Herr Hesse, wie sind Sie als CEO zu Auctionata gekommen, das zwar auch ein Tech-Unternehmen ist, aber einen sehr analogen Gegenstand hat.
Das ist sicher richtig. Mit mehreren Investoren habe ich auch in anderen Bereichen investiert, und einige davon sind auch Mitglieder im Aufsichtsrat bei Auctionata Paddle8. Aus diesem Kreis wurde ich angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, mich mit dem Thema operativ zu beschäftigen. Das passte perfekt, zum einen weil bei Auctionata und Paddle8 die Post-Merger-Integration ansteht, zum anderen weil es bei der Zukunft des Unternehmens maßgeblich um das Thema Video geht. Das Unternehmen ist im Bereich Online-Auktionen für Kunst, Luxury-Goods und Collectibles bereits sehr erfolgreich mit einer starken Präsenz in Europa und den USA. Jetzt will man weitergehen und den Marktplatz und die globale Präsenz unter anderem mit Hilfe des Video-Themas weiterentwickeln.
Haben Sie irgendwelche Erfahrung mit dem Thema Kunst oder Kunstmarkt?
Ich interessiere mich seit vielen Jahren für die Kunst und bin selbst ein wenig Sammler. Als Manager bin vor allem auf der Business-Seite und mit dem Medienthema Video gefragt. Die Kunst- und Auktionswelt ist durch das vorhandene Team extrem gut vertreten, vor allem mit Alexander Zacke in Berlin und Alexander Gilkes in New York. Wie bei vielen Start-ups will die Company einen weiteren Schritt in Richtung Professionalisierung und systematischere Erschließung der Potentiale gehen und dabei insbesondere die Video-Komponente erweitern. Auch mit dem neuen CFO Lucas Hülsmann werden wir das Unternehmen noch stärker aufstellen und unsere Prozesse und das Wachstum der nächsten Jahre besser abbilden.
Ist mit dem Wechsel im Vorstand ein Wechsel der Besitzverhältnisse einhergegangen?
Wir haben bis jetzt mehrere Finanzierungsrunden hinter uns gebracht. Wir arbeiten mit einer hochkarätigen Runde von Investoren zusammen, die im Bereich Medien und Luxury Goods sehr erfahren sind. Details zu den Besitzverhältnissen geben wir derzeit nicht bekannt.
Was ist denn jetzt die neue Rolle von Alexander Zacke?
Herr Zacke wird als Gründer mit mir und Herrn Hülsmann gemeinsam die Führungsspitze bilden. Wie wir uns inhaltlich genau organisieren, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch klarer festzurren. Er wird zweifellos eine wesentliche Rolle in der weiteren Gestaltung des Unternehmens spielen, insbesondere bei der Gestaltung des Marktplatzes und der Weiterentwicklung der Company und des Produkts.
Kam der Wunsch zu diesem Wechsel aus dem Kreis der Investoren?
Der Wunsch wurde an mich durch die Investoren herangetragen und Alexander Zacke hat das selbst stark vorangetrieben. Ich freue mich jetzt sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm. Man wollte für die nächste Phase der Entwicklung einfach jemanden hereinnehmen, der sich im Medienbereich auskennt und die Erfahrung hat, große Teams zu leiten.
Sie haben mehrmals auf die Bedeutung des Bereichs Video abgehoben. Auctionata ist aber in einem Bereich tätig, bei dem es sehr auf Expertise ankommt. Das traditionelle Auktionshaus fasst ja jedes Objekt an. Gerade da unterscheidet sich Ihr Geschäftsmodell, weil Sie die Ware im Idealfall selbst nicht zu sehen bekommen. Genau das wird Ihnen häufig vorgeworfen, dass Sie im Zweifelsfall gar nicht wissen, was Sie da auf Ihrem Marktplatz vermitteln. Wie wollen Sie damit umgehen?
