Rosa kann so wehtun: Charlie White taucht ein in die Plastikwelten amerikanischer Teenager

Das Mädchen hat ein rundes, zartes Madonnengesicht ohne Ecken und Kanten, sorgfältig getuschte Wimpern und blonde Strähnen in den Haaren. Die roten Lippen glänzen vom Lipgloss, dazwischen blitzt das Metall der Zahnklammer hervor. Mit diesem Porträtfoto hat sich Cyrilla Strothers – ja, so heißt man, wenn man aus einer kalifornischen Mittelklassefamilie kommt – mit 15 Jahren bei dem Fotografen Charlie White beworben. Und wurde sein all-American girl.
Zwei Jahre lang haben Cyrillas Familie und Freunde sowie Whites Assistenten kontinuierlich Fotos von Cyrilla gemacht. White selbst hat dazu das Strothers-Familienalbum durchforscht und die Bildwelten eingesammelt, die einem amerikanischen Teenie wie Cyrilla zur natürlichen Umwelt geworden sind: Die Zeitschriftencover mit den vielen aseptischen Schönheiten, all die Fotos von Cheerleaderinnen und den Paris Hiltons dieser Welt. Und hat dann all das zu einer unglaublich treffenden Dokumentation über ein Teenagerleben kombiniert.
Das „Cyrilla Strothers Project“ ist das konzeptuelle Herz der ersten deutschsprachigen Monografie des in Los Angeles lebenden 38-jährigen Fotografen Charlie White, und es zeigt exemplarisch seine Arbeitsweise. White analysiert die Lebenswelten von Teenagern, das Verhältnis von Bild und Selbstbild, von Identifikation und Identitätsbildung. In Ausstellungen sieht man meist allein die inszenierten Fotografien. Dabei kondensieren sie nur seine umfassenden Recherchen. Sie sind sorgfältig gecastete Porträts, die mit der Ausstattungswut und technischen Perfektion von Hollywoodfilmen den amerikanischen Teenager von heute in seinen Plas­tikwelten zeigen.
In „American Minor“ präsentiert White nun erstmals auch Ausschnitte aus seinem Recherchematerial und legt damit die Komplexität seines Werks offen. Dazu kommen Stills von animierten und real inszenierten Filmen, die seine Bilder von einer Adoleszenz zwischen Shoppingmall und Cornflakespackung noch weiter zu Ikonen steigern. Als sorgfältiger Anthropologe des Teeniedaseins entfaltet Charlie White eine visuelle Welt, die schmerzlich berührt in ihrer spiegelglatten, rosa glitzernden Oberflächlichkeit.
 

Charlie White: „American Minor“.

JRP Ringier, 144 Seiten, 48 Euro