Ausstellung "Into Space"

Ausflug in den Sonnenstaat

Der Bildhauer Naum Gabo trifft im Haus am Waldsee in Berlin auf die zeitgenössischen Werke von Berta Fischer und Björn Dahlem. Meint der Titel "Into Space" den Kunst- oder den Weltraum? Beides

Die Wissenschaft: Als Überbringerin mitunter schlechter Nachrichten wird sie von Ewiggestrigen verteufelt, in der Regel aber hochgeschätzt. Ohne Forschung, der wir unter anderem die Covid-19-Impfstoffe verdanken, wären ganz furchtbare Pandemie-Zeiten angebrochen. Wissenschaft ist also ein würdiges und vor allem auch fruchtbares Thema, zum Beispiel in der aktuellen Ausstellung "Into Space" im Berliner Haus am Waldsee, wo die Zeitgenossen Berta Fischer und Björn Dahlem in einen überzeitlichen Dialog mit ihrem Bildhauerkollegen Naum Gabo (1890-1977) treten. Die bereits im vergangenen Oktober eröffnete Schau, die Corona-bedingt lange geschlossen blieb, ist inzwischen verlängert worden und nun noch bis 6. Juni zu sehen.

Waldsee-Leiterin Katja Blomberg präsentiert in der Zehlendorfer Villa regelmäßig Kunstschaffende mit Berlin-Bezug. Das gilt auch für Naum Gabo, einen der Großen der Moderne, der zwischen 1922 und 1932 in Berlin lebte. Gabo stammte aus Russland, studierte in München zunächst Medizin und schärfte dann in naturwissenschaftlichen Fächern wie Physik sein analytisches Denken. Als Künstler sah er sich später gewissermaßen als Forscher, dem Kunst ein Instrumentarium bot, die Realität zu erkennen. Mit seinem Bruder Antoine Pevsner veröffentlichte Gabo 1920 in Moskau das "Realistische Manifest", in dem eine Bildhauerei des Experiments gefordert wurde. "Raum und Zeit sind die einzigen Formen, in denen sich das Leben aufbaut und in denen sich deshalb die Kunst aufbauen muss", lautete das Postulat, in der Praxis hieß das für Gabo: Dynamische Konstruktionen mussten eine "Plastik als Masse" ablösen. Einbezogen wurde nicht nur der "leere" Raum, sondern auch die Zeit. Einsteins Relativitätstheorie hatte der Modernen Kunst ihren Stempel aufgedrückt.

Sie hätte gern größere Skulpturen von Naum Gabo gezeigt, erzählte Waldsee-Leiterin Katja Blomberg bei der Eröffnung. Doch ach, die Tate St Ives in Cornwall verlängerte ihre Gabo-Retrospektive knapp an die Zehlendorfer Eröffnung heran, dort begnügt man sich also mit Miniaturen aus der Sammlung der Berlinischen Galerie. Gabos nach 1930 entstandenes "Modell für lineare Raumkonstruktion (unvollständig)" aus Kunststoff schafft ein Raumvolumen mittels dünn ausgesägten transparente Streben.

Ein Environment als virtueller Tanzclub

Er zählte zu den ersten Künstlern, die in den 1930ern den innovativen Werkstoff Acryl einsetzten. Das Material schlägt eine Brücke zur Praxis der 1973 in Düsseldorf geborenen Berta Fischer, deren Installationen und Objekte aus Kunststofffolie, Neonröhren und vor allem Acrylglas das Haus mit einem farbigen Glitzer überziehen. "In Gabos Zeit war das Material noch nicht verformbar", erklärt Fischer, während die Künstlerin an ihrer Acrylwolke "Garmion" steht. Die in Regenbogenfarben schillernde Skulptur besteht aus 80 Teilen, jeweils aus einer Acrylplatte gelasert und dann am Wärmetisch verformt. Außerdem kurvt das an kaum sichtbaren Fäden schwebende Acrylblätterdach von einer Fensternische her um die Raumecke.

