With Gilbert & George

Mit Schirm, Scham und Methode

Augenpaare. Blüten. Junge Männer, nackt oder angezogen. Penisse, Hintern, Exkremente. Sogar nackte Zungen können provozieren. Zum Beispiel die Chinesen, denen ein herausgestrecktes Schmeckorgan so peinlich ist wie ein bloßgestellter Körper. Gilbert & George stellten ihre Tableaus 1993 in der National Art Gallery in Peking aus. Und zur Eröffnung interessierte sich auch der ehemalige britische Premierminister Edward Heath für Zungen. Sie symbolisieren Sprache, erklärt ihm Gilbert, Sprache, die in die Menschen eindringt. „Und was ist mit den Briten?“, fragt Sir Edward ehrlich überrascht. „Ich versuche seit 55 Jahren in die Briten einzudringen – bisher ohne Erfolg“.
 
Vielleicht sind Künstler doch die besseren Botschafter, auch wenn die Politik das noch nicht zur Kenntnis genommen hat. Gilbert & George haben immer „Kunst für alle“ schaffen wollen. Ihre bahnbrechenden Auslandsausstellungen – in Moskau und Peking – haben die beiden ohne Unterstützung des British Council geschultert. Nicht zuletzt von ihrer Beharrlichkeit erzählt Julian Coles Dokumentarfilm „With Gilbert & George“, der nun in deutschen Kinos läuft und Ende des Sommers als DVD von Edition Salzgeber veröffentlicht wird. Ein streng chronologisch aufgebautes Porträt mit einigen Längen, in dem doch die triumphalen Momente ihren berechtigten Platz haben: 2005 vertritt das englische Paar, das sich als „lebende Skulptur“ begreift, sein Land auf der Biennale von Venedig, 2007 sind sie die ersten Briten, denen die Tate Modern eine große Retrospektive einräumt.
 
Einst war Julian Cole selbst Modell des verschrobenen Duos, das seit Jahrzehnten im schmuddeligen Londoner East End lebt und trotz aller Gentleman-Attitüde „Kontakt zur Härte des Daseins“ halten will. Wie die meisten Künstlerfilme prunkt „With Gilbert & George“ nicht gerade mit filmischer Einfallskraft – mit Ausnahme der schönen Idee, frühere Modelle per Videotrick quasi aus den Bildern heraus sprechen zu lassen (was ein wenig an Gus van Sants „My Private Idaho“ erinnert). Andererseits hebt die Nüchternheit des Films das Exzentrische vieler Werke noch hervor, darunter Performances wie „The Singing Sculpture“ oder „Gordon's makes us drunk“ (1971), dort filmte sich das Paar beim gemeinsamen Alkoholkonsum.
 
Hier ist kein Platz für Schlüssellochgeschichten. „With Gilbert & George“ hakt das schwule Selbstverständnis des Paars in lakonischen Nebensätzen ab und widmet sich vorzugsweise intensiv der Genese des Werks, das seit den 70er-Jahren vor allem aus farbig leuchtenden Tableaus aus schwarz eingerahmten Rechtecken besteht. Neuerdings platzieren sich Gilbert & George inmitten mikroskopischer Aufnahmen ihrer Körperflüssigkeiten. Blut, Urin, Kristalle, Mikroben – Mikrokosmen.