Wer einmal in bekifftem Zustand versucht hat, von der Hauptbühne in Glastonbury zu seinem Zelt zu gelangen, weiß: So ein Festival – immerhin eines der größten der Welt – kann schon ein ziemliches Labyrinth sein. Ich bin mir nicht sicher, ob die hunderten Mietzelte, die in diesem Jahr in Reih und Glied auf dem Gelände stehen und die sich nur in ihrer Farbe unterscheiden, die Orientierung erleichtern. Aber irgendein Leitsystem wird es schon geben.
Im Sommer 2000 sind wir, wie 150.000 (!) andere Menschen, ohne Tickets durch eine Lücke im Zaun aufs Festival gelangt. Beherztere Leute haben mit ihren Autos ganze Segmente der Begrenzungsanlage herausgerissen. Es lag ein Hauch von Berlin 1989 in der Luft. Wenige Wochen später drückten sich beim Festival in Roskilde Menschen zu Tode – und Glastonbury verschärfte in den Folgejahren seine Sicherheitsmaßnahmen.
Dabei feierte das "Festival of Contemporary Performing Arts", das vor genau 40 Jahren zum ersten Mal unter diesem Namen stattfand, seit seinen Ursprüngen in den frühen Hippie-Ära das Chaos: Mal prügelten sich New-Age-Anhänger mit Gegnern, dann brannte eine Bühne, mal Schlammschlachten, dann das Vollkatastrophenpaar Kate Moss und Pete Doherty. Die Zeltstadt nun erinnert aber eher an die Legoversion eines gut organisierten Flüchtlingscamps. Nachdem immer mehr Besucher ihre Zelte einfach auf dem Gelände zurückließen, teilt das Festival nicht nur kompostierbare Zelte am Eingang aus, sondern stellt auch eigene zur Miete bereit.
Das hat nichts mehr mit Rock 'n' Roll zu tun? Ja, eh nicht! Die Flüchtlingslager-Assoziation kommt bei der fast heißesten Ausgabe in der Geschichte des Festivals nicht von ungefähr: Klimawandel, Brexit-Chaos, ein möglicher Premierminister Boris Johnson sind Rock 'n' Roll genug.
Heute sind es die Musiker, die sich nach Sicherheit und Stabilität sehnen: Rapper Stormzy ließ bei seinem Auftritt am Freitag nicht nur sein Publikum "Fuck Boris!" skandieren, sondern trug dabei auch eine stichwaffenfeste Weste von Banksy.