"Into Space" lautet der (vieldeutige) Ausstellungtitel: Wie findet Fischer die Weltraum-Assoziation, die aus ihrer Skulptur eine interstellare Wolke macht? Die Bildhauerin findet das okay, aber eigentlich hat sie mit Astronomie nichts am Hut. Fischer ist eine abstrakte Künstlerin, die auf den Spuren der Konstruktivisten Raum gestaltet und die Zeit einbezieht. Der Zeitfaktor kommt insbesondere in einem Extra-Kabinett zum Tragen, wo zu Girlanden verkräuseltes Acrylglas mit blinkendem Laserlicht bestrahlt wird. Ein Environment als virtueller Tanzclub, auch das passt zur Corona-Zeit.

Besonders im Obergeschoss der Waldsee-Villa ist zu erleben, wie Fischer immer wieder die Möglichkeiten zwischen Linie, Fläche und Raum auslotet. Bei der Skulptur "Nirix" (2020) sind zwei Raumzeichnungen miteinander verflochten: Eine Struktur aus bunt leuchtenden Neonröhren, das wie ein Flechtrahmen ein dreidimensionales Gewebe aus farbigen Schnüren hält.

Vielleicht funktioniert der Skulpturen-Mix im Haus am Waldsee deshalb so gut, weil Berta Fischer und Björn Dahlem komplementäre Ansätze verfolgen. Gekonnt setzt Fischer Formen und Farben in den Raum, eine Interpretation ihrer abstrakten Werke würde nicht weit führen, während die Skulpturen des 1974 in München geborenen Dahlem lesbar sind. Mit gängigen Baumaterialien, Leuchtmitteln und Alltagsrequisiten übersetzt er philosophische oder naturwissenschaftliche Inhalte in komplexe, oft witzige Installationen.

Weltraum, Schwerelosigkeit, ferne Galaxien

Dahlems Skulptur "Sonnenstaat" (2020) bezieht sich auf eine berühmte literarische Utopie des Mönchs Tommaso Campanella aus dem 17. Jahrhundert. Aus dem Text hat der Künstler einen raumhohen, instabil wirkenden Turm entwickelt, an dessen oberem Ende ein Leuchtglobus mitsamt dem "Kopfschmuck" einer feinverästelten Koralle sitzt – das Symbol einer perfekten Staatsstruktur, deren Wahrscheinlichkeit Dahlem mit Skepsis betrachtet. Denn allzu wackelig ist sein "Sonnenstaat" gebaut.

Jenseits der Vorstellungskraft bewegen sich vor allem die Astrophänomene, die sich Björn Dahlem nutzbar macht. Neben "Sonnenstaat" sind im ersten Stock auf Himmelserscheinungen anspielende Werke wie "Mond (moon)" und "Superstructure (Vortex Flow with Crystal Tree)" ausgestellt (beide von 2018). Im Erdgeschoss verträgt sich Dahlems Installation "Laniakeia (Ultima Thule)" blendend mit Fischers schon erwähnter "Garmion"-Wolke (beides Neuproduktionen für die Schau). Der "unermessliche Himmel", wie "Laniakeia" aus dem Hawaiianischen übersetzen wird, bekommt im Kunstraum klare Konturen.

Seine Formergebnisse muss Dahlem erklären: Weit ausgreifende Krakenarme aus Holz vereinfachten ein Diagramm der galaktischen Ströme, das Forscher von dem erst kürzlich entdeckten Galaxien-Supercluster Laniakeia erstellt haben, so der Künstler. Ein Leuchtröhrenknäuel an der Skulpturenspitze sei, so Dahlem weiter, von "Orbits of high velocity" abgeleitet, was man jetzt googeln oder es lassen kann. Der springende Punkt ist das sich stetig ausdehnende Bild der Welt – und die neu gelieferten Daten und Zeichen, aus denen Dahlem seine Formen gewinnt. "Ich bin kein Konstruktivist", sagt Dahlem, "meine Werke entsprechen der Wirklichkeit, von der ich die Bilder ableite". Dahlem deutet es selbst an: der ästhetische Abstand zu Naum Gabo ist groß. Wie auch Berta Fischer und Björn Dahlen aus verschiedenen Richtungen kommen. Ein Problem ist das nicht, eher im Gegenteil, denn Kuratorin Katja Blomberg schafft mit den drei Positionen viel Raum – zum Nachdenken über bildhauerische Potenziale.