Fotokunstmesse "Paris Photo"

Selbstbewusster geht es nicht

Der Schachzug, von den unterirdischen Shopping-Katakomben des Louvre ins lichtdurchflutete Grand Palais zu ziehen, hat sich ausgezahlt. Die 15. Ausgabe der „Paris Photo“, der weltweit wichtigsten Kunstmesse für Fotografie, darf man getrost als Kampfansage deuten. Die Gleichrangigkeit der lange belächelten Lichtkunst könnte wohl kaum selbstbewusster postuliert werden als durch die  Platzierung im gleichen Prestigegebäude wie gerade zwei Wochen zuvor die Messe für Gegenwartskunst FIAC.

Kein Wunder also, dass man diesmal zur Verstärkung die Fotobuch-Verleger mit einer eigenen Sektion mit ins Boot geholt hat. Auch wenn sich am ersten Eröffnungstag nach der Vernissage das Gedränge in den Kojen der von 68 im vergangenen Jahr auf 117 angewachsenen Galerienschar in Grenzen hielt, deutete die Anwesenheit von gleich 23 amerikanischen Händlern, darunter wuchtige Neuzugänge wie Larry Gagosian oder Marian Goodman, auf eine wachsende Übermacht der zeitgenössischen Kunstfotografie hin.

Liebhaber von Vintage-Prints aus den Anfängen des Genres kommen zwar immer noch auf ihre Kosten. Vor allem die klassische Moderne ist verlässlich stark vertreten. Trophäen von Man Ray, Brassaï, Cartier-Bresson oder vom Puppenfetischist Hans Bellmer finden sich en masse. Die Howard Greenberg Gallery bringt aus New York Berenice Abbotts Porträt des Multitalents Jean Cocteau für 46.430 Euro mit. Die Kölnerin Priska Pasquer glänzt mit einem 520.000 Euro teuren Großabzug von August Sander. Das Porträt des Linzer Apothekers und Kunstmäzens Sepp Melichar von 1930 hing beim Meister im Wohnzimmer und erfreut sich immer noch des vom Sander persönlich gewählten Holzrahmens. Selbst hier winkt indes die Nachbarschaft von Blue Chips. Passend zum Originalkult schaut der füllige Riese in Richtung von Andy Warhols Polaroidminiaturen. Allerdings veranschlagt die Galerie für das Selbstporträt als Drag läppische 24.000 Euro – auf der sonst üblichen Preisskala des Pop-Titanen ein veritables Schnäppchen.

Sechsstellig geht es bei Gagosian mit schwarz-weißen Richard-Avedon-Ikonen zu, aber auch Taryn Simon bekommt eine Chance mit der Arbeit „Zahra/Farah“, einer blutigen Filmszene mit der irakischen Schauspielerin Zahra Zubaidi als misshandeltes Opfer. Die Fraenkel Gallery aus San Francisco trumpft neben einem Portfolio von Sol LeWitt mit einer museumsreifen Präsentation von Diane Arbus auf, der gerade auch im Jeu de Paume eine Retrospektive gewidmet ist: Nicht nur viele Klassiker sind hier zu sehen, sondern auch einige selten gezeigte Preziosen wie das frühe Porträt von Susan Sontag mit ihrem Sohn David von 1965. 

Geradezu erschwinglich gibt sich Nan Goldin bei der Gitterman Gallery aus New York. Ihre Schwarzweiß-Fotografie „Colette in Her Mirror with Fans“ von 1974, eine nackte Prostituierte ausgestreckt in ihrer horizontalen Arbeitsumgebung, ist für 20.000 Euro zu haben. Bei den Londonern Hamiltons, die mit ihrem abgedunkelten Auftritt in elegant schwarz gehaltenen Interieurs ins Blickfeld geraten, schießen die Preise für Annie Leibovitz oder Irving Penn wieder in sechsstellige Höhen.

Aus Deutschland ist Camera Work angereist, mit Arbeiten von Herb Ritts, David Drebin und Robert Polidori. Steve Schapiro ließ es sich nehmen, persönlich vorbeizuschauen und Bücher zu signieren - eine Ausstellung mit seinen Bildern ist zur Zeit in den Räumen im heimatlichen Berlin zu sehen.

Ein Höhepunkt auch der Stand der Pace/MacGill Gallery aus New York. Neben Chuck Close, Robert Frank, Lisette Model, Jackson Pollock und Hiroshi Sugimoto ist auch Paul Graham mit „End of an Age ‚31“ von 1996 vertreten. Der Brite hält nichts von Inszenierungen, Manipulationen oder konzeptuellen Ansätzen, die das Objekt auf Distanz halten. Das mag man zwar angesichts des blau eingefärbten Gesichts der ängstlich in die Zukunft blickenden Jugendlichen kaum glauben, aber ihre vom Clubexzess übermüdeten Augen sprechen die Sprache der dokumentarischen Wahrhaftigkeit so überzeugend, dass man ihr Bildnis sogleich als Meisterwerk titulieren möchte. Der Preis von 21.760 Euro? Ein Geschenk.

"Paris Photo", noch bis 13. November 2011