Es gibt wohl keinen dramatischeren Liebesbeweis, als sich mit tausenden tintengetränkten Nadelstichen pro Minute ein Motiv unter die Haut stechen zu lassen - und auch kaum einen, den man hinterher häufiger bereut. Die Liebe zur Kunst jedoch ist beständiger als jene zur Partnerin und/oder zum Partner und so um einiges besser geeignet als Inspiration für ein Bild, das auf ewig die eigene Haut ziert.
Das dachte sich vielleicht auch Miley Cyrus, deren Oberarm fortan eine nackte Frauensilhouette aus Henri Matisses "Le Nu aux oranges" ziert. Auf Instagram betitelte sie ein Video ihres neuen Tattoos mit einer Zeile aus Leonard Cohens Song "Dance Me To The End of Love" und schrieb dazu "Matisse X Cohen". Das lässt darauf schließen, dass die Sängerin das Motiv in einem nach dem Cohen-Hit benannten Bildband gefunden hat, in dem der Songtext von Werken des französischen Malers begleitet wird.
Als Tattoo-Motive offenbaren Kunstwerke die subjektive Beziehung, die wir zu ihnen pflegen. Das gilt beispielsweise auch für die Guggenheim-Chefkuratorin Nancy Spector, die sich kürzlich Felix Gonzalez-Torres "Untitled (design for a tattoo)" stechen ließ: einem Ring aus Delfinen, der erst durch das Auftragen auf einen menschlichen Körper zum vollständigen Werk wird. In einem Interview in der aktuellen Monopol-Ausgabe spricht Spector darüber, wie bedeutend die Arbeiten des kubanischen Künstlers für ihre eigene kuratorische Praxis war.
Zu einem Werk, das man sich tätowieren lässt, verliert man jeglichen kritischen Abstand und leistet ihm einen stürmischen Liebesschwur, wie er meist den Lieblingsalben der Teenagerzeit vorbehalten bleibt. Eine solche Fan-Geste kann bei all der theoretischen Strenge des Kunstsystems befreiend wirken. Das wusste auch Michael Smith, dessen Installation "Not Quite Under_Ground" bei den Skulptur Projekten 2017 dazu einlud, sich von an der Ausstellungen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern designte Tattoo-Motive stechen zu lassen - und Personen über 65 Jahren mit Seniorenrabatt ins Studio lockte. Für ein wenig jugendlichen Pathos ist man schließlich nie zu alt.