Trix und Robert Haussmann in Berlin

Der Stuhl ist eine Lampe

Die Schweizer Trix Haussmann-Högl und Robert Haussmann zählen zu den Heroen des Anti-Funktionalismus. Die Berliner Kunst-Werke feiern das Architekten- und Designer-Duo mit einer Retrospektive

Komische Arkaden. Durch die Bögen lässt sich hindurchspazieren, aber die Keilsteine wirken oben wie halb herausgerutscht und sind ohnehin zu lang geraten. Was soll außerdem die liebevoll aufgemalte Marmorstruktur? Auf Holz, was man den Bogengang-Elementen sofort ansieht. Trix und Robert Haussmann haben sie 1981 entworfen, für die Zürcher Damenboutique Weinberg. Jetzt stehen zwei Bogenreihen im KW Institute for Contemporary Art.

Eine billige Shopping-Kulisse sieht anders aus. Die Haussmann-Bögen erzählen Stilgeschichte. Ladenpassagen des 19. Jahrhunderts wie die Burlington Arcade in London oder die Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II waren tatsächlich voller Bögengänge. Dagegen sind die Potsdamer Platz Arkaden und andere "Arkaden" vom rechten Winkel beherrscht. Postfaktische Architektur?

Das diskutieren wir nicht weiter, wenden uns lieber der guten alten Postmoderne zu: Die Schweizer Trix Haussmann-Högl und Robert Haussmann zählen zu den Heroen des Anti-Funktionalismus. Was Memphis, die Gruppe um Ettore Sottsass in Italien war, bedeuten die Haussmanns für die Schweiz. Heute sind beide über 80 – und immer noch aktiv. Zur Eröffnung der Schau "The Log-O-Rithmic Slide Rule: A Retrospective" konnte das eidgenössische Architekten- und Designer-Paar nicht nach Berlin reisen, aber die Entwürfe und Objekte des Duos sprechen für sich.

Das erste und zweite Obergeschoss der Kunst-Werke sind randvoll mit sogenannten "Lehrstücken" und Möbeln, die oft Kunstwerke und selten primär praktisch sind. "The Log-O-Rithmic Slide Rule" ist ein vom Duo 1980 entwickeltes Entwurfsinstrument. In Rechenschieber-Manier lassen sich Adjektive aus dem Architekturdiskurs aufeinander beziehen. Was in der Sprache funktioniert, kann Bild oder sogar Entwurf werden. Mit dem Begriffsschieber lockern die Haussmanns starre Denkschablonen. Der Künstler Karl Holmqvist hat eine Text-Tapete dazu entworfen.

Auch Werke aus der Frühphase der gemeinsamen Karriere sind zu sehen. Darunter eine Reihe exzentrischer Stühle aus dem Jahr 1967. Auf dem "Choco-Chair" mit teils weggeschmolzenen Stuhlbeinen und somit schräger Sitzfläche kann man kaum Platz nehmen, auf dem "Neon-Stuhl" gar nicht: Lehne und Beine sind aus gebogenen Neonröhren, die schön leuchten, aber bei Belastung brechen würden – wie das Steißbein desjenigen, der sich setzen möchte. Aus Schaden würde man klug: der Stuhl ist eine Lampe.

Die Funktion folgt der Form. Die Haussmanns drehen den alten Designleitsatz einfach um. Das zeigt auch ihre Modellserie der "Lehrstücke", mit denen sie ihre Gestaltungsprinzipien durchdeklinierten. Im zweiten Stock der KW ist eine Auswahl zu sehen, darunter das „Lehrstück II: Störung der Form durch die Funktion“, bei dem ein klassizistischer Säulenstumpf zum Regal mutiert. Ein „Ironisch-kritisches Objekt zum Begriff Multifunktion“ nahm 1978 – in der Kombination von Stuhl und Saiteninstrument – Nevin Aladağs "Musikzimmer"-Objekte der Documenta 14 vorweg.

Kurzer Seitenwechsel: Ein Design-Kontrastprogramm ist in der KW-Ausstellungswerkstatt "K," zu sehen, die im Februar in Schöneberg eröffnet hat. KW-Direktor Krist Gruijthuijsen verspricht noch weitere Ausweichadressen, denn zwischen 9. Juni und 9. September zieht ja die Berlin Biennale in die Kunst-Werke.

"K," präsentiert zurzeit Drucke, Fotos und Objekte des ostdeutschen Grafikdesigners Klaus Wittkugel (1910-1985), der die DDR mit sozialistischen Botschaften versorgte und die Außenschriften am Kino International und Café Moskau gestaltet hat. Ausgewählt wurde Wittkugel von P. Krishnamurthy. Selbst Designer wie Kurator, Autor und Dozent, läutet der US-Amerikaner das Projekt "A Year with P. Krishnamurthy" ein.

"Kuration, Design und andere künstlerische Bestrebungen", erklärt Krishnamurthy, müssten perfekte Produkte ablehnen. "Vielmehr sollen sie den kreativen Prozess als solchen darstellen, mit all der Pluralität positiver Ergebnisse und punktueller Pannen."

Das Credo würden Trix und Robert Haussmann bestimmt unterschreiben. Sehr gut zu ihrer Ausstellung passt ebenso die Soloschau von Judith Hopf in Halle und Erdgeschoss der Kunst-Werke. Die gebürtige Karlsruherin, ehemalige Professorin von Anne Imhof übrigens, baut Riesenhände aus Ziegeln und entwirft Stahlskulpturen, die wie humanoide Laptops wirken.

Dass Möbel auch nur Menschen sind, weiß auch der Brite Liam Gillick, der neben Karl Holmqvist als Gastkünstler der Haussmann-Retrospektive figuriert. Gillicks Kurzgeschichte "Die Befreiung des Hockers", die Robert Haussmann mit geometrischen Mustern illustriert hat, erzählt von einem Sitzmöbel, das in der Gestalttherapie die sexuelle Revolution entdeckt. Und den Gruppensex. Rolladenschrank D und die Lampe Plafonnier Modèle Atomic – beides Haussmann-Modelle – sind auch schon ganz heiß.