In Melina Matsoukas besten Musikvideos kann es einem passieren, dass man die Pausentaste am Computer schneller als die Beats drückt, um die besten Details nicht zu verpassen. "S&M", eine gemeinsame Regiearbeit mit Rihanna, gehört in diese Kategorie – eine herrlich absurde Sadomaso-Fantasie, bei der unter anderem Unmengen von Scotch-Tape und Frischhaltefolie nebst billigen Glanzbildchen auf willigen Körpern verklebt werden.
In den letzten Jahren entstanden die begehrten Clips der zweifachen Grammy-Gewinnerin dann nur noch für ihre Freundin Beyoncé, für die sie auch an der visuellen Umsetzung ihres Konzept-Albums "Lemonade" arbeitete. In Erinnerung bleibt aber besonders "Pretty Hurts": Fast dokumentarisch wirkte die Reise hinter die Kulisse billiger Schönheitskonkurrenzen in der amerikanischen Provinz.
Susan Sontag prägte einst den Ausdruck vom "American Surrealism" für die Faszination ihrer Landsleute am Alltäglich-Abseitigen, jenem morbiden Highway, der von Diane Arbus geradewegs zu David Lynch führt. Auf dieser Straße spielt, angereichert mit Black Pride und dem allgegenwärtigen Rassismus in den USA, auch das Road Movie "Queen & Slim", Matsoukas erster Spielfilm, der diese Woche angelaufen ist. Nur der Anfang dieser Retro-Orgie ist zeigenössisch: Ein Tinder-Date bringt Daniel Kaluuya and Jodie Turner-Smith als Slim und Queen zusammen – oder doch wohl erst mal nicht: Wie die meisten Nutzer dieser App sind sie Profis genug, ein paar Drinks lang die Form zu wahren, auch wenn schon seit den ersten Blicken Klarheit herrscht, dass da nichts läuft.
Erinnerungen an Bonnie und Clyde
Dann aber stoppt ein rassistischer Cop die jungen Afroamerikaner, die Situation entgleist und Slim erschießt den Beamten in Notwehr. Die brutale Realität und die Gewalt der Staatsmacht gegen schwarze Bürger, die jüngst die Bewegung "Black Lives Matter" hervorgerufen hat, brechen in den Film ein. Auf ihrer Flucht durch den Süden werden die beiden dann zu Medienberühmtheiten, und schließlich doch noch zu einem Paar auf Leben und Tod, das nicht nur Fernsehreporter an Bonnie und Clyde erinnert. Und noch ein andere fatalistische Love-Story kommt einem in den Sinn: Was wohl aus "Thelma und Louise" geworden wäre, wenn es damals schon soziale Medien zu ihrem Ruhm gegeben hätte?
"Queen & Slim" besitzt durchaus die visuelle Kraft von Melina Matsoukas’ Videoclips, leider jedoch nicht das Drehbuch für einen 133-Minuten-Film. Tatsächlich verlängert Matsoukas’ Vorliebe für Steadycam-Fahrten und überhöhendes Posing das von der Schauspielerin Lena Waithe verfasste Script zusätzlich ins Zeitlupenhafte.
Ein bekennender Fan gleichermaßen vom Musical "West Side Story" und Wong Kar-wais Liebesmelodram "In the Mood for Love", ist Matsoukas mehr damit beschäftigt, visuelle Referenzen abzuarbeiten, als neue Ideen zu erfinden.
Eine Wolke wortloser Sympathie der Community
Und doch gelingen ihr einzelne Momente von ungewöhnlicher Schönheit. Da ist zum Beispiel die große Liebesszene in einem kleinen schwarzen Club in der Provinz, wo das Paar auf einer Wolke wortloser Sympathie der Community getragen wird. Die Regisseurin orientierte sich bei der Ausstattung an einem modernen Klassiker der sozialen Fotografie - Birmey Imes’ 1990 in einem Buch publizierten Serie "Juke Joints". Der Fotograf hatte darin die verschwindende afroamerikanische Kneipenkultur im Mississippi-Delta dokumentiert.
Für das Paar, dessen Flucht Anklänge an die Geschichte der Sklaverei enthält, ist der Juke Joint, in dem sie Obhut finden, ein entrückter Ort, eine geradezu mythische Höhle der Geborgenheit. Man wünscht sich, ihre Geschichte könnte auf dieser jenseitigen Note ausklingen, aber nur die Lust will Ewigkeit. Fatalistische Road-Movies wollen das apokalyptische Furioso. Und der Weg dahin ist leider schon allzu oft befahren worden.