Über 700 Stunden saß die gebürtige Serbin Marina Abramovic im vergangenen Jahr schweigend an einem Tisch im Atrium des Museum of Modern Art, ihr gegenüber ein Stuhl, auf dem 1565 Besucher Platz nahmen, darunter Tilda Swinton, Björk und Sharon Stone. Nun hat Pippin Barr, Dozent am Kopenhagener „Center for Computer Game Research”, ein Computerspiel veröffentlicht, das die Performance digital wiederauferstehen lässt. In „The Artist is Present“ steuert der User einen Avatar, der Abramovics Schau besucht – wenn das Museum geöffnet ist. Wer an einem Dienstag, an Weihnachten, Thanksgiving oder zwischen 17:30 und 10:30 Uhr New Yorker Zeit spielen möchte, wird enttäuscht: Barrs MoMA hat die gleichen Öffnungszeiten wie das echte.
Das lange Warten ist eine weitere Gemeinsamkeit mit der Realität. Im Schnitt muss jeder Spieler zwanzig Minuten anstehen, um bis zu Abramovic vorzudringen – manche nur einige Momente, andere mehrere Stunden. Barr hat es dem Spieler unmöglich gemacht, sich die Zeit mit anderen Dingen zu vertreiben: Wer nicht regelmäßig darauf achtet, vorzurücken, wenn die Schlange sich bewegt, wird von den anderen Wartenden aus der Reihe gekickt und muss von vorn anfangen. Barr selbst berichtet in seinem Blog, er habe beim ersten Testspielen fünf Stunden gebraucht und etwa alle zwanzig Sekunden kontrolliert, ob seine Figur aufrücken müsse.
„The Artist is Present“ mutet mit seiner 8-Bit-Ästhetik retro an. Barrs Konzept aber unterscheidet sich stark von frühen „Jump-and-Run“-Spielen: Statt auf Action setzt der promovierte Dozent auf Kontemplation. In herkömmlichen Computerspielen muss stets der Avatar leiden, ohne dass es für den Spieler unangenehm wird. Hier ist es andersherum. Damit die digitale Figur einer verpixelten Marina Abramovic gegenübersitzen darf, muss der Spieler aufmerksam abwarten und anstehen – ganz wie für große Kunst im Museum.
Hier geht es zum Spiel „The Artist is Present“
Computerspiel zur MoMA-Performance von Marina Abramovic