Das ist unterschiedlich. Viele der Stücke, die verauktioniert werden, sind bei uns im Hause vorhanden und werden im Studio gezeigt. Aber wir passen natürlich das Geschäftsmodell auf die neue Welt an. Wir verfügen über ein Netzwerk von 400 Experten, das in seiner Größe, globalen Verteilung und Qualität einzigartig ist. Es lehnt sich wissenschaftlich an die Katalogarbeit von renommierten Foundations und Gutachtern an. Wir nehmen die Qualität der Gutachten, die wir durch dieses Netzwerk leisten, extrem ernst. So glaube ich, dass wir in der Kombination von Expertennetzwerk und den im Studio erfolgenden Auktionen einen sehr guten Weg gehen, um die Qualität der Beurteilungen sicherzustellen. Auch ermöglichen wir den Verkäufern teilweise, die Objekte direkt an die Käufer zu verschicken.
Bei dem Geschäft, das Auctionata und Paddle8 betreiben, waren beide Unternehmen nicht die ersten. Sie haben eine Reihe von Wettbewerbern, die zum Teil schon sehr lange am Markt sind und sich mitunter eine blutige Nase geholt haben. Sotheby's hat schon zur Jahrtausendwende rund 200 Millionen Dollar, so wurde damals berichtet, in einen Online-Marktplatz gesteckt, der dann an Ebay mehr oder weniger verschenkt wurde und dort stillschweigend mehr oder weniger beerdigt wurde, Artnet hat mit seinen Auktionen bisher kein Geld verdient. Was machen Sie anders?
Wir sind bereits erheblich größer als einige Spieler, die rein im Online-Bereich gestartet sind, und sind diesen einen guten Schritt voraus. Natürlich haben die großen traditionellen Spieler starke Marken, die besonders im High-End-Bereich sehr aktiv sind. Auctionata Paddle8 versucht hingegen, das breite, mittlere Premium-Marktsegment abzudecken. Wettbewerber wie Ebay sind anders aufgestellt und nicht so sehr im Premiummarkt unterwegs. Der Markt ist aber auf jeden Fall groß genug, wenn man bedenkt, dass dort jährlich etliche Hunderte Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Etliche Hunderte Milliarden?
Ja, wenn man die Sekundärmärkte für Kunst, Uhren, Classic Cars, Musikinstrumente, Wein, und weitere Luxury Goods zusammenrechnet, ergibt sich ein sehr großer Markt, mit Zehntausenden Händlern mit dreistelligem Milliardenwert an Inventar, Hunderttausenden von Sammlern und etlichen Tausend Auktionshäusern, die zum Teil kaum international agieren. Es ist ein sehr zersplitterter Markt, von daher bietet es sich an, eine globale, integrierte Online-Plattform aufzubauen. Unter den reinen Online-Spielern hat Auctionata Paddle8 absolut die Nase vorn. Ich glaube, dass wir in diesem Markt sehr erfolgreich sein werden, und ich sehe enormes Potential.
Auf dem Kunstmarkt haben schon klassische Unternehmen Schwierigkeiten, auf einem seriösen Niveau zu arbeiten. Etliche die Skandale um Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Raubkunst und Fälschungen haben den Markt verunsichert. Wie wollen Sie sich mit Ihrem Remote-Zugriff auf die Ware und auf die Experten an vielen verschiedenen Orten absichern gegen Missbrauch? Bei der Beltracchi-Affäre haben sich selbst seriöseste Auktionshäuser Fälschungen unterjubeln lassen.
Das ist sicherlich eine Herausforderung, der wir uns stellen. Wir müssen höchste Ansprüche an uns selbst stellen und uns innerhalb des Netzwerkes auf Top-Experten verlassen können, und es ist dabei auch wichtig, dass sich die Experten mit ihren Bewertungen gegenseitig kontrollieren oder abstimmen. In diesem Zusammenhang haben wir auch die Firma Value My Stuff gekauft. Ich denke, dass man damit eine Qualität hinbekommen kann, die den Ansprüchen genügt. Bis jetzt sind Auctionata und Paddle8 gut mit dem System gefahren.
