Der Gestalter der berühmtesten Plattencover des Punk kam nicht aus dem Nichts. Leute wie Malcolm McLaren, Vivienne Westwood und der mit beiden befreundete Grafiker Jamie Reid gehörten zu King Mob, einer Gruppe von britischen Situationisten Ende der 1960er-Jahre, die von der französischen Zentrale ausgestoßen wurden.
King Mob pflasterte in London Slogans wie "I can’t breathe" an die Mauern. In einem Supermarkt verteilten sie als Weihnachtsmänner gratis Geschenke an Kinder, die große Augen machten, als bald ein Weihnachtsmann nach dem andern in Handschellen abgeführt wurde. Die Väter und Mütter von Punk kamen aus der poetisch politisierten Performance. Bisschen mehr Penis als Pussy, aber definitiv Riot.
In der Zeitschrift "King Mob Echo" oder in der "Suburban Press" sieht man schon in Andeutungen, was später allein Punk zugeordnet wurde: Diagonalen durchs Bild (etwa wie im Futurismus der Zwanzigerjahre), ausgeschnittene Schriften, um die Anonymität wie in einem Erpresserbrief zu wahren. Und auch das handschriftliche Gekritzel taucht da auf, das den abgebildeten hohen Gegenstand wie zum Beispiel eine Statue, Ikone oder ein repräsentatives Gebäude quasi entweiht. In jedem Fall ein rüder Stilclash zwischen Skizze, Comic Strip, Avantgarde und Kanon.
30-jährige Aktivisten, die Kunstschulen von innen kannten
Die Erfinderinnen und Erfinder von Punk waren keine Teenager mit drei Akkorden und stacheligen Frisuren, sondern um 1976 herum 30-jährige Aktivisten, die Kunstschulen von innen kannten. Der von Reid gestaltete Flyer für die zweite Single der Sex Pistols "God Save the Queen" legte die Fährte in die Kunstgeschichte: Das grob gerasterte, gleichsam vom Fotokopierer reproduzierte Bild selbst von Queen Elizabeth im ovalen Porträtrahmen bleibt weitgehend unangetastet, außer dass eben eine Sicherheitsnadel in ihren Lippen steckt.
Spätestens der große Popkritiker Greil Marcus verwies in seinem Punk-Kunst-Standardwerk "Lipstick Traces - A Secret History of the Twentieth Century" 1989 auf das Kontinuum, das da aufblitzte. Denn Marcel Duchamp machte 1919 wenig anderes, als er einer Mona Lisa-Postkarte einen Schnauzbart malte und von Hand etwas Unverschämtes dazu schrieb. Duchamp kaschierte die Schweinerei einigermaßen im Werktitel "L.H.O.O.Q.", französisch gelesen als "elle a chaud au cul" denkbar (sie hat einen heißen Arsch oder sie ist heiß auf Sex).
Punk war direkter, und zumindest sexuell nicht ganz so fixiert wie die Franzosen: Reid schrieb um die gepiercte Queen herum, auch er von Hand, die Liedzeilen "God Save The Queen / She ain’t no human being". Ob Punk nie stirbt, darf mittlerweile bezweifelt werden, während eins sicher scheint: Dada never dies.
Selbst für britischen Humor grenzwertig
Beim Straßenakzent des Sängers Johnny Rotten reimte sich tendenziell alles auf alles. Aber im Jahr von Queen Elizabeths 25-jährigem Thronjubiläum, dem Silver Jubilee 1977, war die britische Öffentlichkeit nicht amused. Kein Radio spielte die Single, die dennoch auf Platz 2 der Hitparade landete. Auch da halfen Reids Bilder mit. Auf dem Cover sind Augen und Mund der Queen überklebt mit schwarzen Balken. Über dem Mund steht nun in stilprägender ausgeschnittenen Erpresser-Typografie "Sex Pistols", über den Augen "God Save the Queen". Die Königin als von einer Jungsband geknebelte Geisel? Selbst für britischen Humor grenzwertig.
Und doch lag darin ein Missverständnis oder mindestens ein Widerspruch: Wenig hat in den 70er-Jahren zu mehr kulturellem und tatsächlichem Kapital beigetragen als britischer Punk (und als Johnny Rotten wieder John Lydon hieß, begann er bisweilen sehr patriotisch zu sprechen). Die Sex Pistols standen mit EMI von Anfang an bei einem großen Major Label unter Vertrag. Und ihre einzige LP, das Album "Never Mind the Bollocks – Here’s The Sex Pistols" (1977) klang dann doch eher wie eine konventionelle Pubrockplatte mit allerdings interessantem Sänger. Gitarrist Steve Jones schichtete im Studio eine Marshall-verstärkte Gitarre auf die andere, weil er so viel Zeit hatte, während Rotten und McLaren mit dem Skandaltheater beschäftigt waren und die Band mit Umbesetzungen (der Bassistendarsteller Syd Vicious stieß dazu).
Damit wurde nicht nur ein Sound in Rock gegossen, sondern auch eine Gestaltung fixiert, die im Prinzip vom Provisorium handelte. Sicherheitsnadeln, grobe Körnung, unprofessionelle Schriften und ausgeschnittene Zeitungen: die Zeichen des Underground markierten mit einem Schlag den Look von Millionensellern. Das führt zur Wiederholung von künstlerischen Formeln. Die erste Single "Anarchy in the UK" benutzte genau so Sicherheitsnadeln und ausgeschnittene Schriften.
Ein Stück lebenslanger Eigensinn ist gestorben
So wichtig Reids Arbeiten für Legionen von Fanzines und für mindestens eine Generation von Gestalterinnen und Gestalter wurde, so wenig lässt sich der ästhetische Ursprung auch hier auf eine Person reduzieren. Gerade Reids Kunst wusste, wie sehr sie in einem Kontinuum der Kunstgeschichte stand. Und die Materialität der Bilder schuldete auch viel den Geräten, mit denen sie hergestellt wurden: alte Druckerpressen und zunehmend neue Fotokopierer.
Für das Cover der Pistols-Single "Holidays in the Sun" verwendete Reid einen Comic Strip, in die Sprechblasen setzte er die Songlyrics. Das erinnert an Pop Art. Mit Punk bringt man das heute nicht in Verbindung. Genau so wenig wie den weiteren Verlauf von Jamie Reids Karriere.
Erwartbar ist von einem Punk-Vater noch, dass er weiter Ausstellungen und Bücher macht und Typen wie Damien Hirst, die ihre Studierenden auf Copyright verklagen, öffentlich als Schulhofschläger bezeichnet. Überraschender für Festlandeuropäer vielleicht, dass Reid auch als Druide auftrat in einer antiimperialistischen religiösen Vereinigung von Sonnenanbetern. Mit Jamie Reid starb auch ein Stück lebenslanger Eigensinn, der Punk nur für kurze Zeit auszeichnete.