Ausstellung: "Braucht Gesellschaft Kunst?“ in Baden-Baden

Störer im System

Mehr als zwei Jahrzehnte hatte es gedauert, bis Christo dem Berliner Reichstag sein Hausgewand überziehen durfte. Die Chronik der Kunsterzwingung listet ungezählte Debatten und Gutachten auf, bis zur Abstimmung im Deutschen Bundestag. Darf man vom zähen, aber glücklichen Verlauf des demokratischen Verfahrens auf die kulturelle Reife eines Landes schließen?

Davon ist Johan Holten, der junge Direktor der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, überzeugt: Eine Gesellschaft, die über Kunst streitet, könne so schlecht nicht sein. Und so erinnert er in seiner neuen Ausstellung an Augenblicke, in denen die Kunst tatsächlich wie ein Störteil in die Mechanik der Öffentlichkeit geriet. Zu sehen ist eine Art Grundsatzschau, offen in der Form, ohne den Anspruch, eine abschließende Geschichte der politischen Kunst zu erzählen.

Nichts war ja abgeschlossen, als Christoph Schlingensief die Container wieder abbaute, die er vor der Wiener Staatsoper hatte aufstellen lassen. Dass drinnen zehn Asylbewerber saßen, über deren Schicksal nach den „Big Brother“-Regeln abgestimmt werden sollte, empörte die Leute. Stiller ging es zu, als die Werke eintrafen, die der Berliner Galerist René Block für das Museum im Lidice sammelte, wo die Vernichtung des tschechischen Dorfs durch die Nationalsozialisten einen Gedenkort bekommen sollte. Die Arbeiten von KP Brehmer, Stefan Wewerka oder Gerhard Richter haben allerdings nie ganz die Erwartungen an würdige Erinnerungskultur erfüllt.

Nicht alles erschließt sich in der Ausstellung so leicht wie Klaus Staecks Plakatkunst. Auf den Publikumsfotos etwa, die Hans Haacke 1959 bei der Documenta 2 aufnahm, versteht man den Ernst der Gesichter nicht mehr. Und was der Kojote von Joseph Beuys hielt, mit dem er 1974 filzreiche Tage verbringen musste, ist ein Geheimnis geblieben. Zum versöhnlichen Schluss erinnert dann noch Francis Alÿs’ Video an jene Aktion bei Lima, bei der 500 Teilnehmer eine Sanddüne einen Tag lang zehn Zentimeter weiter schaufelten.

Geblieben ist von der Sisyphos­arbeit nicht mehr als vom verpackten Reichstag. Aber die gemeinsame Erfahrung, dass es vielleicht doch nicht nur der Glaube ist, der Berge versetzt.

„BILDERBEDARF. Braucht Gesellschaft Kunst?“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, bis 17. Februar 2013