Werden die Experten weitgehend dezentral organisiert und selbständig bleiben?
Wir werden uns das alles sehr genau anschauen. Ich glaube, dass das Netzwerk, das wir momentan zwischen Paddle8, Auctionata und Value My Stuff integrieren, sicherlich eines der besten der Welt sein wird. Ob es noch einzelne Verbesserungen geben wird, werden wir sehen, aber wir werden sicherlich auch in Zukunft auf ein Netzwerk zugreifen, das nicht komplett im Hause ist. Wir glauben, dass wir damit auch die besten Experten an unser Unternehmen binden können.
Bisher ist die Fluktuation in dem Bereich relativ groß.
Dazu kann ich mich noch nicht äußern.
Wie sieht es denn mit der Haftung aus? Bei klassischen Auktionshaus haftet der Auktionator für seine Expertise und die Echtheit der Ware.
Es gibt momentan keinen Grund, unsere bisherige Garantie zu ändern.
Wo sehen Sie das Unternehmen in fünf, zehn, 20 Jahren?
Ich glaube, dass wir in zehn bis 15 Jahren eines der führenden Auktionshäuser und der führende Marktplatz für Kunst, Luxury Goods und Collectibles sein werden. Wir werden über eine Reihe von Videokanälen eine Vielzahl an Live-Auktionen anbieten und daneben sowohl Timed Auctions als auch den Shop anbieten. Für Kunst, Uhren, Classic Cars und Wein werden wir eine der führenden Adressen sein, die Sie einfach besuchen müssen, wenn Sie sich für diese Themen interessieren. Wir glauben, dass wir aufgrund der Qualität des Angebotes, der Transparenz der Auktionen und des Pricings ein Kanal sein werden, an dem Sie als Kunde und Anbieter nicht vorbeikommen. Daher glauben wir, dass wir in dem großen Markt, der etliche 100 Milliarden Dollar ausmacht, mit exzellentem Kundendienst für Käufer und Verkäufer eine starke Position einnehmen werden. Dieses Ziel ist absolut erreichbar.
Was planen Sie für Umsätze?
Ich möchte mich dazu heute noch nicht festlegen, ich habe ja noch nicht mal richtig angefangen! Ich gehe aber davon aus, dass wir unseren derzeitigen Umsatz vervielfachen und damit eine sehr starke Position einnehmen werden.
ZUR PERSON: 2002 ging Thomas Hesse mit Bertelsmann nach New York und hat dort als Chief Strategy Officer die Fusion von BMG und Sony angestoßen. Der Merger wurde 2004 umgesetzt und die Firma 2008 von Sony komplett übernommen. Nach dem Merger war er als Präsident für das Global Digital Business und für den US-Vertrieb zuständig und hat über zehn Jahre den Übergang vom Schallplattengeschäft hin zum digitalen Business vorangetrieben. In dieser Zeit war er auch an der Gründung der Musikvideo-Plattform VEVO beteiligt, einem Gemeinschaftsunternehmen von Sony und Universal. 1999 war er bei RTL in Köln als Generalsekretär für die Programmversorgung zuständig. Zuvor war er bei der RTL Group Holding in Luxemburg und von 2000 bis 2002 Geschäftsführer von RTL New Media, heute RTL Interactive. Von 2012 bis 2013 war Hesse dann wieder bei Bertelsmann und dort im Vorstand für die Konzernstrategie, M&A und für die Venture Fonds in New York und in China zuständig, und im Aufsichtsrat der Bertelsmann Divisionen (RTL Group, Random House, Gruner & Jahr und Arvato). Seit 2014 hat er verschiedene Projekte verfolgt und sich neben Aktivitäten im Private Equity Bereich als Angel Investor auf das Venture Capital-Geschäft fokussiert, wiederum mit Schwerpunkt auf dem Bereich Video.