Galas sind eigentlich ein zentraler Bestandteil des Kunstherbstes in New York. Die Museen und Kulturinstitutionen sind in den USA maßgeblich auf Spenden privater Förderer angewiesen, und die werden gern mit guten und exklusiven Partys unterhalten. Das Performance-Festival Performa ist für rauschende Feste bekannt - in den vergangenen Jahren gab es beispielsweise eine Metal Party zu Ehren des Bauhaus oder eine Red Party im Geiste des russischen Konstruktivismus.
In diesem Jahr verbietet die Covid-19-Pandemie, die in den USA Mitte November einen neuen Höhepunkt erreicht hat, jedoch große Zusammenkünfte. Und so feiert die Performa ihren 15. Geburtstag am Mittwoch, 18. November, mit einem rein digitalen "Telethon" Fundraiser, für den Künstlerinnen und Künstler neue Werke und Editionen produziert haben und zu dem diesmal einfach alle eingeladen sind.
Performa-Gründerin RoseLee Goldberg ist eine Koryphäe der Live-Kunst und nicht ganz unschuldig daran, dass die einstige Rand-Disziplin Performance immer mehr Aufmerksamkeit bekommt und heute in Museen, bei Biennalen und sogar auf Messen nicht mehr wegzudenken ist. Doch was passiert, wenn körperliche Nähe und Intimität in einer Pandemie nicht mehr möglich sind und andere Körper plötzlich als potenziell gefährlich eingestuft werden? Wir haben mit RoseLee Goldberg gesprochen.
RoseLee Goldberg, ich erreiche Sie in New York. Wie würden Sie die Stimmung der Kunstwelt um Sie herum beschreiben – nach der Wahl, aber mitten in der Pandemie?
Es ist natürlich ein harter Kampf, wie es ihn überall auf der Welt gibt. Aber ich glaube, alle um mich herum sind sehr erleichtert. Seit der Wahl wurde ein schweres Gewicht von unseren Schultern genommen. Wir waren alle so lange deprimiert, dass wir gar nicht mehr gemerkt haben, wie sehr uns die letzten Jahre belastet haben. Ich hoffe nun sehr auf einen anderen Ethos und Geist. Aber natürlich verändert die Pandemie das wahnhafte Tempo dieser Stadt, alle sind auf sich zurück geworfen. Aber die Kunst ist sehr gut darin, auf Krisen zu reagieren.
Auch in dieser?
Ja, ich habe das Gefühl, dass viele Künstlerinnen und Künstler sehr fokussiert und produktiv arbeiten. Natürlich nur, wenn essenzielle Bedürfnisse wie Wohnung und Nahrung nicht gefährdet sind – und diese Gefahr ist sehr real hier.
Wenn wir noch einmal auf die vergangenen vier Jahre zu sprechen kommen: Donald Trump wurde oft als Performance-Künstler bezeichnet. Zurecht?
Ich glaube, es ist zu einfach, ihn einen Performance-Künstler zu nennen. Es ist beleidigend für alle, die Kunst machen. Ich finde, er ist sehr gut darin, die Medien in diesem Land zu verstehen und für sich zu nutzen. Darin liegt sicher eine gewisse Brillanz. Aber es gibt so viele autoritäre Herrscher in der Geschichte, die die Macht von Prunk und Spektakel verstanden haben. Ich glaube nicht, dass er eine Ästhetik gefunden hat, die wirklich überzeugt. Also würde ich davon absehen, ihn als Performance-Künstler zu bezeichnen, ich versuche es zu vermeiden, den Begriff so freizügig zu benutzen. Das ist zu gefährlich. Künstler nutzen ein Medium, um komplexe Ideen zu vermitteln. Trump ist ein sehr cleverer Manipulator von Ideen, er wiederholt sie immer und immer wieder und lässt kaum irgendwann Zögern oder Fragen zu. Er ist jenseits von all dem. Jemand könnte einen großartigen Job damit machen, seinen Stil wirklich zu analysieren. Das steht noch aus.
