Insta-Watchlist Alina Gross

"Ich stelle unrealistische Körperbilder infrage"

Alina Gross will in ihrer Studio- und Aktfotografie mit klassischen Schönheitsidealen und Stereotypen brechen - und wird dafür von Instagram zensiert. Warum die deutsche Fotokünstlerin trotzdem weitermacht, erklärt sie im Monopol-Interview

Frau Gross, als wir das erste Mal miteinander sprachen, äußerten Sie die Befürchtung, dass ihr Instagram-Account gelöscht werden könnte. Das ist jetzt tatsächlich passiert. Wie kam es dazu?

Ich bin seit vier Jahren auf Instagram, wurde aber erst vor drei Jahren wirklich aktiv. Ich hatte fast 7000 Follower:innen, immer mal wieder wurden Postings von mir gelöscht. Mir war also klar, dass mein Account irgendwann ganz gelöscht werden wird. Ich gehe davon aus, dass sich die Bilder keine Menschen ansehen, sondern eine Künstliche Intelligenz (KI) Brüste und Vaginas zensiert. Ich habe immer wieder Widerspruch eingelegt, geholfen hat es aber nicht, es kam nie eine Antwort. Auf meinem neuen Account ging es direkt weiter mit der Zensur, die manchmal sehr absurde Züge annimmt. Ein Foto von einem zusammengepressten Bauch wurde beispielsweise gelöscht. Wer weiß, was die KI hier vermutet hat. Eine Vagina?

Sind Sie durch die Zensur auf Instagram zum Thema weibliche Sexualität gekommen?

Zensur ist nicht mein Thema. Das ist zu einer sehr unangenehmen Begleiterscheinung meiner künstlerischen Arbeit geworden, die ich aber deshalb nicht verändern werde. Ich möchte Bilder zeigen, die mit klassischen Schönheitsidealen und Stereotypen brechen. Ich stelle unrealistische Körperbilder infrage. Ich möchte Frauen bestärken, das zu sein, was sie sind. Alle Dinge, die mit dem weiblichen Körper zu tun haben, Menstruation, Ausfluss, Geburt, der Körper nach der Geburt, beschäftigen mich in meiner Arbeit.

Sie haben auf Instagram wieder bei null angefangen. Sind Sie jetzt vorsichtiger und versuchen zu vermeiden, dass ihr Account wieder gelöscht wird?

Nein, ich verändere meine Inhalte nicht. In den letzten Wochen habe ich darüber nachgedacht, wie ich den Neustart gestalte. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich weitermache wie bisher, auch wenn das natürlich bedeutet, dass mein Account irgendwann wieder weg sein wird. Das ist nur eine Frage der Zeit. Und natürlich kommen in den Kommentaren auf Instagram auch kotzende Smileys. Aber deshalb ziehe ich mich nicht zurück. Kritik kommt und manchmal ist die Kritik heftig und persönlich, aber die gehört eben dazu.

Es gibt Künstler:innen, die zensieren ihre Bilder selbst und überdecken die entsprechenden Körperstellen mit schwarzen Punkten oder arbeiten mit Unschärfe. Hat das auch bei Ihnen geholfen, Zensur zu verhindern?

In den Bodypaintings zensiere ich mit Farbe die entsprechenden Stellen. In Mutter-Kind-Bildern, wo der Fokus auf der weiblichen Brust liegt geht das nicht. Ich konnte bisher nicht ausmachen, welche Bilder immer gelöscht werden und welche nicht. Mir kommt das sehr willkürlich vor. Instagram ist aktuell die wichtigste Plattform, das wird sich vielleicht in ein paar Jahren wieder ändern. Die Plattform, auf der ich meine Bilder zeige, darf sich nicht auf meine Arbeit auswirken.

Sie arbeiten parallel an verschiedenen Serien, das verbindende Element ist Weiblichkeit abseits des Erwartbaren.

Ich arbeite viel mit Blumen und Früchten. Weiblichkeit hat mit Fruchtbarkeit und Wachstum zu tun, ich suche nach Analogien in Pflanzen und Blumen.

Arbeiten Sie mit Modellen oder fotografieren Sie sich viel selbst?

Ich mache beides. Ich fotografiere gern Frauen, die in meinem Leben eine Rolle spielen. Wir kennen uns aus dem Studium oder haben als Künstlerinnen zusammen ausgestellt. Aktuell arbeite ich mit der Künstlerin Vanessa Hitzfeld an Bodypaintings und der Darstellung von Weiblichkeit. Im Jahr 2015 habe ich mit der Serie begonnen. Wir wechseln uns ab, mal bin ich das Model, mal ist sie das Model. Ich arbeite in einem kleinen Kreis eng mit wenigen Menschen zusammen.

Weil es bei Ihren Bildern viel um Vertrauen geht?

Genau, Intimität stellt sich nicht so leicht ein, das ist ein Prozess und eine sehr sensible Angelegenheit.

In den letzten Jahren wurde viel über den weiblichen Blick gesprochen. Eine Autorin, die sich beispielsweise intensiv damit auseinandersetzt ist Charlotte Jansen in ihrem Buch "Girl on Girl". Ist das auch etwas, das Sie beschäftigt oder ist der weibliche Blick eine Begleiterscheinung Ihrer Arbeit als Fotografin?

Wenn ich fotografiere, denke ich nicht über meinen Blick nach. Ich bin Jahrgang 1980, ich bin also mit den Bildern der männlichen Starfotografen wie Helmut Newton und Peter Lindbergh aufgewachsen. In meiner Jugend haben mich diese Bilder stark geprägt. Unrealistische Schönheitsideale sind mir damals nicht wirklich aufgefallen. Schlanke, sexy Frauen in Highheels, das ist eins der Ideale, das ich selbst angestrebt habe.

Sehen Sie die Bilder von Helmut Newton heute anders?

Ich mag Modefotografie, die Ästhetik der Bilder spricht mich heute noch an. Die Posen, das Make-up, die Inszenierung, das Technische, all das ist beeindruckend. Als ich das erste Mal Fotos von Terry Richardson gesehen habe, hat mich das mitgenommen. Heute habe ich dazu Distanz gewonnen, aber auch das hat gedauert. Ich habe angefangen mich zu fragen, wie die Frauen gezeigt werden und warum mir das gefällt. Oder warum mir das nicht gefallen sollte. Ich selbst bin Mutter, deshalb frage ich mich, wie es Mädchen und jungen Frauen geht, die sich solche Bilder anschauen. Sind das gute Vorbilder? So gehe ich auch an meine eigene Arbeit heran. Was sollen Frauen fühlen, die meine Bilder anschauen? 



Was sollen Frauen fühlen?

Frauen sollen sich in meiner Bilderwelt geborgen fühlen. Moralische Ansprüche an die Fotografie sind heute hoch, die Welt soll abgebildet, reflektiert und verbessert werden. Ich möchte Frauen ein Gefühl von Nähe, Wärme und Vertrauen geben und in meiner Fotografie einen Raum schaffen, in dem offen über Tabus und Ängste gesprochen werden kann.