Vom Dauerkuss bis Picasso

Marseille belebt Kulturhauptstadt-Effekt

Von Picasso bis zu Ai Weiwei: Marseille und die Region sind in ein Festival gestartet, mit dem sie wieder an die Kulturhauptstadt-Dynamik von 2013 anschließen wollen. Bedeutende Namen helfen dabei

Die einen küssen sich stundenlang, die anderen fliegen mit Leuchtanzügen durch die Luft: Unter dem zentralen Thema Liebe haben Marseille und die Region ein Festival auf die Beine gestellt, mit dem sie wieder an die Kulturhauptstadt-Dynamik von 2013 anknüpfen wollen. Dabei setzen die Organisatoren nicht nur auf spektakuläre Freiluftevents. Mit Pablo Picasso und dem chinesischen Künstler Ai Weiwei haben sie auch zugkräftige Ausstellungsnamen an Bord geholt.

So wie 2013 nehmen wieder zahlreiche Städte aus dem Departement Provence teil, darunter Arles, Aubagne, Martigues und Salon-de-Provence. Aix-en-Provence fehlt auf der Liste. Bereits für "MP2013", Marseille-Provence 2013, gestaltete sich die Zusammenarbeit der Bürgermeister von Marseille und der Geburtsstadt von Paul Cézanne schwierig. Zwischen Jean-Claude Gaudin, seit 1995 an der Spitze der Hafenstadt, und Maryse Joissains, erstmals 2001 zum Stadtoberhaupt von Aix gewählt, herrscht seit langem ein Konflikt.

"Die Region hat mit ihren zahlreichen Museen und ihrem reichen Kulturgut ein immenses Potenzial, das dadurch nicht ausgeschöpft wird", bedauert Pierre Vasarely, der Enkel des französischen Malers Victor Vaserely und Leiter der gleichnamigen Fondation in Aix-en-Provence.

Dass die Stadt nicht teilnimmt, hat den 57-Jährigen jedoch nicht daran gehindert, eines der 15 Mitglieder des künstlerischen Komitees zu sein, ebenso wenig Bernard Foccroulle, Direktor des weltbekannten Lyrikfestivals in Aix-en-Provence, und Angelin Preljocaj, Choreograf und Leiter des dortigen Centre Chorégraphique National.

Rund 450 Veranstaltungen bis zum 1. September haben die renommierten Kulturschaffenden zusammengestellt. Das Programm ist vielfältig mit Tanz, Theater, Musik und Kunst. Marseille eröffnet den Ausstellungsreigen mit der Picasso-Schau "Voyages imaginaires" (etwa: Imaginäre Reisen) in der Vieille Charité.

Gezeigt werden rund 300 Werke und Dokumente, anhand derer Picassos Inspirationsquellen illustriert werden. Zu den Hauptwerken der bis zum 24. Juni dauernden Ausstellung gehört die Bronzeskulptur "Les Baigneurs", die Badenden, die erst kürzlich restauriert wurde. Zu den weiteren Höhepunkten zählt die Werkschau von Ai Weiwei im Juni. 

Passend zum Thema des Festivals MP2018 "Quel Amour" (etwa: Was für eine Liebe) wurde der Startschuss in die Eröffnungswoche am Valentinstag, am 14. Februar, gegeben. Den Auftakt bildeten Volksfeste in der ganzen Region.

In Marseille zog eine spektakuläre Feuerwerkschau Tausende von Menschen an, ebenso viele fanden den Weg ins Mucem, das 2013 eingeweihte Museum für Zivilisationen Europas und des Mittelmeers. Bis Mitternacht fanden dort Performances statt, unter anderem ein Dauerküssen von vier Stunden.

Die Kosten belaufen sich auf etwa 5,5 Millionen Euro, die zu 50 Prozent von Mäzenen getragen werden, die restlichen 50 Prozent stammen aus öffentlichen Geldern. Auf das private Engagement ist Raymond Vidil besonders stolz. Das sei eine der Voraussetzungen für das Projekt gewesen, erklärte der Initiator von "MP2018".

Der gebürtige Marseiller ist Direktor der Reederei Marfret. Er gehörte bereits vor fünf Jahren zu den Mäzenen der Hafenstadt. Denn seine Überzeugung lautet: Jedes Engagement für Kultur koste zwar, doch werde damit die Ignoranz bekämpft.

Marseille hat im Vergleich zu Lille, das 2004 europäische Kulturhauptstadt war, etwas länger gebraucht, um ein Anschlussprogramm auf die Beine zu stellen. Man sei nicht gut im Organisieren von Turnieren, aber im Gewinnen, meint Vidil mit verschmitztem Lächeln.

Dabei verweist er auf die Bilanz von 2013. Mehr als zehn Millionen Menschen kamen zu dem Event. Und das Mucem kann mit Zahlen aufwarten, die sich zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Besuchern jährlich bewegen.