In den vergangenen Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Realität mehr Spektakel produziert hat, als man sich hätte ausdenken können. Ist das ein Problem für die darstellende Kunst, die ja oft mit dem Undenkbaren und der Überzeichnung spielt?
Künstlerinnen und Künstler arbeiten in gewisser Weise immer in ihrem eigenen Maßstab. Denken Sie an Positionen, die wirklich das Spektakel nutzen: Matthew Barneys Filme zum Beispiel. Diese Art der Ästhetik können Sie mit nichts vergleichen, was in der Pop-Kultur oder der Medienwelt passiert. Aber natürlich gibt es immer eine gegenseitige Beeinflussung. Die Künstler beobachten sehr genau, was in den Medien passiert, und die Medien suchen auch nach künstlerischen Strategien – was ich nicht problematisch finde. Künstler finden eine Form für ihr Material und ihre Bedürfnisse. Wir sind an eine sehr große Bandbreite von Performances gewöhnt: Von der minimalen konzeptuellen Geste bis zur großen Show. Es gibt so viele Möglichkeiten, und es ist die Aufgabe der Kunst, die Realität und die Medien wahrzunehmen und zu kommentieren. Und manchmal produziert Kunst natürlich auch Realität.
Sie haben das Festival Performa vor 15 Jahren ins Leben gerufen. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Relevanz des Mediums verändert hat? Heute hat gefühlt jede große Ausstellung ein Performance-Programm …
Das stimmt, und ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass Performa daran einen gewissen Anteil hat. Ich habe 1979 mein Buch über die Geschichte der Performance im 20. Jahrhundert geschrieben, und ich war ziemlich allein mit der These, dass die Geschichte der Performance-Kunst ein zentraler Aspekt der Kunstgeschichte ist. Leonardo da Vinci hat Live-Events veranstaltet, genau wie Caravaggio. Live-Performances waren immer Teil der Kunst, aber das wurde lange nicht anerkannt, weil die Leute nicht wussten, was sie mit diesem Material anfangen sollen. Bei der Gründung der Performa war eines der Ziele, diese Geschichte bekannt zu machen und ihre Relevanz zu unterstreichen. Zu zeigen, wie Performance Menschen erreicht, und wie tief sie berühren kann. Ich wollte immer Museen, Kuratoren und Akademikerinnen erreichen und das zeigen, was ausgelassen wurde. Und ja, ich glaube, dass die Performa die Kunst-Landschaft in dieser Hinsicht verändert hat. Wir haben immer einen Fokus auf eine historische Epoche gelegt, in der Performance sehr wichtig war. Aber wir haben auch gezeigt, wie man eng mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten kann, um das Projekt ihrer Träume zu realisieren.
Sie beauftragen auch Künstlerinnen und Künstler, die vorher gar nicht unbedingt mit Performances gearbeitet haben. Da steht dann zum Beispiel Ed Atkins, den man vor allem als Videokünstler kennt, allein auf einer Bühne in einem kleinen Theater und singt Henry Purcell. Was ist Ihre Überredungsstrategie?
Es braucht eigentlich kaum Überredungskunst. Anfragen entstehen meist aus Situationen heraus, in denen ich Werke sehe und mich frage, was passieren würde, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler live gehen würde. Die erste Auftragsarbeit ist 2001 entstanden, nachdem ich Shirin Neshat auf der Venedig-Biennale gesehen hatte und dachte: "Wow, das ist so wunderschön, was, wenn das live wäre?". Sie hatte Timing verstanden, sie konnte ein Publikum fesseln, sie konnte eine visuelle Geschichte erzählen. Und sie liebte die Idee. Sie sagte, dass sie bei der Entstehung ihrer Filme immer ein Live-Publikum im Kopf gehabt hatte. So fügt es sich oft zusammen. Manchmal ziehen sich die Gespräche auch sehr lange hin. Bei Rashid Johnson zum Beispiel habe ich darauf bestanden, dass er mir unbedingt Bescheid sagen soll, wenn er eine Idee für eine Performance hat. Und eines Tages hatte er eine Idee. Er wollte das Theaterstück "The Dutchman" von Amiri Baraka in einem türkischen Bad aufführen. Und das haben wir dann gemacht.
