Das aktuell beliebteste Berliner Gossip-Thema könnte man nüchtern ziemlich kurz zusammenfassen: Berühmter Rapper hat sich in auffälligem Outfit Kunst angeschaut, und die Berliner Institutionen haben ihre Türen aufgemacht. Aber da auch die oft unterkühlt auftretende Kulturszene nicht vor Promi-Faszinations-Anfällen gefeit ist und ein diskreter Museumsbesuch mit diesem berühmten Rapper offenbar nicht zu machen ist, hat sich Kanye Wests Berlin-Trip zu einem größeren Medienevent ausgewachsen - inklusive einer Fahrt im Auto eines "Bild-Reporters" und erhöhtem Meme-Aufkommen in den sozialen Medien.
Was sich bestätigen lässt: Kurz nach Veröffentlichung seines neuen Albums "Donda" ist West, der sich seit Kurzem nur noch Ye nennen will und gern mit seiner Messiashaftigkeit kokettiert, über Berlin gekommen. Optisch näherte er sich seinem jüngsten Albumcover an, das bisher lediglich aus einem schwarzen Quadrat besteht. Der Musiker wurde in monochrom dunkler Ausstattung mit Hoodie und schwarzer Gesichtsmaske fotografiert, sodass auch die Möglichkeit nicht ganz unwahrscheinlich erschien, West habe in irgendeiner konzeptuellen Absicht einen Doppelgänger auf Reisen geschickt.
Aus den besuchten Kunstinstitutionen hört man jedoch, dass er es war. Demnach schaute er sich die Sammlung Boros im ehemaligen Reichsbahnbunker in Mitte, die Kunst Werke in der Auguststraße, die Ausstellung "Berl Berl" von Jakob Kudsk Steensen in der Halle am Berghain und die Julia Stoschek Collection an der Leipziger Straße an. Dort begegnete er sich gewissermaßen selbst, denn in der Ausstellung "A Fire In My Belly", die sich mit Kunst als Ausdrucksmittel des Protests beschäftigt, ist auch die Videocollage "Love Is The Message, The Message Is Death" von Arthur Jafa zu sehen. Als Soundtrack benutzt der US-Künstler dafür Kanye Wests Gospel-Track "Ultralight Beam" vom Album "The Life of Pablo" (2016).
KW steht jetzt also für Kanye West
In den Kunst Werken (KW) soll sich der Rapper vor allem für die Ausstellung des neuseeländischen Künstlers Michael Stevenson interessiert haben, der dort ein komplexes System aus analogen und digitalen Mechanismen miteinander verschaltet (eigentlich gar nichts für einen schnellen Besuch mit großer Entourage). Auf Instagram ließ sich jedoch noch ein anderes Ereignis der Stippvisite verfolgen, denn auf den Accounts der Kunst Werke und ihres Direktors Krist Gruijthuijsen erschien Kanye West (weiterhin vermummt) in einem Merchandise Hoodie mit dem Aufdruck KW - was passenderweise sowohl die Initialien des Kunsthauses als auch die von Kanye West sind.
Der kleine PR-Stunt hat sich offenbar ausgezahlt, denn laut Gruijthuijsen sind die Hoodies inzwischen ausverkauft (Nachschub sei aber auf dem Weg). Man könnte das alles als Hype in einer abwechslungsarmen Sommerloch-Pandemiezeit abtun, aber der West-Besuch zeigt, wie verstrickt Kunst, Mode, Pop und Kommerz und ihre Aufmerksamkeitsmechanismen heute sind. Ein Superstar wie Kanye West kann sich in renommierten Kunstinstitutionen mit kulturellem Kapital und der Aura des kritischen Geistes aufladen, während sich die Häuser ein bisschen Glamour und idealerweise ein neues Publikum jenseits ihrer Nische versprechen (ob das wirklich funktioniert, wäre eine andere Frage).
Wem nützt der Hype, außer West selbst?
Jedoch ist Kanye West eine zumindest merkwürdige Werbefigur für eine Institution, die sich so offensiv politisch und progressiv positioniert wie die KW. Der Rapper hat sich wiederholt als Trump-Unterstützer positioniert und trat bei einem Listening-Event für sein Album "Donda" kürzlich mit Marilyn Manson und Da Baby auf, denen respektive sexueller Missbrauch und homophobe Äußerungen vorgeworfen werden (DaBaby hat sich inzwischen für seine Aussagen entschuldigt). Man kann das alles konzeptuell überhöhen, indem man es als Wests Spiel mit dem "Bösen" liest, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass mit den gern kommunizierten Prinzipien in der Kunst oft etwas großzügiger umgegangen wird, wenn der Starfaktor im eigenen Haus groß genug ist.
Museen sind keine heiligen Hallen, in die das Außen nicht eindringen darf, und natürlich dürfen Promis Kunst anschauen, soviel sie wollen. Aber wer explizit politische Positionen zeigt und sich dem Schutz von Minderheiten verpflichtet fühlt, sollte abwägen, ob ein so öffentliches Abfeiern von Kanye West wirklich irgendjemandem außer ihm selbst nützt. Sonst wirken die inklusiven Grundsätze irgendwann wie eine Maske.