kunst und Sozialvorhaben gelingen kann.

Kultur zu unterstützen, gehöre gerade für die Immobilienwirtschaft zur Pflicht, findet Tonn: "Die hohen Mieten und der wenige Wohnraum drücken die Kultur aus der Stadt." Darüber, dass dies nicht passieren darf, sind sich alle der Organisatorinnen und Organisatoren einig. So möchten sie ihr Engagement erweitern. "In Zukunft wollen wir weitere Räumlichkeiten ausmachen und Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung stellen", sagt Schulz. "Wir planen ähnliche Residenzen etwa für Frauen mit Kindern oder Jugendliche." "Dabei gewinnen alle: Der Leerstand wird beendet, die Räume werden genutzt und den Menschen, die es brauchen, wird geholfen", fügt Tonn hinzu.

Ein weiterer Profiteur ist für Schulz die unmittelbare Umgebung der UCC. "Der Bereich rund um den Ku’damm war jahrzehntelang eines der wichtigsten kulturellen Zentren Europas", sagt sie. "Heute ist es eher ein kommerzieller Hotspot. Zwar gibt es viele berühmte Galerien, aber die Räume, in denen Neues ausprobiert werden kann, sind heute an anderen Orten der Hauptstadt und könnten sich noch weiter aus der Stadt herausverlagern." Projekte wie die UCC könnten wieder mehr Kreativität an Berliner Orte wie den Ku’damm bringen. Schon jetzt hat das Schaffen der UCC-Bewohnerinnen und -Bewohner die Kunstszene in Berlin verändert. Das beweisen nicht nur die Werke von Graffitikünstlerin Ptichka Somari, die bereits das visuelle Gesicht Berlins prägten: Sie sind an zahlreichen bekannten Orten in Berlin zu sehen.

Mehr Kreativität an Berliner Orte bringen

Die Anwohner freuen sich offenbar über die Veränderung, die von den ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern ausgeht: "Die Nachbarschaft ist zu unserer Familie geworden", sagt Pasechnik. "Wir hatten erst Sorge, dass wir vielleicht zu laut oder zu viele sein könnten und andere sich gestört fühlen würden. Stattdessen kam eine Familie, die mit uns im Haus wohnt, schon beim Einzug vorbei und brachte Gin and Tonic mit. Andere Nachbarinnen und Nachbarn sind beispielsweise Anwälte und haben uns bei Rechtsfragen geholfen." Auch an finanzieller und sonstiger Unterstützung fehlt es der UCC nicht. Miteva, Tonn, Schulz und Co. erhielten unter anderem weitere Hilfen von der Stiftung Außergewöhnlich Berlin oder dem Kulturkollektiv Kukumu. Die Firma Witte Projektmanagement hatte die Anschubfinanzierung geleistet, mittlerweile spendete die Berlinische Galerie und die Immobilienfirma Engel & Völkers. Die Deutsche Wohnen unterstützt das Vorhaben durch Aufträge an die Künstlerinnen und Künstler.

Die Residenz ist in dem ehemaligen Bordell für ein Jahr vorgesehen, danach wollen die Organisatorinnen und Organisatoren das Projekt an einem anderen Ort weiterführen. So wird sich die UCC wird wohl noch in weitere Teile Berlins einschreiben. Damit hilft nicht nur das UCC den geflüchteten Künstlerinnen und Künstlern. Ebenso helfen sie Berlin.