Gibt es auch den umgekehrten Fall, dass jemand eine tolle Künstlerin ist – aber eben keine Performerin?
Das Einzige, was manchmal fehlt, ist genug Zeit zum Proben. Ein paar Mal habe ich gedacht: "Was, wenn wir noch zwei Extra-Abende in der Location gehabt hätten?" Was eben aus Budgetgründen nicht immer geht. Aber grundsätzlich verbringen wir sehr viel Zeit mit den Künstlern und begleiten die Entwicklung der Projekte. Wenn jemand nicht bereit ist, warten wir eben noch zwei Jahre. Mein Mantra ist: 100 Prozent Risiko und 100 Prozent Vertrauen. Auf Seiten der Künstler und auf unserer Seite. Wir wissen beide nicht, was wir bekommen, aber wir vertrauen darauf, dass etwas Aufregendes entsteht.
Sie haben die Faszination des Live-Erlebnisses angesprochen. Nähe und Intimität sind sozusagen eine Währung der Performance. Ist die Pandemie, die Nähe gefährlich macht, nicht der absolute Albtraum für die Performance-Kunst?
Künstlerinnen und Künstler neigen dazu – und sehr gut darin –, das zu nehmen, was sie haben und damit zu arbeiten. Ich glaube, dass Performance in Krisenzeiten floriert. Denken Sie an Dada während des Ersten Weltkrieges, als die Künstler sozusagen in Zürich im Lockdown saßen und sich von den Schlachtfeldern im Rest Europas fernhalten mussten. Ich glaube, Performance ist sehr widerstandsfähig und flexibel. Sie kann schnell auf Veränderungen reagieren. Ich glaube, dass die aktuelle Pandemie dazu führen wird, dass es in Zukunft viel mehr interessante Videoarbeiten geben wird. Und diese werden dieselbe Energie und dieselbe Begeisterung verkörpern, die man vielleicht sonst in eine Live-Performance stecken würde. Viele Künstler werden einen Plan B entwickeln müssen, aber das werden sie und das tun sie schon. Wir als Performa tun das auch und denken an 2021. Egal, wie die Lage dann sein wird: Alle Performances werden eine Live- und eine Videokomponente haben. So können wir flexibel reagieren. Wir werden viel draußen planen, und vielleicht werden wir nur drei oder fünf Menschen in einem Raum sein, wer weiß. Wir werden kreativ sein und uns daran orientieren, wie die Welt dann aussieht. Wir sind gute Problemlöser.
Wenn man ein Gemälde anschaut, denkt man nicht unbedingt an den Körper, der es gemalt hat. In der Performance-Kunst werden die Körper der Künstler viel präsenter – und Körperlichkeit wird viel offener verhandelt. Könnte das in einer Pandemie, in der andere Körper potenziell gefährlich sind, auch produktiv sein?
Auf jeden Fall. Ich denke, wir werden sehr viele Werke sehen, die sich genau mit diesem Aspekt beschäftigen. Es gibt so viele unterschiedliche Arten mit dem Körper umzugehen, und Kunst hat schon immer unsere Körperbilder beeinflusst. Wenn man an die großen Themen der Gegenwart denkt – Gender, Ethnizität, Gesundheit –, dann werden der Körper und die Rituale um ihn herum ein außergewöhnliches figuratives Werkzeug, um die Welt zu beschreiben, in der wir leben. Das ist der endlose Reichtum der Performance-Kunst.
Also sind Sie nicht traurig darüber, dass der 15. Performa-Geburtstag ausschließlich online mit einem "Telethon" gefeiert wird?
