Nein, das war’s noch lange nicht. Auch wenn die Koalition den Eindruck in den Medien erweckt hat, alles sei gelaufen: Das Gesetz zur Grundrente ist noch nicht beschlossen. Zu entscheiden hat der Gesetzgeber, der Bundestag. Und dieser kann Änderungen am eingereichten Regierungsentwurf beschließen, so auch die Absenkung des geforderten Mindesteinkommens, damit auch Kreative eine reelle Chance haben. Schon 35.000 Menschen haben den Appell des BBK unterzeichnet. Wir bitten um Ihre Unterstützung: Unterschreiben Sie den BBK-Appell! Verbreiten Sie ihn! Denn es gilt nun, die Abgeordneten vom dringenden Korrekturbedarf zu überzeugen.
Um was geht es?
Wir lassen mal die Diskussion um Alternativen zur sozialen Sicherung (zum Beispiel bedingungsloses Grundeinkommen, allgemeine Mindestrente) beiseite – die Idee der Anerkennung von Lebensleistung Geringverdienender ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber die Nachricht von der Einigung der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD auf einen Gesetzentwurf konnte nur begrüßt werden, bis das Papier dann bekannt wurde.
Denn zur Überraschung nicht nur von Künstler- und Kreativenverbänden sieht der Gesetzentwurf neben der Voraussetzung von mindestens 33 Jahren sogenannter Grundrentenzeiten eine weitere Hürde vor, die zum Stolperstein für sehr viele Geringverdiener werden dürfte: In den Grundrentenzeiten muss ein Mindesteinkommen von einem Drittel des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens (brutto) erwirtschaftet worden sein. Wenn nicht – Pech gehabt! Denn dann handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung wohl nur um ein kleines, nicht ernst zu nehmendes Nebeneinkommen, gerne wird hier die Zahnarztgattin als Beispiel angeführt.
Dass Künstler*innen und andere Kreative aber teilweise mit weniger als einem solchen Einkommen irgendwie über die Runden kommen müssen, kann sich offenkundig in der Bundesregierung kaum jemand vorstellen, entspricht aber leider der Realität. Ein Blick in die Ergebnisse der BBK-Umfrage zur wirtschaftlichen und sozialen Situation oder auch der Künstlersozialkasse (KSK) hätte Aufschluss bieten können.
Zahlen gegen Realitätsverlust
Das Durchschnittseinkommen aller Arbeitnehmer*innen in Deutschland betrug 2018 laut Deutscher Rentenversicherung 37.873 Euro. Ein Drittel hiervon sind 12.624 Euro. Die KSK hat für 2018 differenziert nach Berufsgruppen das (geschätzte) Einkommen mitgeteilt: Bildhauer*innen 11.668 Euro, Maler*innen 12.253 Euro. Diese KSK-Zahlen sind verlässliche Anhaltspunkte für die prekäre Lage, gleichwohl sind auch sie differenziert zu betrachten. Denn die Zuordnung zu den Berufsgruppen der KSK verbindet in manchen Bereichen durchaus einträgliche kommerzielle Berufe mit klassischer künstlerischer Tätigkeit, die in besonderem Maße schwankenden Einkommen aufweisen. So sind zum Beispiel in der Berufsgruppe der Fotograf*innen auch Werbefotograf*innen erfasst. Würde man nur künstlerische Fotograf*innen betrachten, läge das Durchschnitteinkommen mit Sicherheit deutlich unter dem von der KSK ermittelten Betrag.
Alle Statistiken belegen aber eines: Die Einkommenssituation vieler Künstler*innen ist prekär. Das wird auch von niemandem bestritten. Daher müssen die Alarmglocken läuten: Tausenden Künstlerinnen und Künstlern wird es im Laufe ihrer Erwerbsbiografie nicht gelungen sein, in den Grundrentenzeiten kontinuierlich mindestens 33 Jahre lang ein Drittel des Durchschnittseinkommens zu erzielen. Denn besonderes Kennzeichen einer kreativen Erwerbsbiografie sind stark schwankende Einkommen. Zwar arbeiten Bildende Künstler*innen durchaus ständig, sind aber - anders als abhängig Beschäftigte - im Einkommen abhängig von einer stark schwankenden Nachfrage, einem selektiven Kunstmarkt, der oftmals grottenschlechten Vergütung künstlerischer Leistungen – bis dahin, dass vielfach nicht einmal Ausstellungsvergütungen gezahlt werden. So kann eben in einem Monat das Einkommen dank eines Werkverkaufs gut sein und im nächsten Monat das Bezahlen der Ateliermiete in Frage stehen.
Deshalb hat der BBK vorgeschlagen, sich zum Beispiel an dem von der KSK fundiert verlangten Mindesteinkommen zu orientieren. Auf jeden Fall muss der Einstiegssatz drastisch abgesenkt werden, wenn die Bundesregierung ernst meint, was sie sagt: Lebensleistung verdient Respekt. Dann muss das Gesetz nämlich auch den besonderen Einkommensbedingungen Kreativer Rechnung tragen.
Und wie geht’s weiter?
Das Gesetz wird nach Einreichung durch die Bundesregierung in absehbarer Zeit, vermutlich vor der Sommerpause des Parlaments, im Plenum beraten und im Anschluss an die zuständigen Ausschüsse verwiesen werden. Eine zentrale Rolle werden hier sicher der Ausschuss Arbeit und Soziales und der Haushaltsausschuss spielen. Diese Ausschüsse können auch Anhörungen durchführen. Wir fänden es jedenfalls klug von ihnen, wenn sie zur Frage einer gerechten Einbeziehung Kreativer auch die Expertise der Zivilgesellschaft einbezögen. Der Bundestag kann Änderungen an Gesetzentwürfen, auch solchen der Bundesregierung, mit Mehrheit beschließen, so zum Beispiel auch, Kreativen, die die Grundrentenzeiten erreichen, den Zugang zur Grundrente zu öffnen.
Deshalb werden wir uns gemeinsam mit anderen engagierten Verbänden in der folgenden Zeit vernehmbar zu Wort melden, einmischen, Gespräche mit Abgeordneten suchen, bevor die endgültige Beschlussfassung in der 2./3. Lesung erfolgt, vermutlich gegen Ende dieses Jahres. Es gibt also mehr als genug Anlässe und Gelegenheiten, ja Bedarf zur Einmischung, um die Abgeordneten von der dringend notwendigen Korrektur zu überzeugen.
Deshalb: Unterschreiben Sie den Appell! Verbreiten Sie ihn. Und sprechen Sie Bundestagsabgeordnete in ihren Wahlkreisen darauf an. Denn: Lebensleistung verdient Respekt. Und zwar auch gegenüber Kreativen.