Künstler Thomas Demand über Leonard Cohen

"Ein großer Deklamator"

Thomas Demand hat dem vor einem Jahr verstorbenen Sänger Leonard Cohen ein Werk gewidmet

Wer ist der größte Sänger des 20. Jahr­hunderts: Bob Dylan oder Leonard Cohen?
David Bowie.

Muss man sich etwa nicht entscheiden wie zwischen den Stones und den Beatles?
Nein. Cohen war auch kein besonders begabter Sänger.

Aber wohl doch ein großer Dichter!
Ein großer Deklamator, wie aus dem antiken griechischen Theater. Er hat eine künstlerische Form von Sprechgesang gefunden. Er sang, aber nicht mit großem Stimmumfang. Das gesprochene Wort war seine Form. Ähnlich wie bei Dylan.

Im Gegensatz zu Dylan hatte Cohen nie einen politischen Anspruch – aus einer Demutshaltung heraus.
Aber Cohen hat schon darauf bestanden, dass das Private mit dem Öffentlichen zusammenhängt. In "Everybody Knows", dem Song, um den es mir hier ging, spricht Cohen über Allgemeinplätze: "Jeder weiß, die Reichen werden reicher", solche Sachen. Und dann in der nächsten Strophe aber über seine Geliebte, die mit jedem schläft.

Eine Zeile aus diesem Song ist auch der Titel für die kürzlich zu Ende gegangene Ausstellung in der Fondazione Prada in Venedig, in der Ihre Arbeiten mit denen von Alexander Kluge und Anna Viebrock in Verbindung gesetzt wurden: "The Boat is Leaking. The Captain Lied".
Und dort war auch "Ampel" von mir ausgestellt, die nun in Cohens Geburtsstadt Montreal zu sehen sein wird, in einer Leonard Cohen gewidmeten Gruppenausstellung, eine Auftragsarbeit.

"Ampel" zeigt eine amerikanische Fußgängerampel mit den Symbolen für "Gehen" und "Stop".
Cohen erzählt über Gemeinplätze, er ist aber selbst auch musikalische Infrastruktur, er ist so kanonisch, dass er dieselbe Rolle hat wie eine Verkehrsinsel im Straßenverkehr. Ich habe Cohen gefragt, ob er für mich "Everybody Knows" ohne die Band einsingen würde. Das war im Januar 2016, und er war voll mit seinem letzten Album beschäftigt und nicht bei guter Gesundheit. Doch bei einem der letzten Konzerte wurde seine Stimme einzeln aufgenommen, und den Track hat er mir gegeben. Und da merkt man, dass seine Performance gar nicht vom Vokalumfang lebte, sondern von Rhythmus, Timing und Aussprache. Große Kunst!

Was haben Sie dann mit der Aufnahme gemacht?
Ich habe seine Stimme mit einem anderen Soundtrack gepaart, gemeinsam mit Tyondai Braxton, dem Mitbegründer der Band Battles. Ich habe die Animation schließlich auf das Tempo des Liedes und seiner Struktur aus Strophe und Refrain angepasst. Das Ergebnis hat Cohen noch gehört.

Hat er vor seinem Tod im November 2016 noch von den Ausstellungen in Venedig und Montreal erfahren?
Er war in seinen letzten Monaten sehr beschäftigt, wollte unbedingt sein letztes Buch und seine Platte fertigstellen. Wie Bowie hat er seinen Abschied mit dem letzten Album zum Teil seines Werks gemacht. Doch wusste er von den beiden Ausstellungen und hat sie abgesegnet. Die Ausstellung in Montreal versteht ihn auch eher wie ein Phantom, als Material wie Königsblau oder Tonerde. Es geht da nicht um biografische Dinge.