Unsere Partys haben einen ziemlich guten Ruf, also mussten wir etwas finden, das dem entspricht. Und nun werden wir ein digitales globales Kunstevent haben, das ist sehr aufregend. Ich habe den Bildschirm schon immer als Ausstellungsraum gesehen. Wenn man eine Performance nicht live erleben kann, ist das der ideale Ort, um sie zugänglich zu machen. Wir beschäftigen uns schon lange damit, wie wir unsere Performances aufnehmen und wie diese Aufnahmen ein legitimier Teil der Performance sein können – und eben nicht nur Dokumentation. Wir haben viel darüber diskutiert, wie wir den Bildschirm als Ort der ästhetischen Entdeckung nutzen können. Und nun haben viele Künstlerinnen und Künstler für den "Telethon" neue Arbeiten für den Bildschirm geschaffen. Ich habe das Gefühl, dass viele Institutionen nicht darauf vorbereitet waren, online zu gehen, so wie es die gegenwärtige Situation verlangt. Das meiste, was man jetzt sieht, sind alte oder neue Interviews oder Rundgänge, aber kaum neue Werke speziell für den digitalen Raum. Für mich ist es zentral, dass man durch den Bildschirm, sogar auf seinem kleinen Telefon, Kontakt mit unglaublichen Arbeiten und Ideen knüpfen kann. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich Ausstellungen im Netz verändern - und auch das Kuratieren für das Internet.
Sind wir da nicht wieder beim menschlichen Körper, der irgendwann nicht mehr vor einem Bildschirm sitzen kann – egal, wie gut die Kunstwerke sind?
Das stimmt – und das fühlen wir sicher alle. Aber wir versuchen, diese Grenzen in unsere Überlegungen mit einzubeziehen, wie wir unser Online-Angebot konzipieren wollen. In unseren Online-Ausstellungen im Format "Radical Broadcast" haben wir das über Wiederholung und Loops gelöst. Jedes Video kommt wieder, man hat nicht das Gefühl, man muss zu einem bestimmten Zeitpunkt einschalten, sonst verpasst man unwiederbringlich etwas. Wenn Sie Carrie Mae Weems in einem Monat 20 Mal sehen wollen, können Sie einfach immer wieder einschalten. Wir sagen gewissermaßen: "Bitte schauen sie sich ja nicht alles auf einmal an!", weil wir wissen, dass es nicht geht. Man hat selbst mehr Raum, um seine Zeit einzuteilen und kann immer wieder zurückkommen. Das ist online viel leichter als im Museum – wo man dann eben meistens doch nicht zurückkommt, auch wenn man es sich vorgenommen hat.
Um noch einmal in den analogen Raum zu wechseln: Sie haben öfter gesagt, dass Sie mit der Performa auch der Homogenisierung von New York entgegenwirken wollen, indem Sie immer wieder neue und ungewöhnliche Orte für die Performances finden. Ist das schwieriger geworden?
Die Stadt ist ein lebendiges Tier, und ich habe Performa von Anfang an als radikalen Urbanismus verstanden. Es gibt immer Orte, an die wir unser Publikum bringen können und an denen sie noch nie waren. Sie entdecken New York neu, und ihre Aufmerksamkeit wird anders gelenkt. Es müssen auch nicht immer die klassischen versteckten Schätze sein, die man sich vorstellt. Man kann auch den Times Square und den Central Park immer wieder anders bespielen. Im Moment ist es allerdings wirklich schockierend, wie viel Leerstand es durch die Corona-Krise gibt. Wenn Sie durch die Stadt laufen, ist da so viel Leere. Wir werden sehen, wie viel davon zurückkommt, aber es wird sicher große Veränderungen geben. Ich bin in den 1970ern hierher gekommen, als New York bankrott war. Alle in der Kunstwelt haben hart gearbeitet und eine großartige Gemeinschaft der Ideen geschaffen. Die Stadt hat die Kraft, zurückzukommen. It'll be fine.