Auktionator von Seldeneck

"Der Innovationskern liegt im Netzwerkgedanken"

Im Juli versteigert der Berliner Auktionator Kilian Jay von Seldeneck direkt von Galerien eingelieferte Werke. Wir haben mit ihm über diese ungewöhnliche Idee gesprochen

Herr von Seldeneck, Ihr Label KvS veranstaltet jetzt die dritte Auktion. Suchen Sie noch nach dem richtigen Geschäftsmodell? 

Unser Modell ist eher dadurch gekennzeichnet, dass wir dynamisch auf bestimmte Situationen im Markt reagieren können, und diese Freiheit wollen wir auch beibehalten. In unserer ersten Auktion im vergangenen Jahr haben wir auf den heißgelaufenen Berliner Immobilienmarkt reagiert. Die damalige Marktsituation hat nach dem Vertriebskanal Auktionen gerufen. Wir haben in dieser Situation ausgewählte Immobilien und Design-Stücke versteigert, die in einem Kontext zueinander standen. In unserer zweiten Auktion haben wir in Form einer Benefiz-Auktion auf die Coronakrise und somit auch wieder auf eine tagesaktuelle Entwicklung reagiert und Erlebnisse versteigert, die die Bieter nach dem Shutdown realisieren konnten. Bei unserer dritten Auktion möchten wir nun Berliner Weltklassekünstler anbieten, die über die Plattform der Auktion international angeboten werden sollen, weil dies nicht zuletzt aufgrund des Ausbleibens der Messen schwieriger geworden ist. Diese drei Auktionen eint ein starker Netzwerkgedanke. Darin liegt der eigentliche Innovationskern. Es geht bei KvS eben nicht um das Auktionshaus, sondern um die Galeristen und die Künstler. 

Zu diesem Netzwerk gehören auch die Berliner Sammler Christian Boros und Julia Stoschek. Boros hat den Katalog gestaltet, Stoschek stellt ihre Räume für die Vorbesichtigung und Auktion zur Verfügung. Geht es bei der Auswahl dieser Akteure auch um den richtigen Stallgeruch?

Die Gruppe ist weniger strategisch entstanden, sondern hat sich sehr organisch durch persönliche Gespräche und langjährige Beziehungen entwickelt. Hier haben sich Berliner Galeristen und Sammler mit einem Auktionator zusammengetan, um für die Künstler in der Stadt eine internationale Plattform zu schaffen.

Hatte die vom Galeristen Johann König und dem Auktionator Robert Ketterer organisierte Ausstellung in München im vergangenen Herbst Vorbildcharakter? Haben sie das Eis zwischen Auktions- und Galeristensphäre gebrochen?

Ich würde hier nicht unbedingt von einem Vorbild sprechen. Johann König und Robert Ketterer haben eine Ausstellung und keine Auktion organisiert. Jetzt handelt es sich darum, dass mehrere Galeristen zu einer Auktion einliefern. Und das bedeutet für die Galeristen noch einmal deutlich mehr. In München ging es um Primärverkäufe - und wenn die Ware nicht verkauft worden wäre, hätte es niemand gemerkt. Bei uns hingegen fordert die totale Öffentlichkeit der Auktion den Galeristen durchaus Mut ab. Die Startgebote liegen bei uns bei 50 bis 60 Prozent der Galerie-Preise. Und es gibt ein gemeinsames Vertrauen darauf, dass sich die Preise potenzieren werden.  

Das Ziel ist also die Kunst teurer zu verkaufen, als sie die Galerie in ihren eigenen Räumen verkaufen könnte? 

Galeristen sind immer bestrebt, geeignete Verkaufskanäle für bestimmte Werke zu finden, und der Verkaufskanal der Auktion bietet eben immer auch die Chance auf Rekordpreise. Diese Fantasie steckt in jeder Auktion und natürlich auch in dieser.

Wie schlägt sich diese Fantasie in der Werkauswahl nieder? 

Im Dialog mit den beteiligten Galeristen haben wir Werke ausgewählt, denen die Galeristen das Vertrauen schenken, dass sie sich bei einer Auktion besser verkaufen könnten als beispielsweise auf einem Messestand. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Unikate mit einem hohen Wiedererkennungswert der jeweiligen Künstler.  

Wie unterscheiden sich die Vorbereitung zu dieser Auktion im Vergleich zu anderen Versteigerungen? 

Es war natürlich eine große Herausforderung, alle Galeristen unter einen Hut zu bringen, und ich bin sehr dankbar, dass das geklappt hat. Die Galeristen und ihre Künstler lassen sich hier auch auf ein Experiment ein und diesem Mut kann man nicht ausreichend Respekt zollen. Auf der anderen Seite sind wir aber auch sehr viel leichtfüßiger unterwegs als etwa bei einer Auktion mit Werken aus dem Expressionismus oder der Klassischen Moderne. Das Katalogisieren beispielsweise ist viel einfacher als bei einer normalen Auktion. Da wir es ausschließlich mit Primärmarkt-Ware zu tun haben, stellen sich beispielsweise keine Restitutions- oder Provenienzfragen. Bei dem von Christian Boros gestalteten Katalog ging es daher vor allem darum, dass sich alle Galeristen darin gut wiederfinden. Und ich finde das ist ihm bravourös gelungen. 

Gewöhlicherweise verlangt ein Auktionshaus vom Einlieferer ein so genanntes Abgeld. Wie handhaben Sie das?

Ein Abgeld gibt es bei dieser Auktion nicht. 

Welche Rolle hat Corona bei dieser neuartigen Konstellation gespielt?  

Sicherlich hat die aktuelle Situation dazu beigetragen, dass es nicht nur im Kunstmarkt, sondern auch in anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen neue Allianzen gibt. Bei uns ist dies eine Allianz aus Galeristen, Künstlern und einem Auktionshaus, die gemeinsam ein neues Geschäftsmodell wagen. Als ich Katharina Grosse bei ihrer Ausstellungseröffnung im Hamburger Bahnhof gesehen habe, sagte sie mir: Die Umstände, durch die wir gerade gehen, verlangen grundsätzlich einen engeren Zusammenhalt auf der regionalen Ebene. Ich finde, sie hat absolut recht!

Aber Ihre Auktion ist doch nicht nur für Berliner Sammler?

Nein, aber die teilnehmenden Sammler, Galeristen und Künstler haben sich in ihrer Stadt zusammengefunden, um eine internationale Plattform aufzustellen. Denn selbstverständlich erwarten wir auch eine überregionale und internationale Beteiligung an der Auktion. Insofern ist es keine regionale Veranstaltung, wohl aber ein Zusammenrücken der Berliner Player. 

Gemeinsam sind wir stark?

Ja, es geht auch darum, ein Gefühl füreinander zu entwickeln und zusammenzuhalten in dieser besonderen Ausnahmesituation. 

Ist KvS ein Startup oder ein Innovation Hub? 

Es gibt Elemente eines Startups, weil es ein neuartige und eigenständige Gründung ist. Andererseits zeigen unsere drei ersten Auktionen eine große Dynamik und Agilität, um auf bestimmte Situationen und Zeitpunkte im Marktgeschehen zu reagieren. Das finde ich besonders reizvoll daran. 

Warum sollten Sammler bei Ihnen bieten anstatt eine Arbeit direkt in der Galerie zu erwerben? 

Weil sie sich in das Werk verlieben. Und es zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis erwerben können. 

Das wird der jeweilige Hammerpreis zeigen … 

Wir bieten auf jeden Fall sehr verlockende Startgebote an. Wohin die Reise dann geht, das werden wir sehen.