Streit um Bild einer Kunstausstellung

Türkische Studierende protestieren 

Studierende protestieren in Istanbul gegen die Einsetzung eines neuen Direktors an der renommierten Bogazici-Universität
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Studierende protestieren in Istanbul gegen die Einsetzung eines neuen Direktors an der renommierten Bogazici-Universität

In Istanbul protestieren Studierende seit einem Monat gegen einen neuen Rektor. Die türkische Regierung kämpft mit harten Bandagen. Ein Bild in einer Kunstausstellung liefert ihr eine Steilvorlage

"Terroristen", "Perverse", "giftige Schlangen, deren Kopf man zermalmen muss" - die türkische Führung findet derzeit viele Namen, um Studentinnen und Studenten zu diffamieren, die seit einem Monat an der Istanbuler Bogazici-Universität gegen ihren neuen Rektor protestieren. Die Polizei geht mit großer Härte gegen die Proteste vor. Auch wenn viele weiterhin auf die Straße gehen und in sozialen Medien weiter zu Protesten aufgerufen wird: Die Abschreckung wirkt.

Eylül und Eda - die Namen sind aus Sicherheitsgründen geändert - sitzen an einem Abend in einer Istanbuler Wohnung. Sie berichten von Kommilitonen, die an Bushaltestellen auf dem Weg zur Uni festgenommen wurden und von anderen, die im Gefängnis sitzen. Seit Tagen bewegen sich die beiden - wenn überhaupt - nur per Taxi.

Die staatliche und liberal ausgerichtete Bogazici-Universität gilt als eine der besten des Landes. Anfang Januar begannen die Studierenden, gegen den neuen Rektor Melih Bulu zu protestieren, den Präsident Recep Tayyip Erdogan eingesetzt hatte. Seit 2018 entscheidet Erdogan allein über die Besetzung der Chefposten.

Schon mit dem Ausnahmezustand nach dem Putschversuch 2016 wurde den Hochschulen das Recht entzogen, ihre Führung selbst zu wählen. Die Studierenden kritisieren das als undemokratisch. Auch in der Hauptstadt Ankara und anderen Städten finden Demonstrationen statt.

Debatte um ein Kunstwerk 

Seit etwa einer Woche hat der Protest in Istanbul nun eine neue Dynamik. Ende Januar stellten Studenten im Rahmen einer Kunstausstellung auf dem Campus ein Bild aus. Darauf ist eine Szene rund um das muslimische Heiligtum in Saudi-Arabien, die Kaaba, zu sehen. Die Kaaba ist fast vollständig von einem mythischen Wesen verdeckt. Den Rand des Bildes zieren LGBTQ*-Flaggen. Die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und queere Menschen - und das Pluszeichen als Platzhalter für weitere Identitäten.

Der Beitrag sei eines von zahlreichen anonym eingereichten Bildern gewesen, sagt eine der Organisatorinnen der Ausstellung. Einige Studierende hätten die Organisatoren angesprochen, weil das Bild auf dem Boden lag und sie das als respektlos empfanden. Am nächsten Tag sei das Bild aufgehängt worden, aber in den sozialen Medien seien sie weiter angefeindet worden. "Und dann kam Soylus Tweet und plötzlich waren alle gegen uns", sagt sie.

Innenminister Süleyman Soylu schrieb am Samstag auf Twitter, es seien vier Menschen festgenommen worden, weil sie Respektlosigkeit gegenüber der Kaaba gezeigt hätten. In dem Tweet äußert er sich auch LGBTQ*-feindlich - wie Erdogan zuvor auch schon.

Gegen zwei der Festgenommenen wurde später Haftbefehl erlassen. Sie seien direkt nach dem Ende der Ausstellung brutal festgenommen worden, sagen Mitorganisatoren. "Wir haben dann mit Pizza und Essen auf sie gewartet. Wir waren sicher, sie würden freikommen, weil sie ja absolut nichts gemacht haben", sagt eine Mitorganisatorin.

Bei den darauffolgenden Demonstrationen geht die Polizei härter vor, setzt Tränengas ein und nimmt zahlreiche Teilnehmer fest. Nach Augenzeugenberichten wurden auch Gummigeschosse eingesetzt. Ende der Woche kommt es auch bei einer Versammlung anlässlich der Vernehmung von Festgenommenen zu Zusammenstößen zwischen Unterstützern und der Polizei.

Erdogan nennt die Demonstrierenden seit Beginn "Terroristen" und zweifelt öffentlich daran, dass es sich um Studierende handelt. Man werde niemals zulassen, dass in der Türkei Terroristen herrschten und das Nötige tun. "Dieses Land wird keinen Gezi-Aufstand mehr in Taksim erleben." Erdogan nimmt damit Bezug auf die regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013, die brutal niedergeschlagen wurden.

Seit Anfang Januar wurden nach Angaben des Innenministeriums in Zusammenhang mit den Protesten mehr als 500 Menschen in 38 Provinzen festgenommen. Die meisten davon sind demnach wieder frei, rund 100 davon unter Auflagen. Anwalt Efkan Bolac zufolge wurden inzwischen acht Haftbefehle ausgestellt und gegen 24 Menschen Hausarrest verhängt.

Der Protest geht weiter

Das Foto eines der verhafteten Studenten sei dann im Internet kursiert, berichtet die Co-Organisatorin der Ausstellung. In den Kommentaren sei ihm mit Mord und Vergewaltigung gedroht worden.

Die Studenten betonen immer wieder, ihr Anliegen sei einzig der Rücktritt des neuen Rektors und demokratische Wahlen - und seit den jüngsten Festnahmen und Verhaftungen nun auch die Freilassung "unserer Freunde". Nun treten jeden Abend zu Beginn der coronabedingten nächtlichen Ausgangssperre Menschen an ihre Fenster und bekunden Solidarität mit den Protesten, in dem sie auf Töpfe oder Pfannen schlagen und klatschen.

Unirektor Bulu (50), der der Erdogan-Partei AKP nahesteht, gibt sich recht unberührt. Im Januar war er zu sehen, wie er Protestierenden lächelnd zuwinkte, die unterhalb seines Fensters lauthals seinen Rücktritt forderten. Er denke "keinesfalls" an einen Rücktritt. Auch die Studenten wollen protestieren, bis ihre Forderungen erfüllt sind.