"Als ich mit der Straßenfotografie begann", sagt Jamel Shabazz, "war ich mir der Stereotypen bewusst, mit denen dieses Genre daherkam. Wen immer ich porträtierte, mir ging es dabei um Würde und Ehre." Der 1960 in Brooklyn geborene Afroamerikaner ging noch zur Highschool, als er erstmals mit der Kamera durch die Stadt streifte und junge Leute seiner Community fotografierte. New York war seit jeher eine Hochburg der Street-Photography gewesen. Während der Depressionszeit hatten die Pioniere der New York Photo League wie Lewis Hine, Berenice Abbott oder Helen Levitt mit ihrer dokumentarischen Arbeit zugleich soziale Missstände ins Bild gerückt. In der Nachkriegszeit fiel die Gruppe der Kommunistenjagd zum Opfer, während andere Fotografen die Straßenfotografie als ästhetisches Experimentierfeld begriffen. Die Werbung tat ein Übriges, um die fotogenste aller Metropolen und ihre Bewohner zum perfekten Vergrößerungsglas für alles Mondäne zu instrumentalisieren.
Shabazz porträtierte eine Stadt, die sich täglich selber spielt. Wenn er Jugendliche in der U-Bahn tanzen lässt, scheinen sie das mediale New-York-Bild mit ihrer eigenen Inszenierung zu überschreiben. Damals begannen die Mode- und die Popindustrie die Stilsicherheit der Straßenkids als wertvollen Rohstoff zu betrachten und ihre street credibility zu kopieren. Shabazz, der als professioneller Fotograf bis heute auch im Auftrag der Modeindustrie arbeitet, kombinierte beide Welten. Das Geheimnis bestand darin, seine Modelle aus der Wirklichkeit als selbstbestimmte Individuen zu porträtieren. "Ich sehe mich gar nicht so sehr als ein Pionier dieses Stils in der Modefotografie", wehrt er ab. "Ich selbst bin sehr von Helmut Newton beeinflusst und der Art, wie er seine shoots dokumentiert hat. Er hat diese Kombination von Modefotografie und der Anmutung von Straßenfotografie entwickelt. Ich werde in diesem Genre genau deshalb besetzt, gerade erst von Lee, zuvor von Puma oder Adidas. Man möchte, dass ich die Ästhetik meiner Straßenfotografie dort einbringe. Für mich ist es wichtig, dass es so organisch wie möglich aussieht, so wie als ich vor 35 Jahren damit anfing."
Am Anfang seiner Karriere habe er einfach ein visuelles Tagebuch seines Lebens schaffen wollen. "Mein Vater, ein Profifotograf, half mir, die technischen Geheimnisse zu lernen. Er ermunterte mich, auf die Straße hinauszugehen, um Dinge besser zu sehen." Heute stellen seine Zehn tausende von Bildern, die er zurzeit sichtet, ein einziges Dokument New Yorker Jugend- und Subkultur dar. Die politische Dimension wurde Shabazz erst später bewusst: "Ich schätzte die Arbeit der Fotojournalisten und dokumentierte in diesem Sinne Obdachlosigkeit und Prostitution, aber das Politische daran bemerkte erst mein Vater, und er meinte, ich müsse mich davon fernhalten. Zum Beispiel von einem rassistischen Graffiti in der U-Bahn. Wenn ich meine Kontaktbögen ansehe, enthalten sie aber alles auf einmal, Por träts, Dokumentarismus und politische Beobachtung. Besonders als ich anfing, da herrschten in New York Polizeigewalt und Armut, und Ronald Reagen hatte gerade die Präsidentschaftswahl gewonnen."
Mit den ästhetischen Codes sozialrealistischer Fotografie, die bis in die 80er-Jahre vielfach der Farbe misstraute, hatte Shabazz wenig im Sinn. Heute erklärt er das Soziale an der Fotografie lieber im wörtlichen Sinne – als Medium der Kontaktaufnahme: "Fotografie ist meine Art, mit Fremden umzugehen, und das macht mir einfach Freude."
Dieser Text erschien zuerst in Monopol 12/2018