Herr Illy, wenn man Kunst und Kaffee googelt, sind die ersten Treffer folgende: kitschige Baumarkt-Gemälde von Latte-macchiato-Gläsern oder kunstvolle Tiere und Muster aus Milchschaum. Stellen sich Ihnen bei diesen Phänomenen die Nackenhaare auf?
Nein, es ist doch großartig, wenn kreativ mit Kaffee umgegangen wird. An unserer "University of coffee" unterrichten wir selbst "Latte Art" und bringen Baristas die Milchschaumkunst bei. Es gibt Leute, die fantastische Dinge zeichnen können.
Widerspricht das nicht der Schlichtheit eines Espressos?
Nein, es ist eine Bereicherung. Wie in der Gourmetküche, wo Sie die Speisen auf eine Weise präsentieren, die das Erlebnis bereichern. Wenn Sie essen oder trinken, machen Sie sinnliche Erfahrungen: der Geruch, der Geschmack, die Konsistenz. Also warum nicht noch mehr Sinne einbeziehen? Das geht am ehesten über das Sehen, unseren unmittelbarsten Sinn.
Für Sie hat Kaffee etwas mit Kreativität zu tun. Hat Kaffee auch eine Ästhetik.
Absolut. Auf zweierlei Art. Schönheit bereichert uns. Das wussten schon die alten Griechen, die den Begriff "Kalogathía" geprägt haben, der gleichzeitig "schön" und "gut" bedeutet. Das heißt, dass etwas Schönes auch gut sein muss und etwas Gutes gleichzeitig schön. Schönheit ist ein Mittel, um Qualität zu kommunizieren und Emotionen hervorzurufen. Es ist ein menschliches Bedürfnis.
Man stellt sich Künstler im Atelier immer mit hohem Koffein-Level vor. Es gibt zahlreiche Künstler, die Kaffeetafeln gemalt oder sich mit Kaffeetassen inszeniert haben. Warum ist Kaffee ein so omnipräsentes Künstlergetränk?
Künstler haben Kaffee als ihr Getränk gewählt. Kaffee inspiriert durch zwei neurophysiologische Mechanismen. Der erste ist die Ausschüttung von Glückshormonen, wenn man einen guten Kaffee genießt. Dabei spielt Dopamin die Hauptrolle, das die Stimmung verbessert und uns entspannter und sozialer macht. Das zweite ist die Stimulation durch das Koffein, das langanhaltend die Kreativität anregt und die Gehirnaktivität verbessert. Diesen Effekt hat Alkohol nicht. Künstler und Intellektuelle haben schon vor vierhundert Jahren Kaffee getrunken und diese Tradition setzt sich fort. Kaffee ist das offizielle Getränk der Kultur.
Ist diese Aussage nicht eher Marketing als Kulturgeschichte?
Nein, es ist tatsächlich so. Alle großen Bewegungen der Menschheit, die Aufklärung oder die Globalisierung, haben im Kern mit Menschen zu tun, die bei einer Tasse Kaffee zusammenkommen. Die Aufklärung wurde in Cafés geboren.
Diese Tradition nutzen Sie auch für Ihr Unternehmen. Das illy-Logo wurde vom James Rosenquist gestaltet, einem Pop-Art-Künstler, der von Konsumgütern fasziniert, aber der Konsumgesellschaft gegenüber auch kritisch eingestellt war. Wie passt das mit einem Unternehmen zusammen?
Wir versuchen, uns von der politischen Dimension von Kunst fernzuhalten. Kunst ist Kommunikation und Ausdruck. Man kann seine Weltsicht ausdrücken oder das Bedürfnis nach Schönheit, sei es visuelle oder konzeptuelle Schönheit. Wir ziehen es vor, diesen zweiten Aspekt der Kunst zu fördern, anstatt Kunst als Protestwerkzeug zu benutzen.
Viele Künstler, die für die "illy collection" Tassen entworfen haben, zum Beispiel Yoko Ono oder Marina Abramovic, sind in ihrem Werk sehr politisch. Kann man diese Facette einfach ignorieren?
Wir betonen sie zumindest nicht. Yoko Ono hat tatsächlich auf unseren Tassen so etwas wie ein politisches Statement hinterlassen, indem sie Daten von Ereignissen der Gewalt aufgeschrieben hat. Aber es ist eine großartige Idee, mit der Reparatur der Tassen und dem Motiv der Heilung zu arbeiten. Sie appelliert an das Verantwortungsgefühl der Konsumenten und das passt zu unseren Werten und unserem Engagement für Nachhaltigkeit.
In dem von Ihnen gesponserten Film "Inspiring Creativity" kommt der Schauspieler und Künstler James Franco zu Wort, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden. Eine Vorführung des Films wurde von Harvey Weinstein präsentiert, der zum Synonym von Missbrauch in Hollywood geworden ist. Wie gehen Sie mit den weniger schönen Seiten des Kulturbetriebs um?
Wir folgen unseren eigenen Prinzipien und unserer eigenen Weltsicht. Wenn wir mit Künstlern arbeiten, heißt das nicht, dass wir alles unterstützen, was sie neben der Kunst tun oder in der Zukunft tun werden.
Hat Ihnen schon mal ein Wunschkandidat abgesagt, weil er oder sie keine Auftragsarbeit annehmen wollte?
Bisher nur einer. Ich werde Ihnen nicht sagen, wer es war. Aber er ist ein Deutscher.
Dürfen bekennende Teetrinker illy-Tassen designen?
Natürlich. Aber ich wüsste nicht, dass jemand gar keinen Kaffee trinkt.
Welcher Künstler ist am koffeinabhängigsten?
Das muss Ron Arad sein. Ich würde nicht abhängig sagen, aber er liebt Kaffee sehr. Und William Kentridge hat die Mokkakanne sogar in seinem Werk für die Biennale in Venedig benutzt. Das war eine wunderbare Überraschung.
Auch die Tasse selbst ist ein Designobjekt von Matteo Thun. Angeblich hat er vorher 70 Seiten mit Vorgaben bekommen. Was ist an einer Kaffeetasse so kompliziert?
Espressotasse, das ist ein Unterschied. Espresso ist ein Wunder. Er ist gleichzeitig eine Lösung, eine Emulsion und eine Suspension. Diese drei Phasen geben dem Produkt einen einzigartigen chemischen und physikalischen Charakter, der sehr instabil ist. Die Tasse muss die perfekte Zubereitung und den idealen Genuss ermöglichen. Der Kaffee muss heiß, aber nicht zu heiß sein, deswegen muss der Boden aus dickerem Porzellan geformt sein, und auch der Rand darf nicht zu dünn sein, sonst verbrennt man sich die Lippen. Die konkave Form hilft dabei, die perfekte Crema zu bekommen. Und auch das Äußere ist entscheidend. Die Größe muss zum Inhalt passen, sonst sehen die 30 Milliliter in der Tasse verloren aus.
Sammeln Sie eigentlich auch Kunst, die nicht auf Tassen ist?
Die Tassen sind die Sammlung. Ich könnte niemals eine Sammlung aufbauen, die so reich und hochkarätig ist, wie die "illy art collection". Ich habe Kunst in meinem Haus, aber das sind keine großen Namen.
Also kein "illy Museum of contemporary Art"?
Noch nicht, vielleicht irgendwann. Museen sind Räume der Vergangenheit, ich schaue lieber in die Zukunft.